Ich hatte oft Mitleid mit ihnen.
Unsere Sprache hat so schöne Worte, wie ist es da möglich, die Phrase schön zu finden? Warum kann man sich nicht damit begnügen, den Körper Toilette machen zu lassen? Warum gehört zur Salonfähigkeit auch den Geist zu kostümieren. Arme Menschheit! Auch für deinen Geist machst du dir Moden!
Ich hatte den besten Willen, unter so vielen Hüllen nach dem reinen Menschen zu suchen – ach, ich fand ihn nicht! Dann sah ich mir diejenigen an, die mir vor der Allgemeinheit als außergewöhnlich schön oder liebenswürdig oder geistvoll bezeichnet wurden. Das erstere ließ ich gern gelten, ihren Anblick wie ein Kunstwerk genießend. Auch von der Liebenswürdigkeit ließ ich mich entzücken, so oft es gehen wollte. Allein bereits bei den ›Geistvollen‹ erlaubte ich mir, ehe ich mit dem bewundernden Ausruf bereit war, ein bescheidenes Fragezeichen dahinter zu setzen. Ähnlich erging es mir bei solchen Frauen, die alle drei Eigenschaften in sich vereinigen sollten. Hier muß ich nun meine Enttäuschung gestehen. Wenn ich von diesen für meine Kunst: Menschen darzustellen, hätte lernen müssen, so wäre es traurig mit mir beschaffen gewesen. Ja, Toiletten, distinguierte Manieren, wie man die Schleppe wirft, den Fächer hält, sein Haupt trägt, mit lässiger Anmut sich in einen Fauteuil schmiegt, mit höchster Kunst der Enthüllung weiße, tief entblößte Schultern zeigt, einen schönen Arm hebt, auf leeres Geschwätz mit leerem Geschwätz antwortet, mit ›vornehmem‹ Nicken dem Gruße eines Herrn dankt, daß ich, wenn ich der Mann wäre, nicht zum zweitenmal den Hut abziehen würde. – Dergleichen konnte ich freilich bis zur Meisterschaft lernen, alles Dinge, die ich indessen für eine Iphigenie oder Brunhilde wenig gebrauchen konnte.
Nicht viel besser erging es mir mit den meisten Männern. Viele davon mochten ja sein, was man sie nannte: geistreich, interessant. Ich ließ sie interessante Männer sein, ohne mich für sie interessieren zu können. Gegen diesen Repräsentanten der jeunesse dorée, wie sie in zahlreichen Exemplaren dieser angenehmen Männerspezies frisiert und parfümiert mit gekräuselten Stutzerbärtchen und langen, rosigen Nägeln, mit Binokel und Monokel die typische Staffage aller Salons bilden, besaß ich eine Antipathie, die leider nicht gegenseitig war. Ebensowenig reizvoll erschienen mir unsere jungen Halbgötter mit Sporen und Epauletten, die Helden des Kasinos und Jockeiklubs, die angehenden Diplomaten und angehenden Wüstlinge, die Männer von Welt mit Erfahrungen, welche die Ursache davon waren, daß sie frühzeitig ihre Haare färben und hinter ihren Augengläsern zwinkern mußten, sobald man in ihrer Gegenwart so jugendlich schwärmerisch von tugendhaften Frauen sprach. Fast jedem dieser Herren galt eine Schauspielerin für ein Weib, das auf der Bühne wie im Leben für schätzenswerte Eigenschaften bezahlt werden konnte, dort mit dem Gelde aller für ihre Kunst, hier mit dem Gelde einzelner für ihre Gunst.
Darauf war ich nicht gefaßt gewesen; nein darauf nicht!
Als ich die Entdeckung machte – machen mußte, war ich ganz außer mir. Ich erschien mir als Künstlerin wie als Weib gleich geschändet. Nicht, daß jene Menschen so schändlich von uns denken konnten, war es, was mich empörte – sie würden es ja nicht, besäßen sie für ihre Meinung keine triftigen Gründe, hätte ihnen mein Geschlecht nicht volle Ursache gegeben, zu glauben, daß jeder Wüstling uns begehren dürfe, jeder Lüsterne seine Hand nach uns ausstrecken könne, ohne befürchten zu müssen, von beleidigter Frauenwürde zurückgewiesen zu werden. Mit bebender Scham empfand ich, wie ich es nur meiner Persönlichkeit zu danken hatte, daß man nicht wagte, sich mir mit jenen abscheulichen Zudringlichkeiten zu nähern, die von anderen meines Berufes nicht immer als nichtswürdig empfunden werden mochten. Es war mir keine Beruhigung, daß man mich äußerlich wenigstens als ein tugendhaftes und stolzes Mädchen zu respektieren schien. Mußte ich doch den Argwohn hegen, daß so und so viele überzeugt waren, wie ich vielleicht nur ebendeshalb tugendhaft sei, weil der Rechte noch nicht gekommen war. Dieser »Rechte« mochte nach der Meinung der Gesellschaft ein Millionenmann oder eine Durchlaucht sein.
Und da sollte ich keinen Entrüstungsschrei ausstoßen?! Ich tue es noch heute!
Zwanzigstes Kapitel
Ich lebe
Auch die hohe Aristokratie eröffnete mir ihre Salons; das heißt: sie beehrte mich mit Einladungen zu ihren Diners, Soupers und Routs. Aber obgleich man sich sehr liebenswürdig – sehr herablassend gegen mich benahm, war ich für die Auszeichnung wenig dankbar. Sehr bald schlug ich diese Einladungen gänzlich aus. Ich machte nämlich einige recht schlimme Erfahrungen. Wurde ich doch von vielen Herrschaften unter der stillen Voraussetzung gebeten, daß ich die Ehre Trüffelpastete und Mockturtlesuppe mit ihnen speisen zu dürfen, durch eine Deklamation gewissermaßen abzahle. In andern Salons wiederum verwandte man mich lediglich zur Dekoration: ich war die gefeierte Hofschauspielerin.
Was ich außerdem etwa sein mochte, war völlig gleichgültig.
Oft genug kam es vor, daß man mich für Salonproduktionen honorieren wollte. Diese waren wenigstens noch die Ehrlichen. Aber das verhinderte mich nicht, sie abzuweisen.
In diesem ganzen Verkehr mit der großen Welt mußte ich deutlich wahrnehmen, wie jene gewisse rotseidene Schnur, welche ihrer Zeit die französische Aristokratie von der in ihren Salons aufwartenden Kunst trennte, auch hier noch unsichtbar zwischen jenen und meinesgleichen gezogen war. Da ich diese Art von glänzendem Pariatum einfach für abscheulich hielt, ließ ich mich nicht lange dadurch entwürdigen. Ich reflektierte dabei so: War ich eine Künstlerin oder war ich das nicht? Ist die Kunst etwas Schönes, Großes und Geweihtes oder ist sie das nicht?! Und wenn sie das ist – und wer möchte den Glanz der Sonne bezweifeln? – wie sollte sie sich dann nicht dem Besten und Höchsten ebenbürtig fühlen?!
Seine liebe ›Idealistin‹ hatte mich Fernow oft genannt; ich erwehrte mich anfangs dieses Namens, da ich mich desselben nicht so würdig hielt. Nun ich die Welt kenne, weiß ich, daß er recht hatte, daß ich damals wirklich Idealistin war; ja, es heute noch bin. Trotzdem ich manche Illusionen gar nicht besaß, blieben doch noch immer genug, um schmerzliche Zerstörungen erleiden zu müssen. Ein junger Mensch ohne Ideale – das wäre ja auch zu traurig! Mit warmem Herzschlag und junger Begeisterung in der Brust an keine beste und schönste Welt zu glauben – wer möchte dann leben? Der Gottheit Göttlichkeit, der Menschheit Menschlichkeit, Würde, Kunst, reines Glück, Treue, wer könnte, wenn er jung ist, dieser schönen Illusionen, dieser ›Ideale‹ entbehren?! Und so vieles davon ist ja auch mehr als nur Ideal und Illusion. Wohl ist es wahr; mancher holde Wahn wird grausam, unerbittlich zerstört, aber ebenso manche glückselige Einbildung in Wirklichkeit verwandelt. Wie vielen, die an der Menschheit verzweifeln müssen, bleibt die Gottheit. Wie viele, die der Jammer des Lebens entsetzt, preisen die Arbeit des Lebens! Und welcher Mensch vermöchte an der Gottheit der Kunst zu rütteln? Sie, die in ihrem Ursprung Glück ohne Leid, Lust ohne Schmerz ist, ist immer Erhabenheit und höchster Ausdruck des besten Wesens der Menschheit! Daß wir noch besitzen, was Phidias geschaffen, daß Raffael seine Madonnen und Michelangelo seine Erschaffung Adams gemalt, daß Sophokles die Antigone, Shakespeare den Hamlet, Goethe den Faust gedichtet – wer kann der Menschheit diesen köstlichen Besitz je schmälern oder gar rauben?
Und Liebe und Treue. – Ich habe beides besessen, ich weiß es! Noch heute ist das eine das heilige Feuer, die auf dem Altar meines Herzens als Opferstamme lodert; noch heute ist das andere der feste Stab, auf den ich mich stütze, als reiche mir ein Gott seine Hand – – Vergib mir, ewiges Schicksal, wenn ich jemals in einem ungerechten Augenblick dich angeklagt und mich elend genannt habe.
Vier Jahre war ich an der Hofbühne gewesen, als ich einem guten Menschen einen schweren Schmerz zufügen mußte. – – Mein