Was diese Art von Menschen für Manieren hat! dachte die Fürstin. Aber es ist interessant, auch das kennen zu lernen. Sie nahm die Lorgnette und betrachtete den jungen Terroristen genau. Er gefiel ihr ungemein, selbst sein zynisches Lächeln, mit dem er ihren Blicken begegnete, hatte einen gewissen Reiz für sie. Mit diesen blonden Locken, dem rosigen, schönen Gesicht, den weichen, roten Lippen und einem Geist, der vor nichts zurückscheute, war es jedenfalls ein Mensch, dessen nähere Bekanntschaft zu machen lohnen konnte. So sagte sie denn, seinen Blick erwidernd: »Verfügen Sie über mich.«
»Sie wollen es wagen?«
»Ja.«
»Dann kommen Sie diesen Abend her. Wera Iwanowna wird hier sein und – Boris Alexeiwitsch.«
»Das ist mir sehr gleichgültig; aber ich werde kommen.«
Wladimir Wassilitsch lächelte.
Sechstes Kapitel
Wenn Boris Alexeiwitsch sich in der letzten Zeit seiner Lieblingsbeschäftigung, der Selbstanalyse mehr als je hingab, so mußte er sich das Geständnis machen, daß er sich nicht mehr begriff. Ähnlich wie bei Anna Pawlowna, entsprang die heftige Neigung, die ihn für Wera ergriffen, einem letzten Rest von Sehnsucht nach den Idealen der Menschheit. Beide waren sich dessen wohl bewußt, beide reflektierten darüber und freuten sich ihrer Empfindung. Doch bestand zwischen ihnen der große Unterschied, daß sich die Frau aus Widerwillen gegen ihre sittlich verpestete Umgebung dem Volke zuwendete, während Boris Alexeiwitsch vor sich selbst und seinem eigenen angefaulten Leben Ekel empfand. Bei beiden entwickelten sich indessen die Dinge ganz anders, als sie selbst vermutet hatten. Anna Pawlowna wollte sich zu ihrem ehemaligen Leibeigenen wie eine Gottheit hinabneigen und stürzte dabei selbst zu Saschas Füßen; Boris Alexeiwitsch' erschlaffte Sinne wurden durch Weras stolze Schönheit gereizt; er hoffte auf ein Abenteuer von außergewöhnlichen Aufregungen begleitet und verfiel dem Banne einer Leidenschaft, welche die erste wahre und starke Empfindung seines Lebens war.
Gern erinnerte er sich jenes einen Augenblicks der Rührung über sich selbst. Er grübelte darüber nach, und ruhte nicht eher, als bis er entdeckte, daß das Gefühl, welches er an jenem Abend gezeigt hatte, aufrichtig gewesen, daß er in Wahrheit der bessere Mensch sei, als welcher er damals zu Wera geredet. Er sah sie, wie sie in dem Arbeitszimmer der Nihilisten vor ihm gestanden, von dem blassen Schimmer der Frühlingsnacht umflossen, ihr schönes Gesicht zu dem seinen aufgehoben, mit dem Ausdruck, wie er ihn bei einer Frau noch nie gesehen. Wenn er an ihren Blick, an den Glanz ihrer Augen dachte, entwich aus dieser verlotterten Seele jede gemeine Regung. Gleich einem guten Engel folgte ihm ihr begeisterter, feierlicher Blick, ihm die Versicherung gebend: Mein Seelenheil würde ich lassen, das deine zu retten.
Er versuchte anfangs, sich dem Zauber zu entreißen, er verhöhnte sich selbst, er setzte sein altes Leben fort, um eines Tages gänzlich damit zu brechen. Ja, er legte sich das Schwerste auf, indem er es vermied, Wera wiederzusehen. Sie sollte vor ihm verschont bleiben, sie durfte nicht von ihm gestört werden, sie, die Reine, durfte nicht so jammervoll untergehen. Denn das stand bei Boris Alexeiwitsch fest, daß es nur von seinem Willen abhing und sie wäre die Seine und wurde von ihm zugrunde gerichtet. Daß er das nicht wollte, daß er zauberte, es zu wollen, rechnete er sich hoch an.
Doch schon nach wenigen Tagen war er wieder bei ihr. Er nahm sich vor, stark zu sein und der brüderliche Freund des seltsamen Mädchens zu bleiben. Ihr Einfluß sollte ihn wandeln, er wollte ihr folgen, wohin sie ihn führte, an das Herz des Volkes, das ihm zugleich mit dem ihren entgegenschlug.
Es war ein wunderlicher Zustand, darin sich die beiden befanden. Boris, von seinen wechselnden Stimmungen aus einer Empfindung in die andere gejagt; Wera ruhig, klar, sicher, von dem festen Willen getragen, auch diese Aufgabe zu erfüllen und den Vetter Anna Pawlownas für die Sache des Volkes zu begeistern. Einigemal hatte er ihr Blumen mitgebracht; sie sah ihn jedoch so erstaunt an, daß er sich verwirrt abwandte und fortan mit leeren Händen zu ihr kam. Sehr beunruhigte ihn, daß diesem Mädchen gegenüber ihn seine ganze Unterhaltungskunst im Stich ließ. Er saß da und hörte ihr zu, die niemals um Worte verlegen war. Was sie ihm erzählte, wie sie es ihm erzählte, ergriff ihn. Es waren Erlebnisse aus dem Dorfe, die kleinen Freuden des Volkes, seine großen Leiden. Anderes vom Leben wußte sie nicht. Mit demselben heiligen Eifer, mit dem sie in Eskowo versucht hatte, den Kindern von ihren dürftigen Kenntnissen mitzuteilen, bemühte sie sich jetzt, diesen lebenssatten Elegant in der Redeweise des Volkes zu unterrichten, einer Sprache, von der Boris Alexeiwitsch nicht einmal das Abc verstand und nimmer verstehen würde.
Aber er war wenigstens begierig, zu lernen, sich von ihr belehren zu lassen. Sie bemerkte diesen Erfolg und wurde dadurch zu immer größerem Eifer angespornt. Das gab ihrem Wesen einen neuen Reiz, sie wurde liebenswürdig. Ihre Gedanken beschäftigten sich viel mit Boris. Er hatte ihr und dem Volke Böses zugefügt und sie ihn dafür gehaßt, ihn für schlecht und schändlich gehalten, für ihren und des Volkes schlimmsten Feind; da mußte sie plötzlich entdecken, daß er besser sei als sie geglaubt, um vieles besser! Das quälte sie unsäglich. Sie machte sich die bittersten Vorwürfe, übereilt und ungerecht geurteilt zu haben, sie fühlte sich schuldig und legte sich für ihre Schuld strenge Buße auf. Wenn ihr hinfort an Boris Alexeiwitsch etwas mißfiel, wenn sie sich durch eine leichtfertige, ihr unverständliche Äußerung abgestoßen fühlte, so klagte sie sich nun selbst an, dachte an das Unrecht, welches sie ihm in Gedanken zugefügt, entschuldigte ihn und zeigte ihm ein immer milderes Gesicht, ein immer freundlicheres Lächeln.
Trotzdem konnte sie nicht verhindern, sich vor seinem Kommen zu fürchten, unruhig zu werden, wenn sie seinen Schritt hörte, erleichtert aufzuatmen, wenn er ging. In seiner Gegenwart half sie sich dadurch, daß sie mit ganzer Seele tat, was zu tun sie sich vorgenommen. Das nahm ihr ihm gegenüber jede Befangenheit.
Zuweilen erschien bei diesen Besuchen Natalia Arkadiewna, ein Umstand, der Wera jedesmal stumm, Boris Alexeiwitsch dagegen jedesmal aufgeregt gesprächig machte. Die zarte, gebrechliche Gestalt mit dem feinen, durchgeistigten Gesicht flößte beiden Scheu ein. Überdies fühlte sich Boris von Natalia erkannt. Und hatte er sie ihrer abgeschnittenen Haare und ihrer volkstümlichen Wäsche wegen, schon immer unerträglich gefunden, so glaubte er jetzt alle Ursache zu haben, sie für seine Feindin zu halten.
An demselben Tage, an dem die Fürstin Danilowsky ihren Besuch in der Preobraschenskaja-Vorstadt machte, waren die beiden wieder beisammen. Wera fühlte sich beunruhigt. Seit Tagen hatte sie weder von Sascha noch von Anna Pawlowna etwas gesehen oder gehört. Die Dienstboten zeigten ihr verdrießliche Gesichter und behandelten sie schlecht, was ihr wehe tat, da es von ihresgleichen kam.
Wera scheute sich, die auffällige Abwesenheit Anna Pawlownas und Saschas mit Natalia Arkadiewna zu besprechen, und um keinen Preis hätte sie mit Boris Alexeiwitsch darüber reden können. Sie erschrak fast, als er selbst davon anfing.
»Anna Pawlowna befindet sich noch immer auf dem Lande?«
Sein Ton berührte sie peinlich. Sie bejahte gelassen und fügte hinzu: »Wir haben so schöne Tage und Anna Pawlowna fühlte sich leidend.«
Boris Alexeiwitsch sah sie groß an. Sollte sie wirklich nichts wissen, oder verstellte sie sich? Sie wich seinem Blick aus. Aber es ist unmöglich, dachte er, sie hat in ihrem Leben noch niemals geheuchelt. Dazu ist sie viel zu stolz! Vielleicht ist es gut, wenn sie es erfährt. So fügte er denn in seiner leichtfertigsten Weise: »Wenigstens hat sich Anna Pawlowna nicht über Langeweile zu beklagen.«
Aber Wera verstand ihn nicht; Boris Alexeiwitsch wurde ungeduldig.
»Nun denn, da Sie es doch einmal erfahren müssen: Sascha ist bei ihr, Ihr guter Freund Sascha! Ganz Moskau redet davon.«
Sie fühlte ihr Herz sich krampfhaft zusammenziehen, sie fühlte einen Schmerz, daß