Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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eigentlich nur das Resultat langer Praxis sein kann. Auch waren die Primadonnen der Akademiebühne bereits so eingeübt in die Intrigen der Kulissen, daß sie als Meisterinnen gelten konnten, ehe sie Schülerinnen gewesen waren.

      Unter solchen Verhältnissen wurde auf jener Schule Kunst gelehrt. Der Elementarunterricht bestand in der Ausbildung des Organs. Das war natürlich weder für Lehrer noch für Schüler ein besonderes Vergnügen. Die letzteren zeigten sich sogar über die Zumutung, fünf Minuten lang einen Vokal in allen Tonarten sprechen zu sollen, höchlichst entrüstet, fühlten sie sich doch so sehr als geborene Artisten, daß sie ein so läppisches Ding, wie diese Stimmübungen es waren, als eine überflüssige Quälerei, ja, als eine Erniedrigung ihres Genies betrachteten. Für etwas lehrreicher, das heißt um vieles interessanter hielten sie die Lektionen, die uns in Grazie erteilt wurden. Da konnten sie sich drehen und wenden, Attitüden machen und die ganze griechische Plastik darstellen. Aber schließlich war doch eine jede so fest von ihrer Anmut überzeugt, daß ihnen auch das ziemlich überflüssig erschien.

      So blieb denn als Kern des Ganzen nur das Rollenstudium übrig. Je nach der Richtung ihrer Anlage erhielten die jungen Schönen irgendeine Rolle zuerteilt, die sie mit Mühe und Not auswendig lernten, was sie ›Memorieren‹ nannten. In den Lektionen wurde aufgesagt und sie dabei genau angewiesen, wie Gretchen und Klärchen, wie die Jungfrau, Maria Stuart und Lady Milford aufzufassen seien. Ausdruck, Klangfarbe, Tonfall, Steigerung und Senkung, Emphase, Kunstpause und Atemholen, alles und jedes wurde von den Lehrern uns ›Künstlerinnen‹ so lange gezeigt, bis wir es prächtig – nachmachen konnten, ganz und gar sklavisch-getreue Kopien eines Schauspielers, der seinerseits wiederum Kopie einer ganz andern Kopie war. So kopierten wir uns nach und nach ein ganzes Repertoire zusammen, auf das hin wir später einmal engagiert werden sollten.

      Gab nun die Akademie eine Vorstellung, so war unter Lehrern und Schülern die Aufregung groß. Lange vorher war das gewählte Stück auf das sorgfältigste einstudiert – eingepaukt worden. Natürlich fehlten die notwendigen Skandale nicht, wie man denn überhaupt bemüht war, nicht nur die Rollen, sondern auch das Wesen unserer großen Vorbilder nachzuahmen, vom Rollenneid der Primadonna an, bis womöglich zur Liebschaft derselben. Mit ausnehmender Wichtigkeit wurde von den Damen die Kostümfrage behandelt. Bei der Toilette durfte weder die falsche Frisur noch die Schleppe fehlen, ob es nun Marie Beaumarchais oder Lady Milford war.

      Nachdem die Presse über das bevorstehende große Ereignis in die Posaune gestoßen, fand die Vorstellung statt. Das Haus war ausverkauft, Verwandte und Freunde sparten die Kosten einer Claque, die ersten Bänke im Parkett füllten Agenten, die Zeitungsreferenten waren ›in Anbetracht der Sache‹ milde gestimmt.

      So spielte denn das Schauspiel, das eigentlich eine Farce war, sich köstlich ab. Der Applaus war übergroß. Der Direktor und die Lehrer versicherten einen vollständigen Erfolg, am andern Tage stand in gewissen Blättern zu lesen: Im Akademietheater stiegen am trüben Himmel der Kunst neue Sterne auf.

      Zögernd und ungern schreibe ich nieder, daß der hellste jener aufsteigenden Steine Rolla genannt wurde. Im übrigen erging es mir in der Akademie wie in der Schule und wie im Vorzimmer des großen Mannes, daran trug ich jedoch allein die Schuld.

      Meine junge, aber echte Begeisterung litt durch die Erfahrungen dieses Jahres entsetzlich. In den Mädchen, die meine Kolleginnen waren, fühlte ich nicht nur meine Kunst erniedrigt, sondern auch mein Geschlecht. Ich, die ich bis dahin nur die heilige Weiblichkeit meiner Mutter und Luisens rauhe Tugend gekannt, erfuhr plötzlich Dinge, von denen ich freilich nichts begriff, als daß sie sehr – häßlich seien.

      Natürlich war ich unter meinen Kolleginnen so unbeliebt wie irgend möglich. Ich galt für unausstehlich eingebildet, für stolz und hochmütig. Schließlich bedauerten mich die gutmütigen Geschöpfe auch noch: ich hatte keinen Liebhaber.

      Meine Unbeliebtheit wuchs, als ich zum erstenmal auftrat. Es geschah dies in der gewöhnlichen ersten Rolle junger, tragischer Liebhaberinnen, in der Luise Miller.

      Ich spielte in einem dunklen Kattunkleid, welches von meinen freundlichen Kolleginnen mit unendlicher Verachtung betrachtet wurde, eine Empfindung, die schon nach der ersten Szene nicht mehr so ganz harmlos war. Weit mehr als an dem Klatschen derer da draußen merkte ich meinen Erfolg an den Gesichtern hinter den Kulissen. Die Lady Milford wurde lebhaft applaudiert, weil sie ihrem Zorn über die arme Luise einen so natürlichen Ausdruck gab.

      Meine Mutter befand sich bei dieser Vorstellung nicht unter den Zuschauern, wohl aber Luise; und ich glaube nicht, daß über die matte Limonade von Ferdinands unglücklichen Mädchen jemals so viele bittere Tränen vergossen worden sind. Als ich nach dem Ende des Stückes vortrat, war mir's, als sähe ich eine lange, hohe Gestalt, die wütend ihr Taschentuch nach mir schwenkte. Wäre nicht so laut geklatscht worden, so hätte ich gewiß ein wildes Schluchzen vernommen.

      Diese ersten Vorstellungen auf den ganz besonders schmutzigen Brettern des Akademietheaters, als wie trübe Bilder sie auch vor mir stehen, durchleuchten doch zwei Strahlen: mein heiliger Ernst und Luisens stürmische Begeisterung, in Wirklichkeit glühend, vom Parkett aus in wahrhaft beängstigender Heftigkeit von ihrem purpurnen Antlitz zu mir auffunkelnd.

      Sie hatte ihren Platz auf der ersten Bank, leider viel zu nahe und obgleich bereits damals für mich das Publikum kaum vorhanden war – Luise mußte ich ansehen. Wie einst in dem Saal der Schule, mimiert und pantomimierte sie mir auch jetzt alle ihre Gefühle zu. Wie oft war ich nahe daran, durch sie aus der Fassung zu kommen, wenn ich sie bei einer rührenden Stelle seufzen und stöhnen hörte. Ich weiß nicht, welches Schauspiel interessanter war, das auf der Bühne oder das im Parkett. Öfter als einmal kam es vor, daß die Vorstellung durch Ausbrüche ihrer Bewunderung gestört wurde. Sie aber kehrte sich an nichts. Die junge Dame, die so wunderschön aussah und so rührsam spielte, war ihre Rolla und sie wiederum war dieser Rolla ihre Luise: da konnte sie schluchzen, bewundern und die Arme bewegen soviel sie wollte.

      Ich machte den Versuch, sie hinter die Kulissen zu bringen, in der Hoffnung, daß sie sich dort vielleicht ruhiger verhielte. Aber ihre lebhaften Gefühlsäußerungen richteten da beinahe noch mehr Unheil an. Sie bekam ihren Parkettplatz zurück; doch mit der Drohung, daß er ihr, wenn sie sich nicht mäßige, für immer genommen werden würde. Dieses Gewaltmittel half.

      Die Mutter kam nie in das Akademietheater. Ich selbst bat sie, es nicht zu tun, sie sollte in einer würdigeren Umgebung an den Genius ihrer Tochter zu glauben beginnen.

      Daß die Welt nichts Hohes hoch, nichts Reines rein sein läßt, sondern, wo sie nur kann – und wo könnte sie nicht! – entstellt, verzerrt, herabreißt, beschmutzt und vernichtet, das sollte auch ich, so jung ich war, schon damals mit unsäglichem Schmerz erfahren.

      Was waren es für Menschen! Zu einer Zeit ihres Lebens, wo sie noch von dessen Staub hätten unbefleckt sein sollen, wie eine sich eben zur Blume entfaltende Knospe, waren sie nicht nur selbst ohne Reinheit, sondern sahen bereits die Welt um sich her, statt als grüne, liebliche Flur, voller Kehricht und Schmutz. Unter meinen sogenannten Kolleginnen befanden sich Mädchen, von denen ich mir jetzt vergeblich vorzustellen versuche, wie es für diese Seelen je eine Zeit der Jungfräulichkeit gegeben habe.

      Und diese Geschöpfe – ohne Pharisäertum kann ich sie so nennen – bei denen mir unverständlich ist, wie sie jemals die Frauen ehrlicher Männer zu werden vermochten, fielen über meine lichte Göttin her, um sie mit ihrem Schmutz zu besudeln. Ich mußte mit anhören, wie der Name meiner Tragödin, schon dadurch entweiht, daß diese Lippen ihn aussprachen, mit einem Lächeln, einem Achselzucken genannt wurde, daß es mir glühend zum Herzen und ins Gesicht stieg. Nicht nur, daß ihre weibliche Ehre von solchen, die das Wesen dieses Wortes wohl nie auch nur als Ahnung empfunden, als Stoff für Skandale herhalten mußte, sogar an die Künstlerin wagten sich diese Karikaturen von Künstlerinnen. Ich geriet außer mir. Ich sagte ihnen Dinge, die ihre Abneigung bis zum Haß steigerten. Aber was half das meinem Schmerz? Man hatte versucht, das, was ich verehrte und hoch hielt, zu beschimpfen und zu erniedrigen. Allein, daß dergleichen in der Welt möglich sei, erschütterte mich in allen meinen Sinnen.

      Wie jung ich damals war!

      Achtes