Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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noch besser, sogleich. Und sie näherte sich ihm.

      Sascha saß in einer Ecke und starrte zu der Prinzessin hinüber, die sich in einem eifrigen Gespräch mit der Fürstin und ihrem Vetter befand. Jede ihrer Mienen beobachtete, bewachte er. Wie sie mit diesem feinen, schönen Herrn sprach; ganz anders als mit ihm! Zum erstenmal, seit sie sein geworden, sah er sie mit ihresgleichen verkehren. Nicht ein einziges Mal blickte sie zu ihm herüber, obgleich sie wissen mußte, wie es in ihm aussah, wie er nur Augen und Ohren hatte für sie, wie er nichts dachte und fühlte als sie. Plötzlich war sie ihm entfremdet, ihm entrückt und entrissen. Selbst ihre Bewegungen kamen ihm anders vor, und anders, ganz anders klang ihre Stimme. Vielleicht war sie froh, daß sie sich nicht mit ihm allein befand, nicht seine Küsse dulden, seine Küsse nicht erwidern mußte. Vielleicht stellte sie gerade jetzt, während er sich in Qualen verzehrte, Vergleiche an zwischen ihm, dem Bauernsohn, mit diesen Gliedern, diesem Gesicht, mit solchen groben Gedanken und Empfindungen, mit solcher wütenden Leidenschaft, und dem anderen, Boris Alexeiwitsch.

      Er fühlte, wie es in ihm kochte, wie es zu seinem Gehirn drang, wie ein dumpfer Druck sich darauf legte. Er schloß die Augen. Da hörte er dicht neben sich Weras Stimme. Aber er öffnete die Augen nicht. Um keinen Preis der Welt hätte er sie jetzt ansehen können.

      »Komm heraus, in den Hof, ich habe dich etwas zu fragen.«

      Er wußte sofort, was sie ihn zu fragen hatte, aber er sagte: »Wir können uns nicht von hier fortstehlen; Wladimir Wassilitsch wird gleich kommen. Es sollen wichtige Dinge beraten werden.«

      »Wichtige Dinge habe ich dir zu sagen. Also komm.«

      Es war ein Ton in ihrer Stimme, dem nicht zu widerstehen war.

      Sie trat von ihm fort und verließ nach einer Weile das Zimmer. Da stand auch Sascha auf, warf noch einen Blick auf die Prinzessin und folgte seiner Freundin. Anna Pawlowna, welche die beiden beobachtet hatte, sah ihm mit einem eigentümlichen Blicke nach.

      Auf dem Hofe erwartete ihn Wera und ging, ohne ein Wort zu sagen, ihm voraus, dem Schuppen zu. Es war eine finstere Nacht, nur wenige Sterne am Himmel. Sascha war die Dunkelheit lieb, konnte Wera ihm doch nicht ins Gesicht sehen. Während er möglichst langsam hinter ihr herging, legte er sich zurecht, was er ihr sagen wollte. Anna Pawlowna sei eine Göttin und er nicht wert, den Saum ihres Kleides zu küssen. Aber Wera Iwanowna – Was mußte Wera von ihr denken? Von ihr, die er bis in den Himmel erhob?

      Da redete sie ihn an: »Sascha!«

      »Nun ja, ich bin's. Warum hast du mich herausgerufen? Welcher Unsinn! Du hättest ebensogut drinnen mit mir reden können. Was soll das heißen?«

      Er sprach wie in früheren Zeiten; unsicher und stockend. Sie ließ ihn ausreden und begann, als ob er nichts gesagt hätte, von neuem: »Wir haben einander lange nicht gesehen.«

      »Es sind einige Tage her. Nennst du das lange?«

      »Wo warst du? Doch danach will ich dich jetzt nicht fragen.«

      »Und warum nicht? Frage nur.«

      »Du wirst mir später alles von selbst sagen.«

      »Es ist kein Geheimnis. Ganz Moskau kann es wissen, alle Welt! Ich war – –«

      Aber sie unterbrach ihn.

      »Schweige! Du würdest mir ja doch nicht die Wahrheit sagen; jetzt noch nicht.«

      Und Sascha schwieg. Sie standen nebeneinander in der Finsternis. Beide mußten jener Osternacht gedenken, wo sie vor ihrem heimatlichen Steppendorfe auf der Landstraße beisammen gestanden und Wera ihre Augen angestrengt hatte, in das Gesicht ihres Freundes zu spähen. Aber Sascha blickte von ihr weg nach dem Hause hinüber, das in diesem Augenblick Anna Pawlowna beherbergte. Und er war nicht bei ihr. Was hatte er hier draußen bei Wera zu stehen, wenn sie dort drinnen bei Boris Alexeiwitsch war.

      »Wo willst du hin?«

      »Ins Haus.« Und er war schon einige Schritte von ihr entfernt.

      »Einen Augenblick wirst du wohl noch bleiben können. Ich habe dich seit Wochen täglich erwartet, immer vergebens. Ich wußte, daß du heute hier sein würdest. Hauptsächlich deshalb kam ich.«

      Zögernd und widerwillig zurückkommend, meinte er mürrisch: »Sprich nur; aber sprich schnell. Ich muß wirklich hinein.«

      »Wir wollen wie gute Freunde miteinander reden, uns beraten und besprechen wie Bruder und Schwester.«

      »Du bist sehr gut, du weißt, daß ich dich immer sehr liebgehabt habe; du bist weit besser als ich,« meinte er, nur um etwas zu sagen.

      »Laß das,« erwiderte sie herbe. Dann sprach sie mit leiser, weicher Stimme weiter: »Als ich noch in Eskowo war, nicht aus noch ein wußte, meine Hände nicht regen konnte und meine Seele wie tot in mir fühlte, da kamst du zu mir. In der Osternacht kamst du und wecktest mich. Jetzt komme ich zu dir, möchte dich wecken, stehe vor dir und rufe dich an: »Sascha, Sascha! Was ist aus dir geworden?«

      »Was soll aus mir geworden sein?«

      Wera sprach weiter: »Schon als Kinder waren wir beide getreue Kameraden, zwei recht ehrliche kleine Leutchen. Das waren gute Tage: Weißt du noch? Im Sommer spielten wir zusammen auf der Wiese und im Birkenwäldchen und pflückten Blumen. Sie waren das einzige Schöne in unserem Leben. Anna Pawlowna – – Was hast du? Soll ich still sein?«

      »Sprich nur; ich höre.«

      »Und Anna Pawlowna war damals schon eine junge Dame und schon damals sehr stolz. Einmal sahen wir sie lachen, als vor ihrem Fenster ein Bauer geprügelt wurde – –«

      Sascha fuhr auf: »Das war damals! Jetzt liebt sie das Volk. Sie lügt nicht!« rief Sascha heftig.

      »Das war damals,« sprach Wera Sascha nach. »Damals verachtete Anna Pawlowna das Volk, damals hatte sie Lust an seinen Leiden, damals haßtest du sie.«

      »Ich, Anna Pawlowna – –«

      »Du.«

      »Wie ist das möglich? Wie konnte ich so schlecht sein? Ich Anna Pawlowna hassen; sie, die so gut, so stolz, so schön ist! Übrigens solltest du nicht in solcher Weise von ihr reden; wirklich nicht! Du begehst ein großes Unrecht gegen sie. Gerade wie Wladimir Wassilitsch und alle die anderen. Du kennst sie eben nicht. Ich kenne sie und ich – – Ich verehre sie. Das solltest du auch. Wirklich.«

      Er stieß jedes Wort mühsam hervor und schwieg wie erschöpft von der Anstrengung, die das Sprechen ihn kostete. Wera wartete eine Weile und nahm dann in ihrer ernsten, eindringlichen Art ihre Rede wieder auf: »Damals kam Boris Alexeiwitsch nach Eskowo; er war hochmütig und gar nicht gut. Mich haßte er, weil – nun, weil ich auch stolz war. Du aber sagtest: Wenn ich ein Mann geworden bin, schütze ich dich vor ihm.« Sie schwieg, nach einer Pause schloß sie leise: »Jetzt bist du ein Mann geworden.«

      »Aber Boris Alexeiwitsch tut dir ja nichts,« rief Sascha. »Du mußt wirklich nicht so wunderlich sein. Wovor soll ich dich schützen? Du schützest dich selbst, du bist stark.«

      »Nenne mich nicht so!« fuhr Wera heftig auf. »Stark! Als ich noch in Eskowo war und dem Starosten verwehrte, sich mit Branntwein zu betrinken und Ungerechtigkeiten zu begehen, da war ich stark. Als ich in meiner Einsamkeit wartete und harrte, jahraus, jahrein, da war ich stark! Und ich war's, als du kamst und mich ins Leben hinausholtest, allmächtiger Gott, mit welchen Hoffnungen, mit welchem Glauben! Aber jetzt – –«

      »Es tut mir weh, dich so reden zu hören,« murmelte Sascha. »Sehr weh tut es mir.«

      Da trat sie auf ihn zu, umschlang ihn mit beiden Armen und flüsterte leidenschaftlich, mit ersticktem Schluchzen: »Sascha, mein treuer, lieber Freund, halte jetzt, was du als Knabe versprochen. Schütze mich! Schütze uns beide! Nicht vor der Welt, sondern vor uns selbst. Wir wollen einander helfen, stark zu sein, wir wollen miteinander leiden, zwei treue, ehrliche Kameraden, wie wir es als Kinder gewesen sind. Hilf uns beiden, daß wir – Sascha! Sascha! daß wir nicht beide schlecht werden.«

      »Schlecht?« Er löste sich von