Den Makkabäerbrüdern, Söhnen des Priesters Mattatias aus Modein, gelang es, eine »konservative« antihellenistische Sammelbewegung zu führen und diese Bestrebungen abzuwehren. Der »Tempelreinigung« des Judas Makkabaios (164 v. Chr.) folgte die Herrschaft der in Jerusalem residierenden Hasmonäerdynastie. Dieses jüdische Herrscherhaus legitimierte seine gesellschaftliche Machtposition nach innen vor allem durch die Selbstdarstellung als den väterlichen Gesetzen verpflichteter religiöser Streiter für Tempel und Kult. Es bewirkte so die Umwandlung der Stadt zum politischen Zentrum eines »unabhängigen« Königreiches sowie die Umwandlung des Tempels in das bedeutendste Symbol der jüdischen Selbstbehauptung. Seit 142 v. Chr. politisch unabhängig, war Jerusalem nun für mehr als sieben Jahrzehnte wieder der machtpolitische Mittelpunkt eines expansionistischen jüdischen Staates. In die Hasmonäerzeit fällt auch die eigentliche Entstehung des Begriffs »Judentum« zur Bezeichnung einer eigenständigen Gemeinschaft, die über eine bloße ethnisch-geographische Größe hinausgeht.
Die besondere Bedeutung Jerusalems und des Tempels als Symbole der nationalen und religiösen Zugehörigkeit blieb kennzeichnend für die gesamte hasmonäische Ära. Mit der römischen Eroberung der Stadt durch Pompeius Magnus (63 v. Chr.) und dem von Rom unterstützten Aufstieg Herodes’ des Großen (ca. 75–4 v. Chr.) nahm die Intensität der Handelskontakte und der kulturellen Beziehungen Jerusalems zu anderen städtischen Zentren im Osten des Römischen Weltreichs noch einmal beträchtlich zu. Seit 19 v. Chr. renovierte Herodes den während der römischen Angriffe beschädigten Jerusalemer Tempel als Symbol des »weltstädtischen« Charakters der Stadt am Rand des Imperium Romanum und als international beachtetes Wahrzeichen seiner Herrschaft. Der im Stil der hellenistisch-römischen Monumentalbauweise erneuerte, in Entsprechung des bereits zuvor bestehenden baulichen Strukturprinzips der konzentrischen Heiligkeit erweiterte, erhöhte und mit gewaltigen Umfassungsmauern versehene herodianische Tempel wurde zu dem erfahrbaren religiösen Zentrum des Judentums in Palästina und – unbeschadet aller Loyalität gegenüber und Teilhabe an der jeweils bestimmenden Umwelt – in der gesamten antiken Welt. Pilger aus vielen Ländern strömten zu den Wallfahrtsfesten nach Jerusalem, übereigneten dem Tempel kultische Abgaben und Weihegeschenke und wohnten am Zielort ihrer Pilgerreise den Opfern bei. Juden überall in der Diaspora entrichteten freiwillig die jährliche (Halb-)Schekelsteuer, die in erster Linie für den Unterhalt des Jerusalemer Tempels bestimmt war.
In die Zeit der Herrschaft des galiläischen Landesfürsten Herodes Antipas (ca. 20 v. Chr. – 39) fällt die Entstehung der Jesusbewegung und des Christentums. Der Jude Jesus aus der galiläischen Stadt Nazareth ließ sich von dem jüdischen Bußprediger Johannes im Jordan taufen und zog als charismatischer Wanderprediger mehrere Jahre durch Galiläa. Er heilte Kranke, lehrte in den Synagogen (vgl. Kap. 3, Die Synagoge), verkündigte öffentlich den Beginn der Heilszeit und rief das Volk Israel zur Umkehr und Nachfolge auf. Dabei verstand er sich wahrscheinlich als endzeitlicher Prediger und von Gott gesandter Heilsmittler, ohne jedoch selbst Anspruch auf den traditionellen jüdischen Hoheitstitel »Messias« (»Gesalbter«) zu erheben. Um Jesus aus Nazareth sammelte sich eine stetig wachsende Zahl von Anhängern, darunter viele Angehörige von sozialen Randgruppen. Unter dem Vorwurf der Gotteslästerung und der politischen Agitation wurde Jesus ca. im Jahre 30 in Jerusalem von der römischen Provinzverwaltung gefangengenommen, verurteilt und am Kreuz hingerichtet.
Nur kurze Zeit nach seiner Hinrichtung traf sich in Jerusalem die christliche Urgemeinde in der festen Überzeugung, angesichts der nahen Zeit des Weltgerichtes das wahre Judentum zu repräsentieren. Bald entstanden kleine Hausgemeinden, die immer größere Bereiche ihres Lebens gemeinsam gestalteten. Von der Jerusalemer Tempelaristokratie und ihrer Anhängerschaft als ketzerische Aufrührer verfolgt und von der aufgehetzten Volksmenge bedroht, flüchteten viele Anhänger des neuen Glaubens nach Samaria, an die phönizische Küste und bis nach Antiochia am Orontes, wo sie zum ersten Mal als eine eigenständige Gruppe in Erscheinung traten. Von der nichtjüdischen Bevölkerung der Stadt wurden die Angehörigen der neuen jüdischen Endzeitsekte bald »Christen« genannt, wahrscheinlich um sie durch diese Bezeichnung, die den Hoheitstitel »Christus« (griechisch für »Messias«) wie einen Eigennamen behandelte, von der großen Mehrheit des Judentums zu unterscheiden.
Waren die palästinischen Christen anfangs noch eine exklusive, enthusiastische Bewegung innerhalb des Judentums, so schlossen sich ihnen in dem multiethnischen und multireligiösen antiken Handelsknotenpunkt Antiochia auch immer mehr ehemalige Anhänger hellenistisch-römischer Zeremonialgemeinschaften und Mysterienkulte an, die an ihrer bisherigen Religion zweifelten. Die Griechisch sprechenden antiochenischen Christen waren die Ersten, die auf die Beschneidung (vgl. Kap. 3, Die Beschneidung), das äußere Zeichen der Zugehörigkeit zum Judentum, als Voraussetzung zur Taufe verzichteten. Ebenso hatte in ihrem alltäglichen Zusammenleben die Beachtung der traditionellen jüdischen Speise- und Reinheitsgebote (vgl. Kap. 3, Speise und Reinheitsgebote) bald keinen verbindlichen Bekenntnischarakter mehr.
Die Verehrung des gekreuzigten und auferstandenen Jesus aus Nazareth als Sohn Gottes und Messias und insbesondere der Verzicht auf das Bundeszeichen der Beschneidung konnten als Verrat am Judentum ausgelegt werden. Der unausweichliche Konflikt zwischen Judenchristen und Heidenchristen wurde nach der – durchweg nach Harmonie zwischen Judenchristen und Heidenchristen strebenden – Darstellung der Apostelgeschichte des Lukas (Apg 15) während einer Apostelversammlung in Jerusalem durch einen Kompromiss beigelegt, wonach die einen die anderen tolerierten, sofern sie eine Reihe von religionsgesetzlichen Minimalforderungen beachteten und ihre wirtschaftliche Solidarität unter Beweis stellten.
Die Christen zogen auch die Judenfeindschaft der hellenistisch-römischen Welt auf sich, der der antike Historiker Tacitus (ca. 55–115) mit seinem böswilligen Vorwurf des »Hasses gegen das Menschengeschlecht« Ausdruck verlieh. Der Ausbruch des jüdischen Krieges im Jahre 66 (vgl. Kap. 1, Exkurs: Qumran) bedeutete auch für die christlichen Gemeinden überall im römischen Reich bald Kriminalisierung und Diskriminierung als verdächtige Zellen abergläubischer und feindseliger jüdischer Aufrührer gegen das Imperium.
Im Gegensatz zu dem hohen religiösen Gewicht des herodianischen Tempels auch außerhalb des Landes war seine politische und wirtschaftliche Bedeutung innerhalb Judäas im ersten Jahrhundert merklich gesunken. Das unter der Herrschaft der Perser, Ägypter und Syrer mit zahlreichen Machtbefugnissen ausgestattete, während der hasmonäischen Herrschaft mit dem Königtum verschmolzene Amt des Hohenpriesters war nun, da mit Herodes dem Großen und seinen Söhnen wieder Nichtpriester herrschten, auf seine kultischen Funktionen beschränkt. Diese von vielen Juden als schmählich und bedrohlich empfundene Entwicklung sollte nicht folgenlos bleiben. Spätestens seit der Unterstellung Palästinas unter die direkte römische Verwaltung entzündeten sich an der Frage nach der vorrangigen Funktion des Jerusalemer Tempels wieder heftige innerjüdische Auseinandersetzungen.
War das Heiligtum vor allem der unpolitische, allein religiös