Als Mrs. Fairfax mir eine herzliche Gutenacht gewünscht, und ich meine Tür sorgsam verschlossen hatte, sah ich mich mit Muße um; der Anblick meines behaglichen, kleinen Zimmers löschte bis zu einem gewissen Grade den Eindruck aus, welchen die weite Halle, die düstere, große Treppe und jene lange, kalte Galerie auf mich gemacht hatten, und endlich kam es mir zum Bewusstsein, dass ich mich nach ein paar Tagen körperlicher Ermüdung und geistiger Erregung nun endlich in einem sicheren Hafen befinden würde. Der Impuls der Dankbarkeit schwellte mein Herz, ich kniete neben meinem Bette nieder und sandte ein inniges Dankgebet zu dem empor, dem ich Dank schuldete; und bevor ich mich wieder erhob, vergaß ich nicht, weitere Hilfe für meinen Pfad zu erflehen, und um die Gabe zu bitten, mich der Güte wert machen zu können, welche mir in so reichem Maße zu teil wurde, bevor ich sie noch hatte verdienen können. In dieser Nacht lag ich auf keinem Dornenlager; mein einsames Zimmer war von Ruhe und Frieden erfüllt. Zugleich müde und zufrieden, schlief ich bald und fest ein. Als ich erwachte, war es bereits heller Tag.
In dem Sonnenschein, welcher durch die hellblauen Zitzfenstervorhänge fiel, erschien mir mein Zimmer so freundlich und gemütlich; ich wurde fast mutig bei dem Anblick der tapezierten Wände und des teppichbelegten Fußbodens, welche den buntfarbigen Kalkwänden und nackten Holzböden in Lowood so unähnlich waren. Äußerlichkeiten üben einen so großen Einfluss auf die Jugend. Mir war, als müsse jetzt eine schönere Lebensära für mich anbrechen, eine Ära, welche neben ihren Dornen und Mühseligkeiten auch ihre Blüten und Freuden haben würde. All meine Seelenkräfte schienen durch die Ortsveränderung, durch das neue Feld, welches sich für meine Hoffnungen öffnete, wieder lebendig geworden. Ich könnte nicht genau definieren, was sie erwarteten, aber es war eben etwas freudiges: nicht vielleicht gerade für einen bestimmten Tag oder Monat, sondern für irgend eine unbestimmte Zeit in der Zukunft.
Ich erhob mich. Mit großer Sorgfalt kleidete ich mich an. Wenn ich auch gezwungen war, einfach zu sein – ich hatte kein einziges Kleidungsstück, welches nicht in der einfachsten Weise gemacht wäre – so hatte ich doch von Natur das größte Verlangen, sauber und nett auszusehen. Es war durchaus nicht meine Gewohnheit, achtlos in Bezug auf mein Äußeres oder unbekümmert um den Eindruck zu sein, welchen ich hervorbrachte, – im Gegenteil, ich wünschte stets, so hübsch wie möglich zu sein und so sehr zu gefallen, wie mein gänzlicher Mangel an Schönheit es gestattete. Wie oft bedauerte ich, nicht hübscher zu sein! Wie innig wünschte ich, rosige Wangen, eine gerade Nase und einen kleinen Kirschenmund zu besitzen; ich hätte schlank und stattlich, von imposanter Figur sein mögen; ich empfand es wie ein Unglück, so klein und bleich zu sein, so unregelmäßige, markierte Züge zu haben. Aber weshalb hatte ich diese Wünsche, dies Verlangen? Dieses Bedauern? Das wäre schwierig gewesen zu sagen. Damals hätte ich selbst mir keine klare Rechenschaft darüber geben können. Indessen hatte ich einen Grund, und einen logischen, natürlichen noch dazu. – Als ich jedoch mein Haar sehr sorgsam gekämmt und mein schwarzes Kleid angezogen hatte, welches trotz seiner Quäkerhaftigkeit das Verdienst hatte, aufs genauste zu passen, – als ich eine reine, weiße Halskrause umgebunden, glaubte ich sauber und respektabel genug auszusehen, um vor Mrs. Fairfax erscheinen zu können. Von meiner Schülerin hoffte ich, dass sie wenigstens nicht mit Widerwillen vor mir zurückschrecken werde. Nachdem ich das Fenster geöffnet und gesehen hatte, dass ich auf dem Toiletttische alles sauber und ordentlich zurückließ, wagte ich mich hinaus.
Nachdem ich die lange, mit Teppichen bedeckte Galerie entlang gegangen war, stieg ich die glänzend blanke Eichentreppe hinunter; dann kam ich in die Halle; hier stand ich eine Minute still; ich betrachtete einige Kupferstiche an den Wänden, – noch heute erinnere ich mich derselben, das eine stellte einen finster aussehenden Mann in einem Küraß dar; das andere eine Dame mit gepuderten Haaren und einem Perlhalsband – eine Bronzelampe, welche von der Decke herabhing, eine große, alte Wanduhr, deren Gehäuse aus Eichenholz seltsam geschnitzt und durch die Zeit schwarz und blank wie Ebenholz geworden war. Alles erschien mir sehr stattlich und imposant – aber ich war ja auch so wenig an Glanz und Pracht gewöhnt. Die Tür der Halle, welche halb aus Glas war, stand offen; ich überschritt die Schwelle. Es war ein herrlicher Herbstmorgen; die Sonne schien klar auf herbstlich gefärbtes Laub und noch immer frische Felder herab; ich ging auf den freien Platz hinaus und betrachtete die Front des Herrenhauses. Es war drei Stockwerke hoch, von großen, obgleich nicht überwältigenden Proportionen, der Herrensitz eines Gentleman, nicht die feste Burg eines Edelmannes; Zinnen auf dem Dache gaben dem Hause ein pittoreskes Aussehen. Die graue Front hob sich hübsch von dem Hintergrunde eines Krähengenistes, dessen krächzende Bewohner jetzt flügge waren; sie flogen über den Grasplatz und den Park, um sich auf einer großen Weide niederzulassen, von welcher erstere durch einen eingesunkenen Zaun getrennt waren; auf dieser Wiese stand eine lange Reihe alter, starker, knorriger Dornenbäume, mächtig wie Eichen, welche sofort die Etymologie der Benennung des Herrenhauses erklärten.1 In der Ferne waren Hügel, nicht so hoch wie jene um Lowood, nicht so zackig, nicht so ähnlich Barrieren, welche einen von der übrigen Welt abschlossen, aber doch stille, einsame Hügel, welche Thornfield eine Abgeschiedenheit verliehen, die ich in der lebhaft bewegten Nähe Millcotes niemals vermutet hätte. Ein kleiner Weiler, dessen Dächer von Bäumen überschattet waren, zog sich an einem der Hügel hinauf; die Kirche des Distrikts stand näher an Thornfield, ihr alter Turm sah über einen Hügel zwischen dem Hause und den Parkpforten hervor.
Ich erfreute mich noch an der friedlichen Aussicht und an der frischen, angenehmen Luft, horchte noch mit Entzücken auf das Gekrächze der Krähen, blickte