Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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sei nicht zu sprechen. Sascha entschuldigte sich höflich, dankte, begab sich wieder auf die andere Seite der Straße hinüber und setzte sein Wächteramt fort.

      Dann sah er Boris Alexeiwitsch herangeschlendert kommen, schön, elegant, ein Herrchen wie aus Marzipan. Boris Alexeiwitsch ging in den Palast, ohne den sich bis auf den Boden verneigenden Wortschick eines Blickes zu würdigen. Sascha dachte: Der begibt sich jetzt zu Wera Iwanowna. Und plötzlich fühlte er einen Schmerz, als ob an seinem Herzen gerissen würde. Aber, beruhigte er sich, Wera Iwanowna ist stolz; Wera Iwanowna ist stark. Boris Alexeiwitsch wird sich wundern. Und wenn er erst wüßte – – Doch das würde er nicht glauben; das ganz sicher nicht! Wie könnte er auch? Er würde wütend sein. Wera Iwanowna wies ihn, Boris Alexeiwitsch, zurück und Anna Pawlowna – – Rasen würde er. Es war seine Cousine und er bewunderte sie ungemein – natürlich.

      Sascha wurde unruhig. Er begab sich hinweg, irrte durch die Straßen, immerfort an Boris Alexeiwitsch denkend und daß dieser Anna Pawlowna natürlich auf das höchste bewunderte. Und Anna Pawlowna? Sie verachtete ihn. Das war ein Trost. Wenn er nur nicht ein gar so seines, schönes, duftendes, freches Herrchen gewesen wäre. Aber sie verachtete ihn ja!

      Er machte kehrt; fast, daß er lief. Atemlos kam er beim Palast an.

      Ob Anna Pawlowna noch immer nicht zurück, noch immer nicht zu sprechen wäre? Der Wortschick jagte ihn fort, und als er nach einer Weile zum drittenmal kam, hätte er mit seinem langen Stock fast nach Sascha geschlagen.

      Nun ging er nach der Teeschenke, allen seinen Mut zusammennehmend, um Marja Carlowna in die Augen zu sehen. Die schöne Wirtin, die seit jener Nacht in ihrem Wesen gegen ihn eine Scheu und eine Demut zeigte, welche Sascha höchst peinlich waren, teilte ihm mit, daß Wladimir Wassilitsch nach ihm gefragt und die Botschaft hinterlassen habe, er möge sich am Abend bei ihm einfinden.

      Das wird wieder etwas Rechtes sein, dachte Sascha. Wir werden schwatzen und schwatzen und unterdessen wartet Anna Pawlowna auf mich. Welche Torheit!

      Achtes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Am Abend traf man sich in der Preobraschenskaja-Vorstadt. Die Läden des Gartenhauses waren fest geschlossen, so daß kein Lichtstrahl hindurchdringen konnte; überdies hielt Colja auf dem Hofe Wache. Sowohl die Fürstin wie Anna Pawlowna kamen zu Fuß, Boris begleitete Wera und Natalia, Sascha kam allein. Er war der letzte.

      Man begrüßte sich und wartete auf Wladimir Wassilitsch, der bereits seit dem Morgen von Hause abwesend war. Jeder war in seinem Gemüt mit ganz anderen Dingen beschäftigt, als mit denjenigen, um derentwillen man sich zusammengefunden. Einer beobachtete den anderen und fand in dem Benehmen eines jeden dieses und jenes Auffällige. Boris Alexeiwitsch mußte lächeln, als er die Fürstin Danilowsky erblickte, in einem eigens für diese Gelegenheit komponierten Kostüm, darin die Dame wie eine Salonpetroleuse aussah. Natürlich merkte er sofort, warum sie gekommen war; er drückte indessen sein höchstes Erstaunen darüber aus, sie in der Preobraschenskaja-Vorstadt zu treffen, beglückwünschte sie zu ihrem Entschlusse, der Sache des Volkes angehören zu wollen und stellte ihr Wera vor, deren Schönheit auf die Fürstin einen geradezu vernichtenden Eindruck machte. Kaum vermochte sie sich zu beherrschen. Wera sah sie mit großen Augen an, vollständig ahnungslos, wodurch sie das Mißfallen der vornehmen Dame erregt haben könnte.

      Mit Sascha sprach Wera kein Wort und vermied es, ihn anzusehen; so bemerkte sie denn nicht, daß auch Sascha sich am liebsten vor ihr verborgen haben würde. Anna Pawlowna hatte sie bei ihrem Kommen auf die Wange geküßt und freundlich angeredet, aber keine Antwort erhalten. Selbst Natalia Arkadiewna gegenüber hatte Wera das Gefühl, als ob sie sich von ihr entfernt hätte. Ihre Einsamkeit drückte ihr das Herz zusammen. Boris Alexeiwitsch mußte sie verstehen; denn wenn er zu ihr redete, hatte seine Stimme etwas so Weiches, Mildes, Trauriges; mit solchen Augen und solcher Stimme dachte sie sich Puschkins Onegin. Als Tania mit einer Lampe eintrat, erschrak sie fast. Unwillkürlich wandte sich Wera Boris zu, als wollte sie aus seinem Gesicht ablesen, welchen Eindruck auch auf ihn die holdselige Erscheinung machte. Tania war ja Puschkins Tatjana! Es versetzte ihr den Atem, als sie sah, wie Boris Alexeiwitsch Tania voller Erstaunen anblickte. Aber nur einen Augenblick. Dann wandte er sich wieder zu ihr, sie fragend, ob er morgen kommen dürfe, um ihr das Gedicht weiter vorzulesen?

      »Warum wollen Sie mir das Buch nicht lassen?« meinte sie leise. »Bitte, geben Sie es mir.«

      Er schüttelte lächelnd den Kopf.

      »Das geht nicht. Sie müssen sich mein Vorlesen wohl oder übel gefallen lassen. Es macht mir überdies ein unsägliches Vergnügen, denn Sie haben ein wahres Genie, zuzuhören.«

      »Wie?«

      »Sie erleben, was Sie hören.«

      »Soll ich das nicht?«

      »Gewiß. Ein Dichter müßte glücklich sein, Ihnen sein Werk vortragen zu dürfen.«

      »Ich verstehe aber nichts von Poesie.«

      »Das ist es eben! Wenn Sie die Poesie ›verständen‹, so würden Sie bald aufhören, sie zu empfinden. Und Empfindung – das ist alles.«

      »Ich wußte gar nicht, daß es so Herrliches auf der Welt gäbe.«

      »Wie die Poesie es ist?«

      »Wie das Gedicht, das Sie mir vorlesen.«

      »Aber gestehen Sie nur, Onegin selbst ist Ihnen verhaßt. Seien Sie aufrichtig!«

      »Ich fürchte mich vor diesem Manne. Er wird Tatjana unglücklich machen – er muß es.«

      »Muß er?«

      »Gewiß. Das liegt in seiner Natur, er kann gar nicht anders.«

      »Wie gut Sie ihn verstehen!«

      »Ich verstehe ihn gar nicht,« erwiderte Wera eifrig. »Aber ich fühle, daß es so sein muß. Er tut mir leid.«

      »Onegin? Er geht auch in der Tat durch Tatjana zugrunde. Ein schöner Tod. Sehen Sie nur, wie die Fürstin uns beobachtet.«

      Wera blickte um sich.

      »Warum sieht sie immer her? Habe ich ihr etwas getan?«

      »Sehr viel.«

      »Was?«

      »Sie sind schöner als sie.«

      »Mein Gott!«

      »Mit einem Wort, sie ist eifersüchtig.«

      »Auf mich?«

      »Sicher.«

      Wera trat schnell von ihm fort; mit einer solchen heftigen Gebärde, einem solchen finsteren Blick, daß Boris sich auf die Lippen biß.

      Wera ging auf Tania zu, welche die Lampe auf den Tisch gestellt hatte und nun in einer Verlegenheit dastand, die sie reizend kleidete. Ihre Freundin grüßte sie.

      »Ach, Tania, wie freue ich mich, dich zu sehen. Wie geht es dir?«

      »Recht gut. Wladimir Wassilitsch hat mir erlaubt, den Tee für die Herrschaften zu machen.«

      Auch Natalia Arkadiewna näherte sich Tania und flüsterte ihr zu: »Du darfst dich nicht so grämen. Liebste. Jeder merkt dir an, daß du Kummer hast. Ist Wladimir Wassilitsch unfreundlich gegen dich?«

      »Nein, nein! Wie kannst du denken! Er ist sehr nachsichtig, aber ich – –«

      Sie begegnete einem Blicke Weras und verstummte, Wera mußte sich Gewalt antun, sich nicht zwischen die beiden zu drängen. Es war ihr unerträglich, Natalia Arkadiewna neben Tania zu sehen. Boris Alexeiwitschs Worte: »Sie ist in ihn verliebt,« der Ton, mit dem er sie gesprochen, das Lächeln, mit dem er sie begleitet, wollten ihr nicht aus dem Sinn. Und wie hatte sie zu Natalia Arkadiewna aufgeschaut!

      Aber vielleicht war es nicht wahr. Sie nahm sich vor, mit Natalia Arkadiewna zu reden. Dabei