Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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Sie zu Wera Iwanowna gehen.«

      »Zu Wera Iwanowna? Wer ist das?«

      »Wera Iwanowna aus Eskowo. Sie wohnt bei der Barina. Ich glaubte zuerst, Sie wären Anna Pawlowna. Aber so ist es: Wenn Sie etwas über Boris Alexeiwitsch wissen wollen, müssen Sie Wera Iwanowna fragen.«

      »Nun gut. Indessen muß ich zuerst mit Tania Nikolajewna sprechen,« sagte die Fürstin entschlossen. »Also bringe mich zu ihr.«

      Colja überlegte. Dann meinte er, halb für sich selbst: »Sie sitzt immer allein, den ganzen Tag allein. Und wenn sie allein ist, so denkt sie an dies und das. An ihr Mütterchen, das sie verlassen hat, an Eskowo, daraus sie fortgegangen ist, an das Birkenwäldchen, wo niemand mehr ihr liebes, hübsches Gesicht sehen wird. Sie pflückt auch keine Blumen mehr, sitzt immer allein, denkt und denkt. Das ist nichts für ihr Köpfchen. Sie sollten es ihr sagen. Wollen Sie?«

      Das letztere flüsterte er ihr eindringlich zu, sie dabei flehentlich ansehend. Die Fürstin wußte nicht, was sie davon denken sollte, versprach jedoch, es Tania zu sagen.

      Coljas Gesicht strahlte auf. Er neigte sich tief, faßte das Kleid der Fürstin und drückte es an seine Lippen. Dann öffnete er vor ihr die Tür, die in das Arbeitszimmer der »Auferstandenen« führte.

      Tania befand sich allein. Sie saß am Tische, in ihrer Hand ein Stück Linnen, das sie beim Öffnen der Tür zu verbergen suchte: Wladimir würde schelten, sie bei einer solchen Arbeit zu treffen; für das Weib eines Terroristen gab es andere Dinge zu tun. Da sah sie die fremde Dame, stand auf und blieb am Tische stehen.

      Mein Gott, welche Schönheit! dachte die Fürstin, sich Tania nähernd und bemüht, ein möglichst liebreiches Gesicht zu machen. Colja steckte den Kopf durch die Tür, nickte Tania hinter dem Rücken der Fürstin heftig zu, machte einige unverständliche Handbewegungen, stieß einen dumpfen Laut aus und verschwand.

      »Sie suchen gewiß Wladimir Wassilitsch,« begann Tania schüchtern.

      »Sind Sie seine Frau?« fragte die Fürstin aufs Geradewohl, indem sie sich setzte.

      Die arme Tania errötete, schlug die Augen nieder und wagte nicht, eine Antwort zu geben.

      Die Fürstin wußte sogleich, woran sie war.

      »Nun, so sind Sie seine Geliebte,« sagte sie nachlässig. »Mein Gott, was kommt darauf an? Sie scheinen noch sehr jung zu sein. Wie alt sind Sie?«

      »Achtzehn Jahre.«

      Die Fürstin unterdrückte einen Seufzer.

      »Nun, Gott behüte Sie. Sie wissen gar nicht, wie glücklich Sie sind. Ist Wladimir Wassilitsch nicht eifersüchtig?«

      »Auf wen sollte er eifersüchtig sein?«

      Und sie schlug ihre sanften, strahlenden Augen auf. »Wie unschuldig Sie sind! Wie ich höre, kommt jeden Abend ein gewisser Boris Alexeiwitsch in Ihr Haus?« Dabei fixierte sie Tania scharf, ohne jedoch eine Spur von Erregung oder Verlegenheit an ihr zu entdecken.

      Die Fürstin atmete auf.

      »Sie kennen Boris Alexeiwitsch?«

      »Nein.«

      »Wie ist das möglich? Da er doch jeden Abend kommt – –«

      »Abends bin ich immer in meiner Kammer. Aber ich weiß, daß er kommt. Sie sprechen oft von ihm.«

      »Wer spricht von ihm?«

      »Nun, Wladimir Wassilitsch, Sascha und die anderen.«

      »Und Wera Iwanowna?«

      »Sie kommt auch jeden Abend. Gewöhnlich ist sie bei mir, aber Wladimir Wassilitsch läßt sie jedesmal herausrufen.«

      »Weshalb?«

      »Das weiß ich nicht.«

      Das heißt, du willst es mir nicht sagen, meditierte die Fürstin. Dann fragte sie: »Ihr Liebhaber ist Student? Vielmehr Nihilist.«

      »Ich werde Ihnen nichts sagen,« erwiderte Tania erblassend. »Fragen Sie mich also nicht.«

      »Sie haben recht, nichts verraten zu wollen. Aber ich bin eine Freundin von Anna Pawlowna, ihre Cousine. Nun werden Sie begreifen. Ich komme her, um Wladimir Wassilitsch meine Dienste anzubieten. Sie dürfen mir also Vertrauen schenken. Nicht wahr, mein Kind, diese Wera Iwanowna ist die Geliebte von Boris Alexeiwitsch?«

      »Wera Iwanowna ist niemandes Geliebte. Wenn Sie sie kennten, würden Sie das nicht von ihr denken. Sie ist stolz und stark, viel besser als ich und – –«

      Sie verstummte. Ihr fiel ein, daß Wladimir wünschte, Wera sollte die Geliebte Boris Alexeiwitschs werden; sie erinnerte sich, daß er ihr befohlen hatte, Wera über Boris Alexeiwitsch auszuforschen.

      Die Fürstin stand auf.

      »Das muß ja ein wunderbares Wesen sein, Ihre Freundin Wera Iwanowna. Kann man sie nicht kennen lernen und wo?«

      »Sie wohnt bei Anna Pawlowna.«

      »Was hat Anna Pawlowna mit ihr zu tun?«

      »Das müssen Sie die Barina selbst fragen.«

      Überall Geheimnisse, dachte die Fürstin. Aber ich werde sie kennen lernen. Mich hintergeht man nicht.

      Da hörte Tania jemanden kommen und erkannte Wladimirs Schritt; hastig raffte sie ihre Arbeit zusammen, stammelte einige Worte und ging in die Kammer. In demselben Augenblick trat Wladimir Wassilitsch ins Zimmer.

      »Sie hier, Fürstin?«

      »Sie kennen mich?«

      »Ich erwartete schon längst, Sie hier zu sehen,« erwiderte Wladimir nachlässig.

      »Wie kommen Sie dazu?«

      Das gleichgültige Wesen Wladimirs beleidigte sie. Sie nahm ihre fürstliche Miene an, mit der sie sehr hoheitsvoll aussehen konnte. Wladimir lächelte leicht.

      »Sie sind über Boris Alexeiwitsch beunruhigt, haben gehört, daß er jeden Abend dieses Haus besucht und kommen, um zu erfahren, was Boris Alexeiwitsch abhält, Ihnen zu Füßen zu liegen. Ich will es Ihnen sagen: Die Ursache ist ein Mädchen, namens Wera Iwanowna, eine Nihilistin. Boris Alexeiwitsch ist leidenschaftlich in sie verliebt und wird über kurz oder lang seinen Zweck erreichen. So stehen die Sachen.«

      Vielleicht zum erstenmal in ihrem Leben verlor die Fürstin die Fassung. Sie erblaßte unter dem Puder und machte Miene, das Zimmer zu verlassen. Doch blieb sie.

      »Wollen Sie nicht Platz nehmen?« fragte Wladimir höflich und schob ihr einen Stuhl hin. »Ich hoffe, daß Sie sich bei Tania Nikolajewna nicht gelangweilt haben. Sie versteht freilich nicht, Konversation zu machen.«

      »Die junge Person ist reizend. Ich sah selten so schönes Haar und niemals so traurige Augen.«

      »Finden Sie?«

      Er sah sie scharf an und runzelte die Stirn.

      »Dabei betet das arme Ding Sie an.«

      »Lassen wir das.«

      Die Fürstin lächelte. Sie hatte ihre Haltung wiedergefunden.

      »Da Sie alles zu wissen scheinen, wird Ihnen wohl auch bekannt sein, daß ich die Gesinnungen meiner Cousine teile.«

      »Sie setzen mich in Erstaunen.«

      »Wirklich?«

      »Auch Boris Alexeiwitsch ist einer der Unseren. Oder sollte Ihnen das unbekannt sein?«

      »Durchaus nicht. Ist er es doch, der mich belehrt hat. Wir haben oft miteinander über dieses Thema gesprochen. Ich hatte anfänglich gar kein Verständnis für die Sache; aber er besitzt eine große Fähigkeit, die Gemüter mit sich fortzureißen und zu seinen Ansichten zu bekehren. Mit einem Wort, ich kam her, um Sie kennen zu lernen und – –«

      Er unterbrach sie.

      »Sie wissen, daß wir