»Ich habe hier eine für mich sehr peinliche Entdeckung machen müssen«, sagte sie zu ihm, »ich muß es Ihnen überlassen, mich dieselbe vergessen zu machen! Leben Sie wohl.«
Der Blick mit dem sie diese Abschiedsworte begleitete, machte Mrs. Vanborough rasend. Sie stürzte an die Thür und versperrte Lady Jane den Weg.
«Nein«, rief sie, »noch dürfen Sie nicht fort von hier.«
Vanborough trat vor, um sich in’s Mittel zu legen. Seine Frau warf ihm einen fürchterlichen Blick der Verachtung zu. »Dieser Mensch lügt«, sagte sie, »ich bin es mir selbst schuldig Ihnen das zu beweisen.« Sie zog an einer neben ihr befindlichen Klingel und hieß den darauf eintretenden Diener ihre Schreibmappe aus dem anstoßenden Zimmer hereinbringen.
Sie verharrte in ihrer Stellung und hielt den Blick fest auf Lady Jane gerichtet, während sie ihrem Manne den Rücken zukehrte Schutzlos und verlassen stand sie da auf den Trümmern ihres ehelichen Glücks, erhaben über den Verrath ihres Mannes, die Gleichgültigkeit des Advokaten und die Verachtung ihrer Nebenbuhlerin In diesem schrecklichen Augenblick erschien sie wie verklärt in dem Glanze ihrer ehemaligen Schönheit. Die große Künstlerin, welcher einstmals in den Tagen ihres Ruhmes, wenn sie fremde Leiden auf der Bühne darstellte, eine athemlose Menge gelauscht hatte, stand jetzt, in ihrem eigenen Leiden größer da als je, während die drei Anwesenden sie athemlos betrachtetem bis sie aufs Neue das Wort ergriff.
Der Diener trat mit der Schreibmappe ein, sie nahm ein Papier aus derselben und reichte es Lady Jane.
»Ich war als Mädchen Opernsängerin und um dem bösen Leumund, dem Frauen in dieser Stellung ausgesetzt sind, zu begegnen, habe ich mich bei meiner Heirath mit diesem Document versehen, das für sich selbst spricht. Selbst in der höchsten Gesellschaft werden. solche Papiere respectirt!«
Lady Jane betrachtete das Document, es war ein Trauschein. Sie erbleichte und winkte Vanborough zu sich heran indem sie ihn fragte: »Wollen Sie mich hintergehen?«
Vanborough wandte sich nach dem Advokaten um, der noch immer in seinem Winkel saß und mit unerschütterlicher Ruhe der Dinge harrte, die da kommen würden. »Darf ich Sie bitten einen Augenblick herzukommen«, sagte er.
Delamayn erhob sich und trat heran. Jetzt wandte sich Vanborough an Lady Jane und sagte:
»Wenden Sie sich gefälligst an meinen Advokaten der kein Interesse dabei haben kann, Sie zu hintergehen.«
»Ich werde mich auf eine Darlegung des Thatbestandes beschränken«, sagte dieser, »und würde jede weitere Erklärung ablehnen müssen.«
»Mehr wird auch nicht von Ihnen verlangt.«
Mrs. Vanborough, die diesem kurzen Gespräch mit der gespanntesten Aufmerksamkeit gefolgt war, trat jetzt schweigend einen Schritt vor. Der stolze Muth, der sie der offenen Insulte gegenüber beseelt hatte, verließ sie, als sie inne ward, daß eine ungeahnte Enthüllung über sie hereinzubrechen drohe. Eine namenlose Angst bemächtigte sich ihrer.
Lady Jane überreichte dem Advokaten den Trauschein.
»Beantworten Sie mir bitte«, sagte sie ungeduldig, »kurz die Frage, was bedeutet dieser Schein?«
»Ganz kurz, gnädige Frau«, antwortete Delamayn, »dieser Schein ist ein werthloses Stück Papier.«
»Er ist also nicht verheirathet?«
»Nicht verheirathet.«
Nach einer kurzen Pause warf Lady Jane der schweigend neben ihr stehenden Mrs. Vanborough einen durchdringenden Blick zu und fuhr entsetzt zurück. »Bringen Sie mich fort«, rief sie mit dem Ausdruck des Schauders vor dem geisterhaft bleichen Antlitz mit den starren unheimlich funkelnden Augen, das ihr gegenüber stand. »Bringen Sie mich fort von hier, das Weib will mir an’s Leben!«
Mr. Vanborough reichte ihr seinen Arm und führte sie hinaus. Im Zimmer herrschte Todtenstille. Mrs Vanborough folgte den Fortgehenden mit demselben furchtbar starren Blick, bis sich die Thür hinter ihnen schloß. Der Advokat, der sich nun mit der verleugneten und verlassenen Frau allein befand, legte den werthlosen Schein schweigend auf den Tisch. Eine kurze Weile hatte sie abwechselnd auf den Schein und auf ihn geblickt, als sie plötzlich, ohne einen Schrei auszustoßen und ohne daß sie einen Versuch gemacht hätte, sich aufrecht zu erhalten, bewußtlos dicht vor ihm zu Boden sank.
Er hob sie auf und legte sie, in der Erwartung, daß Vanborough gleich wieder kommen werde, auf das Sopha. Bei dem Anblick ihres, noch in diesem Zustande der Bewußtlosigkeit schönen Gesichts, mußte selbst dieser Mann in seiner unerschütterlichen Kälte sich gestehen, daß ein hartes Schicksal diese Frau betroffen habe.
Aber die Verantwortlichkeit dafür hatte allein das Gesetz zu tragen.
Draußen ließ sich das Rollen eines Wagens vernehmen. Lady Jane fuhr weg. Delamayn fragte sich, ob der Mann dieser unglücklichen Frau zurückkommen werde; der Mann dieser Frau! So mächtig ist die Gewohnheit, selbst Delamayn sah trotz des Gesetzes und des eben Vorgefallenen noch immer in Vanborough den Mann dieser Frau.
Aber er kam nicht! Eine Minute nach der andern verging und noch immer erschien er nicht.
Es schien nicht gerathen, das Haus zu arlarmiren. Nur ungern mochte er allein die Verantwortlichkeit dafür übernehmem daß die Dienstboten von Dem, was vorgefallen war, Kenntniß erhielten. Aber noch immer lag sie bewußtlos da. Die kühle Abendluft drang durch das geöffnete Fenster in’s Zimmer und bewegte die leichten Bänder ihrer Spitzenhaube und die kleine Haarlocke, die sich gelöst hatte und auf den Hals herabhing. Da lag sie, das Weib, das Vanborough geliebt hatte, die Mutter seines Kindes.
Endlich mußte Delamayn sich entschließen, Hilfe herbeizurufen. Aber in dem Augenblick, wo er sich anschickte, die Glocke zu ziehen, wurde die Stille dieses Sommerabends noch einmal unterbrochen. Wieder ließ sich das Rolleii eines Wagens vernehmen, der sich rasch dein Hause näherte und plötzlich hielt.
War es Lady Jane, die zurückkam?
War es Vanborough?«
Die Hausglocke wurde stark angezogen, die Thür öffnete sich rasch und das Rauschen weiblicher Kleidung ließ sich auf dem Corridor vernehmen. Die Thür des Zimmers öffnete sich und eine Dame trat ein. Nicht Lady Jane, sondern eine Fremde, die um viele Jahre älter war, als Lady Jane. Eine Frau, die vielleicht zu andern Zeiten häßlich erschienen wäre, die aber jetzt in der Freude, die ihr Gesicht. verklärte, fast schön aussah.
Bei dem Anblick der bewußtlosen Gestalt auf dem Sopha eilte sie mit einem Schrei des Entsetzens auf dieselbe zu. Sie sank auf die Knie, drückte. das hilflose Haupt an ihr Herz und bedeckte die kalten, bleichen Wangen mit schwesterlichen Küssen.
»O, mein Herz!« rief sie, müssen wir uns so wiedersehen?«
Ja, nach den langen, seit dem Abschiede in der Schiffskajüte verflossenen Jahren, sahen sich die beiden Schulfreundinnen zum ersten Male so wieder.
Zweiter Theil.
Der Gang der Ereignisse
V
Das Vorspiel geht von dem Zeitpunkt der zuletzt geschilderten Begebenheiten im Sommer 1855 zu einem zwölf Jahre späteren Zeitpunkt über, nachdem die Erlebnisse der mit dem Trauerspiel in der Villa zu Hampstead verknüpften Personen rasch vor den Augen des Lesers vorüber geführt sind, und derselbe bis an die Schwelle der Erzählung, die im Frühjahr 1868 beginnt, geleitet sein wird.
Zu melden ist zunächst die Verheirathung des Mr. Vanborough mit Lady Jane Parnell. – — Drei Monate nach jenem denkwürdigen Tage konnte Vanborough, nachdem er von seinem Advokaten die Gewißheit erlangt hatte, daß er ein freier Mann sei und daß die Gesetzgebung Großbritanniens seinen