Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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Schauspieler werden will, muß vor allen Dingen Schauspielerblut in den Adern haben, richtiges Komödiantenblut. Keine andere Kunst hat so sehr ihr Geheimnisvolles, Mystisches und Dämonisches wie diese.

      Auch ich kann von einer langen und schweren Lehrzeit sprechen. Sie begann damals und hat gedauert bis ich, todmüde, nur noch die Heldin meines eigenen Trauerspieles zu spielen vermochte. Die ersten Jahre derselben waren der späteren Lehrzeit gegenüber wie leichtfertiges, tändelndes Spiel im Vergleich zu einer harten, ehrlichen Arbeit. Gerade an diese Zeit, wo ich noch so voller Ideale war, wo ich selbst die nackten Wände des Bühnenraumes mit Glanz und Schimmer überkleidete, selbst die schlechteste Statistin mir eine Art von geweihtem Geschöpf deuchte – gerade an diese ersten traumhaften, berauschenden Jahre denke ich heute sehr ungern zurück, fast mit einer Art von Schamgefühl.

      Ich, die es an mir erfahren und an vielen andern beobachtet habe, bin zu der Überzeugung gekommen, daß kein künstlerischer Beruf so voll fortgesetzten Kampfes ist, wie der des Schauspielers. Freilich ist ein solcher ein ganz besonders geartetes Wesen, an das man, noch weniger als an andere Künstler, den Maßstab des Allgemeinen anlegen darf. Er atmet in einer Atmosphäre, in der keine andere Existenz dauern könnte – ihm ist sie Lebenselement. Aber trotzdem er sich darin scheinbar frei und leicht, gleichsam wie auf Schwingen bewegt, möge man dem schönen Schein nicht allzusehr trauen. Sollen doch die Bretter die Welt bedeuten! In welcher Welt aber gäbe es Menschen, die unter ihren Füßen nicht den Boden fühlten! Und in jener Welt ist die Erde nicht nur ein recht rauher, unwegsamer und schlüpfriger, sondern oft sogar ein recht – schmutziger Boden! Fittiche sollten den gottbegeisterten, sehnsuchtsvollen Mimen zur Sonne emportragen; doch bei diesem Volk der Ikariden sind die Schwingen aus Wachs. Schon die kümmerliche Glut der Lampen der Soffitten schmilzt die meisten.

      Ich ging jeden Tag zu dem großen Mann, dessen Vorzimmer mir leider bald so vertraut war, wie mein eigenes, trauliches, blumengeschmücktes Stübchen zu Hause. Bald war ich gründlich in die Mysterien dieses Vorzimmers eingeweiht, wahrlich ohne mich danach gesehnt zu haben. Hielt ich mich doch so sehr zurück, daß das Fräulein von der Chaiselongue eine Zeitlang täglich bei meinem Anblick in ein höhnisches Gelächter ausbrach und sogar ihr junger Galan – es war der Liebhaber einer Vorstadtbühne – mich mit seiner Verachtung strafte.

      Auch das erbitterte in bewußten heiligen Hallen gegen mich: Meinem sehr einfachen Anzuge nach schien ich nämlich durchaus nicht über ein fürstliches Vermögen verfügen zu können; trotzdem blieb keine so lange bei dem großen Manne wie ich; und war nicht jede Minute Verweilens bei diesem ein Schritt näher zum Ziel der hohen Gagen und Lorbeerkränze?

      Wie jenes erste Mal, mußte ich zuweilen viele Stunden warten, bis die Reihe an mich kam. Leise meine Rolle memorierend, hörte ich kaum, wie die Dame mit dem Fächer eine laute Bemerkung über mich machte oder der fette Herr mich durch irgendein Zitat moralisch zu vernichten suchte. Selbst die Angriffe einer Heldenmutter, die zu meinem Bedauern an dem Dasein meiner kleinen, stillen Person Anstoß nahm, machten keinen Eindruck auf mich.

      Ohne daß ich's gewußt, war meine Mutter bei dem großen Manne gewesen und hatte mit demselben Verschiedenes zur Sprache gebracht und geordnet. Da ihr schlichtes schwarzes Kleid den Eindruck einer vornehmen Dame nicht zu mindern vermochte, so hatte er nach dieser Wirkung der Persönlichkeit meiner Mutter seinen Preis gestellt, dessen Höhe ich niemals erfahren. Aber wohl nahm ich wahr, daß in unserer Häuslichkeit, was uns drei anbetraf, energische Einschränkungen gemacht werden mußten.

      Ich muß hier übrigens gleich sagen, daß ich damals den großen Mann anstaunte, wie einstmals Luise mich. Sein sprühendes Wesen, sein wirklich mächtiges Pathos rissen mich hin.

      Er nahm mit mir fast sämtliche Schillersche Frauengestalten durch – studierte sie mir ein. Sehr ungern gestattete er den Besuch der Theaterakademie, mußte ihn jedoch des dortigen praktischen Kursus der Aufführungen wegen wohl oder übel zugeben.

      Ach, diese sogenannte Akademie! So, wie sie war, war sie die Verzerrung dessen, was sie sein sollte: Schule einer edlen Kunst, Vorhalle eines Tempels.

      Wir waren vielleicht unser zwanzig junge »Akademiker«. Wie viele von diesen wirklich Talent hatten, möge dahingestellt bleiben, zugesprochen worden war es allen; denn sonst hätte man sie ja wohl nicht aufgenommen. Während der ganzen Zeit, in der ich diese »Akademie« besuchte, hörte ich selten oder niemals davon reden, daß jemand die Prüfung, die dem Eintritt voranging, nicht bestanden habe. So muß ich denn heute gestehen, daß der klangvolle Name »Akademie« eben nur eine Geschäftsfirma war, wie andere auch.

      Man soll hier seine Empörung nicht unterdrücken.

      Wer das Theater kennt und weiß, wie viel Leben diese große Vergnügungsmaschine zermalmt, der muß in diesen Ruf der Entrüstung mit einstimmen, wenn er sich der Gewissenlosigkeit erinnert, mit welcher gerade diese Kunst ihre Jünger anwirbt, um Hunderte dem offenbaren Untergang in die Arme zu führen. Ich weiß, daß man mich auf die Winkelbühnen verweisen, mir achselzuckend zu verstehen geben wird, daß dabei nichts zu machen sei. Ich gebe dies alles zu. Auch die Welt der Kulissen hat ihr Proletariat, das ich Proletariat bleiben lasse, mich an jene wendend, die in den Rangordnungen der Bühne die sogenannten höheren Stände bedeuten.

      Man nehme ein Mädchen aus guter Bürgerfamilie.

      Sie ist hübsch, deklamiert gut, hält sich für ein großes Talent, läßt sich von dem Schimmer des Theaters, das sie nur vom Parkett oder der dritten Galerie aus kennt, berauschen, dringt ihren Eltern die Erlaubnis ab, läßt sich auf einer solchen Theaterakademie prüfen, wird ohne weiteres aufgenommen, bildet sich zur Schauspielerin aus – Verzeihung! Zur »Künstlerin«.

      Vielleicht hat das Mädchen eine törichte, eitle Mutter, die alle Hoffnungen ihrer Tochter teilt, vielleicht hat die angehende Künstlerin, welche die Luise einstudiert, zu Hause einen ehrlichen Vater, der zusehen muß, wie seine Tochter unehrlich wird.

      Das Mädchen ist auf der Theaterakademie. Sie hat kein Talent, wenigstens so gut wie keines. Alle wissen es, ihre Lehrer, ihre Mitschüler; halb und halb läßt man's ihr merken, aufrichtig sagt es ihr niemand. So träumt sie sich denn immer tiefer in den Rausch einer zukünftigen Herrlichkeit hinein, aus dem sie einmal schrecklich aufwachen soll.

      In den Aufführungen der Akademie wirkt sie mit. Sie hat etwas Organ, sieht hübsch aus (das Kleid, was sie trägt, mag nicht bezahlt sein), sie wird etwas beklatscht (alle ihre Freunde sitzen im Parkett), irgendein zerstreuter Rezensent erwähnt ihrer in seinem Bericht über die Vorstellung, als eines vielversprechenden Talentes, bei welcher unvorsichtigen Bemerkung der Herr sich wohl kaum etwas gedacht hat. Dennoch wird auf dieselbe hin die junge Dame an einer kleinen Bühne engagiert.

      Die Tochter ist für dieses Glück (denn ein solches soll es sein!) durchaus nicht besonders dankbar, da sie mit ihrem Talent und ihrer Person ja eigentlich auf eine weit größere Bühne hingehört hätte. Aber die Mutter triumphiert und selbst der alte, ehrliche Vater fängt an zu glauben und zu hoffen.

      Sehen wir zu, was aus seinem Glauben und seinem Hoffen schon nach fünf Jahren geworden ist.

      Seine Tochter ist Schauspielerin, aber eine Künstlerin ist sie nicht.

      Zuweilen ist sie monatelang ohne Engagement und wird ihr eines durch die Mühen ihres Agenten verschafft, so ist es auf einer Bühne dritten Ranges, wo sie ihre Toilette von bedenklicher Eleganz nicht von ihrer Gage bezahlt – auch nicht bezahlen kann.

      So gut geht es ihr, solange sie noch jung ist.

      Hätte ich, als ich damals zum erstenmal im Vorzimmer des großen Mannes wartete, gewußt, was ich jetzt durch zahllose Beispiele weiß, ich hätte jenes blasse Mädchen, mit den großen, traurigen Augen eher glücklich gepriesen als bedauert.

      Mehr als die Hälfte meiner Kolleginnen waren solche Fräulein. So und so. Ein hübsches Gesicht, Leichtsinn, Lust an Vagabundentum, genügten völlig, sich zur Künstlerin berufen zu fühlen. Mit einer guten Gestalt, die man zu kleiden verstand, erschien eine brillante Karriere zweifellos. Das Theater als Versorgungsanstalt, in der man auf unglaublich leichte Weise zu seidenen Roben und Brasseletts komme, das war so die allgemeine Auffassung ihres Berufes. Übrigens muß man gestehen, daß