Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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nicht mehr aus dem Hause! Was für die Wirtschaft notwendig war, hatte bis dahin fast alles der Mann besorgt. Fortan besorgte er es ausschließlich.

      Um sich nicht zu Tode zu langweilen, wollte sie wieder Modell stehen. Aber da kam sie bei ihrem Giusé schön an.

      Es gab Zank, Streit und immer wieder Zank und Streit, mit leidenschaftlichen Gebärden, wütenden Blicken, kreischenden Worten ihrerseits geführt; von seiner Seite gewöhnlich nur unterstützt mit einem Zucken seiner mächtigen und doch so kraftlosen Hände.

      Also gut! Sie sollte wieder Modell stehen! Aber nur ihrem Manne!

      Er stellte auch wirklich eine längst verstaubte Staffelei in Bereitschaft, spannte eine mächtige Leinwand auf, die erst vom Schmutze gereinigt werden mußte, kramte aus Winkeln und Ecken Farben und Palette hervor.

      Nun putzte er sein Modell heraus; jetzt so, dann wiederum so. Bald löste er ihr wundervolles blauschwarzes Haar, hüllte sie ganz darin ein; bald mußte es wieder eingeflochten werden, und er knotete es eigenhändig in dem herrlichen Nacken zusammen.

      Er gab ihr diese und jene Pose. Aber sie war in einer jeden so schön, daß er nicht wußte, welche er wählen sollte.

      Endlich kam er so weit, daß die Arbeit angefangen werden konnte.

      Jeden Morgen begann er mit dem Herausputzen seines wunderbaren Modells, stellte es, wollte malen, die Leinwand füllen; aber – es ging nicht!

      Er quälte sich bis zur Verzweiflung, bis zur völligen Ermattung, bis zum halben Wahnsinn.

      Aber – es ging nicht!

      Dabei füllte sich seine Seele mit einem ganzen Maria-Zyklus: Bild auf Bild drängte herbei! Und jedes Bild, jede Gestalt war ein Kunstwerk, ein Meisterwerk – in der Phantasie.

      Aber auf die Leinwand brachte er nichts, gar nichts!

      Sank er erschöpft in sich zusammen, so sprang sie auf, ergriff das Tamburin, warf die Arme über das Haupt und tanzte wild und toll den Saltarello.

      Oder sie stürzte wie ein Raubtier auf ihn zu und biß ihn in die weichen roten Lippen.

      So lebten die beiden ...

      Um jedoch überhaupt leben zu können, mußte schließlich etwas getan, etwas gearbeitet werden, wenn die Albanerin auch mit ihrer ewigen Minestra, ihrem bescheidenen Salat und dem trockenen Brot vollständig zufrieden war und er, der junge Riese, sich beinahe ausschließlich mit letzterem begnügte.

      Also mußte er zeichnen und zeichnen, Karikatur auf Karikatur, eine ganze Galerie von Zerrbildern, die seine wunderschöne Frau viel zu häßlich fand, um darüber lachen zu können.

      Denn sie wußte genau, was schön war, erkannte klar die Unfähigkeit ihres Mannes.

      Sie fing an, ihn zu verachten ...

      Jetzt ward es still in den öden Kammern. Die junge Frau ging fast keinen Schritt mehr aus dem Hause, lauerte den ganzen Tag in einem Winkel, gebärdete sich nicht mehr wie eine Rasende; aber sie putzte sich auch nicht mehr, wollte nicht mehr Modell stehen, spielte nicht mehr das Tamburin, tanzte nicht mehr den Saltarello, küßte ihren schönen Giusé nicht mehr.

      Dieser verzehrte sich in Liebe, Leidenschaft, Eifersucht. Er bewachte sie Tag und Nacht; er wurde hohläugig, fiebernd, krank.

      Dann wurde ein Kind geboren, ein Mädchen. Der junge Vater war selig, und die Mutter – die Mutter war eines schönen Tages, kaum vierzehn Tage nach der Geburt ihres Kindes, spurlos verschwunden.

      Joseph Auzinger lief von dem Kinde fort. Er suchte die Mutter. Einen ganzen Tag, eine ganze Nacht suchte er sie. Er lief zu Bekannten, die ihn längst nicht mehr kannten; er lief in die Ateliers von Wildfremden, die ihm die Tür wiesen; er lief zu allen italienischen Modellen Münchens, denen er sich oft nicht einmal verständlich machen konnte.

      Er fand nichts, gar nichts!

      Er kam nach Hause .... Da erst fiel ihm das Kind ein – ihr Kind! Es war, während der Vater nach der unnatürlichen Mutter suchte, sicher gestorben. Es mußte umgekommen sein. Er hatte es getötet!

      Er stürzte die steilen Treppen hinauf .... Da hörte er kräftiges Kindergeschrei, das ihm wie Engelsgesang erklang.

      Ihr Kind lebte!

      Eine wildfremde Frau hatte inzwischen an seinem verwaisten Kinde aus Barmherzigkeit Mutterstelle vertreten.

      Nun suchte er nicht mehr nach der Verlorenen; keinen Schritt tat er mehr um ihretwillen aus dem Hause. Er mußte bei dem Kinde bleiben, mußte für das Verlassene sorgen.

      Wunderbar, wie schnell und gut er das lernte. Es war die einzige Kunst, die der junge Mann mit dem hellen Haar und der düsteren Seele jemals ausüben konnte. Hier vollbrachte er das große Werk, welches ihm sonst nur glanzvoll vorschwebte, hier erwies sich der Dilettant als Meister.

      Wenn er die kleine Prisca nicht wartete, kauerte er vor dem Bette, darin das Püppchen eingebündelt lag, starrte dem winzigen Ding ins Gesichtchen und spähte angstvoll nach einer Ähnlichkeit mit der unnatürlichen Mutter.

      Aber er fand keine Ähnlichkeit! Außer in den Augen nicht die geringste.

      Fortan grübelte der Vater stundenlang darüber, ob es für seine Tochter nicht besser gewesen wäre, überhaupt nicht geboren zu werden.

      Wie gerade die vollsaftigsten und massivsten Naturen oft durch eine Kinderkrankheit zugrunde gerichtet werden, so erging es schließlich auch Joseph Auzinger. Er erholte sich nicht mehr von dem Schlage, der sein Gemüt getroffen hatte.

      Sein Leben wurde zu einem völligen Siechtum.

      Er fuhr fort, sich die Seele mit leuchtenden Gestalten zu füllen und dabei seine Karikaturen zu zeichnen, sein Kind mit der Sorgfalt einer treuen Wärterin aufzupäppeln und dabei in die Augen der Kleinen zu schauen. Aber ein verlorener Mensch war und blieb er.

      Allmählich nahm er die Gewohnheit an, häufig vor sich hinzusprechen: mit einer leisen, melancholischen Stimme, auf die das Kind lauschte wie auf Wiegengesang. Er redete zu sich selbst von den göttlichen Gestalten, die er in sich trug, von seiner leidenschaftlichen Sehnsucht nach einem fernen Lande voller Schönheit und Glanz, das er wie eine Vision erblickte und doch niemals in Wirklichkeit betreten hatte.

      Diese Selbstgespräche des Gemütskranken waren die Märchen, die Priscas Phantasie erfüllten und von der Erde hinwegführten. Sie kam selten ins Freie, kannte keine Kinderspiele, kein Kinderglück; aber sie verkümmerte darum doch nicht. Es war, als hätte sie von ihres Vaters Voreltern die groben Fäuste und die unverwüstliche germanische Natur ererbt. Ihr helles Gesicht und helles Haar erglänzten wie Sonnenschein in der dunkeln Wohnung; ihre frische, fröhliche Stimme füllte die öden Räume mit Leben und Klang.

      Von ihren Fenstern aus ließ sich nur ein kleines Stück Himmel erspähen. Diesen einmal »ganz« zu sehen, war Priscas sehnsüchtigster Wunsch.

      Einmal hatte Joseph Auzinger einen guten Tag. Obgleich es weder Sonntag noch Feiertag war, durfte Prisca ihr bestes Kleidchen anziehen und ihren Vater hinausbegleiten. Sie gingen durch die Arkaden des Hofgartens, und dem Kinde wurden zum erstenmal die »Rottmann« gezeigt. Höchlich verwundert schaute die Kleine auf; die Rottmann waren gar keine schrecklichen Riesenmenschen, wie sie sich stets vorgestellt hatte, sondern hübsche, bunte Bilder auf leuchtenden Wänden. Am besten gefiel ihr das tiefdunkle Blau, womit Himmel und Erde von dem genialen Künstler reichlich bedacht worden waren.

      Auzingers Seele verweilte indessen in den Ruinen des griechischen Theaters von Taormina, an den Zaubergestaden des Golfes von Neapel, auf dem Gipfel des Berges Cavo bei Rom. Von dort aus konnte man die schöne Heimat des jungen Weibes sehen, welches ihm das Herz gebrochen hatte.

      »Dahin, dahin, laß uns, o Tochter, ziehn!«

      »Dahin« zog der gute Auzinger nun freilich nicht. Zu solcher Fahrt reichte der Ertrag der Karikaturen nicht aus; obgleich sie ihm jetzt besser bezahlt wurden, weil sie, je mehr sein Gemüt sich verdüsterte, um so galliger und giftiger wurden. Aber sie trugen wenigstens genug