Auch in der südfranzösischen Provence, einer der ersten und am stärksten romanisierten Regionen des Westens, waren Juden bereits seit der Spätantike ansässig. Schon Bischof Gregor von Tours (538–594) erwähnte die Anwesenheit einer größeren jüdischen Gemeinde in der Region. Vor allem innerhalb der südfranzösischen Städte bildeten sich nach und nach jüdische Ansiedlungen, deren geschlossenes Wohnumfeld das kommunale Leben und auch das Halten der Toragebote erleichterte. Im 12. und 13. Jahrhundert genossen die überwiegend in den östlichen Teilen der Region ansässigen Juden in der Provence zumeist obrigkeitlichen Schutz und eine bemerkenswerte Freiheit, wobei auch dem Erwerb von Grundstücken und Immobilien durch Juden zu ihrer Nutzung und zu ihrem Besitz keine Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Erst die Pest machte dieser Blütezeit des südfranzösischen Judentums im 14. Jahrhundert ein Ende. Sie zog mit dem Untergang der ländlichen Gemeinden Südfrankreichs eine geographische Verengung des jüdischen Siedlungsraums und einen demographischen Niedergang nach sich.
Der Sozialverband der mittelalterlichen jüdischen Gemeinden, auch in Spanien und Südfrankreich, war zugleich Solidargemeinschaft und Kontrollinstanz; hier wurden Feste gefeiert und Gericht gehalten und hier fand die Sozialisation der jüdischen Kinder statt; jeder religiös volljährige Jude ging zweimal am Tag in die Synagoge zum gemeinschaftlichen Gebet (vgl. Kap. 3, Der synagogale Gottesdienst). Eines der grundlegenden Prinzipien der Autonomie dieser jüdischen Gemeinden war das Recht ihrer Mitglieder, bestimmte interne Rechtsstreitigkeiten auf der Grundlage des Talmuds (vgl. Kap. 2, Der babylonische Talmud) und der Tora (vgl. Kap. 2, Die Tora) zu klären und sich hier nur vor den eigenen Richtern (»Dajanim«) und Gerichten verantworten zu müssen. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts wurde dafür zunehmend die Einrichtung des rabbinischen Gerichts (»Bet Din«) genutzt. Dieses Gericht befand sich – ebenso wie andere jüdische Gemeindeeinrichtungen wie z. B. das Ritualbad (vgl. Kap. 3, Speise- und Reinheitsgebote) oder die Schule – in einer größeren Siedlung zumeist in der engeren Umgebung der örtlichen Synagoge (vgl. Kap. 3, Die Synagoge).
Eine solche jüdische Gemeinde wurde von einem ernannten oder gewählten Gremium (»Parnasim«) unter der Führung eines Gemeindevorstehers (»Rosch ha-Kahal«) geleitet. Dieses Leitungsgremium sorgte für die rituellen, gesellschaftlichen und politischen Bedürfnisse ihrer Mitglieder und übte dabei zumeist eine strenge Sozialdisziplinierung aus. Wer sich seinen Anordnungen und Entscheidungen dauerhaft widersetzte, konnte dafür mit dem Ausschluss aus dem Gemeindeverband mitsamt seinen sozialen Sicherungssystemen bestraft werden. Die Gemeindeleitung ernannte und kontrollierte die verschiedenen Bediensteten; sie sorgte für den Friedhof (vgl. Kap. 3, Der jüdische Friedhof), die Synagoge, das Gericht, das Armenwesen und für andere Bedürfnisse der jüdischen Gemeinschaft. Sie sammelte auch die obrigkeitlichen Steuern ein, denn die jüdischen Gemeinden in der Provence waren einer einheitlichen Steuerpolitik durch die christliche Obrigkeit unterworfen, die sich an der Gesamtheit der geduldeten »ungläubigen« Untertanen orientierte. Da diese Steuererhebung gemeinschaftlich erfolgte, war nicht der einzelne Jude, sondern die Gesamtgemeinde bzw. ihr Leitungsgremium für ihr Aufkommen und ihre Ablieferung verantwortlich und haftbar.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.