Er blickte auf das vor ihm liegende Schriftstück und fing an zu fragen.
»Sie wurden vor dreizehn Jahren in Inchmallok in Irland getraut?
»Ja«
»Ihre Frau, damals Miß Anne Silvester, war katholisch?«
»Ja«
»Die Eltern Ihrer Frau waren gleichfalls katholisch?«
»Ihre Eltern gehörten der englischen Hochkirche an und Sie wurden auf den Glauben dieser Kirche getauft und in demselben erzogen?«
»Vollkommen richtig.«
»Miß Anne Silvester weigerte sich, Sie zu heirathen, weil sie zu einer andern Kirche, als Sie, gehörte?«
»So ist es.«
»Sie überwanden ihre Bedenken durch Ihre Bereitwilligkeit, zum Katholicismus überzutreten?«
»Es war der sicherste Weg, sie zu einer Verbindung mit mir zu bestimmen, und mir war die Sache gleichgültig.«
Sie wurden förmlich in den Schooß der katholischen Kirche aufgenommen?«
»Ich machte alle dazu erforderlichen Ceremonien durch.«
»Im Ausland oder in England?«
»Im Ausland.«
»Wie lange vor dem Tage Ihrer Heirath fand Ihr Uebertritt statt?«
»Sechs Wochen.«
Den Blick fortwährend auf das Schriftstück geheftet, verglich Mr. Delamayn diese letzte Antwort Vanborough’s besonders genau mit der desfallsigen von dem Schreiber aufgenommenen Angabe.
»Ganz in Ordnung«, sagte er, und fuhr fort zu fragen.
»Der Priester, der Sie traute, war ein gewisser Ambrosius Redman, ein junger Mann, der sein Amt erst seit kurzer Zeit übernommen hatte?«
»Fragte er Sie, ob Sie beide katholisch seien?«
»Ja.«
»That er noch weitere Fragen?
»Nein.«
»Sind Sie ganz sicher, daß er Sie nicht gefragt hat, ob Sie beide, bevor Sie sich von ihm trauen ließen, seit länger als einem Jahr katholisch seien?«
»Vollkommen sicher.«
»Dann muß er einen Theil seiner Obliegenheiten vergessen haben, oder hat sie vielleicht als Anfänger gar nicht gekannt. Fiel es weder Ihnen, noch Ihrer Braut ein, ihn über diesen Punkt aufzuklären?
Weder meine Braut noch ich wußten, daß es einer Aufklärung bedürfe.«
Mr. Delamayn faltete das Schriftstück zusammen und steckte es wieder in die Tasche.
»Es stimmt«, sagte er, »bis in die kleinsten Einzelheiten.«
Vanborough’s dunkelfarbiger Teint vermochte doch eine gewisse Blässe nicht zu verbergen. Er sah Kendrew verstohlen an und wandte sich dann wieder ab.
»Nun«, sagte er zu Mr. Delamayn; »bitte ich um Ihre Ansicht. Was sagt das Gesetz?«
»Die Bestimmungen des Gesetzes«, antwortete dieser, »sind vollkommen klar und unzweideutig. Ihre Heirath mit Miß Anne Silvester ist null und nichtig.«
Kendrew sprang auf.
»Was wollen sie damit sagen?« fragte er finster.
Der Advokat sah ihn mit höflichem Erstaunen an. Wenn Mr. Kendrew eine Auskunft wünschte, warum erbat er sie sich in diesem Ton? »Wünschen Sie eine nähere Mittheilung über die Bestimmungen des Gesetzes?« fragte er.
»Allerdings.«
Mr. Delamayn gab nun den Inhalt des Gesetzes an, wie es noch heutigen Tages zur Schande der englischen Gesetzgebung und der englischen Nation besteht.
»Durch ein irisches Statut Georg’s II.«, sagte er, wird jede von einem katholischen Priester vollzogene Heirath zwischen zwei Protestanten oder einem Katholiken und einer Person, die innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Heirath Protestant gewesen ist, für null und nichtig erklärt. Und in Gemäßheit zweier anderer, unter derselben Regierung erlassenen Acte macht sich der Priester, der eine solche Heirath vollzieht, eines schweren Verbrechens schuldig. Für die irische Geistlichkeit der übrigen Confessionen sind diese Bestimmungen aufgehoben, für die katholischen Priester aber bestehen sie unveränderlich fort.«
»Das ist ja ein in unserer Zeit undenkbarer Zustand der Dinge!« rief Kendrew aus.
Delamayn lächelte. Die Illusion, daß wir in einem besonders erleuchteten Zeitalter leben, bestand für ihn schon lange nicht mehr.
»Das irische Ehegesetz«, fuhr er fort, »erscheint noch in anderen Beziehungen als eine merkwürdige Anomalie. Ein katholischer Priester macht sich, wie gesagt, eines schweren Verbrechens schuldig, wenn er eine Heirath vollzieht, die von einem Geistlichen jeder anderen Confession mit vollkommen gesetzlicher Gültigkeit vollzogen werden könnte. Nach einem anderen Gesetz kann ein katholischer Priester mit gesetzlicher Gültigkeit eine Heirath vollziehen, durch deren Vollziehung ein Geistlicher einer anderen Confession sich eines Verbrechens schuldig machen würde. Und nach noch einem anderen Gesetz begehen ein presbyterianischer und ein nonconformistischer Geistlicher ein Verbrechen, wenn sie eine Heirath vollziehen, die ein Geistlicher der Staatskirche ohne Anstand vollziehen dürfte. Ein sonderbarer, in den Augen von Ausländern vielleicht scandalöser Zustand der Dinge! In England scheint man keinen Anstoß daran zu nehmen. Um auf unseren Fall zurückzukommen, steht es damit so: Mr. Vanborough ist ein unverheiratheter Mann, Mrs. Vanborough ist ein unverheirathetes Frauenzimmer, ihr Kind ist ein uneheliches, und der Priester Ambrosius Redman hat die auf das Verbrechen ihrer Trauung stehende gesetzliche Strafe verwirkt.«
»Ein schmachvolles Gesetz« sagte Kendrew.
»Aber ein Gesetz«, lautete die ganze Antwort Delamayn’s.
Bis jetzt hatte Vanborough noch kein Wort geäußert. Mit fest geschlossenen Lippen, die Augen unverwandt aus den Tisch geheftet, saß er da. Nach einer Pause wandte sich Kendrew an ihn und brach das Schweigen mit der Frage! »Bezog sich der Rath, den Sie von mir wünschten, auf diese Angelegenheit?«
»Ja.«
»Soll ich das dahin verstehen, daß Sie in der Voraussicht dieser Conferenz und ihres möglichen Ergebnisses noch irgend welche Zweifel über das Verfahren, das Sie einzuschlagen verpflichtet sind, hegten? Soll ich wirklich glauben, daß Sie einen Augenblick zaudern können, diesen schrecklichen gesetzlichen Mangel Ihrer Ehe zu beseitigen und die Frau, die Ihr Weib vor Gott ist, auch vor dem Gesetz zu ihrem Weibe zu machen?«
»Wenn Sie die Sache in diesem Lichte auffassen, wenn Sie keine Rücksicht darauf nehmen wollen —«
»Ich wünsche eine präcise Antwort, auf meine Frage, Ja oder Nein.«
»Lassen Sie mich reden, wenn ich bitten darf; jeder Mensch hat doch wohl das Recht, sich über seine Intentionen zu erklären?«
Kendrew unterbrach ihn durch eine Handbewegung, in der sich der Abscheu, der ihn erfüllte, deutlich aussprach. »Ich will Sie der Mühe weiterer Erklärungen überheben«, sagte er, »indem ich Ihr Haus verlasse. Sie haben mir eine Lehre gegeben, die ich nicht vergessen werde. Ich weiß jetzt, daß ein Mensch den andern von Jugend auf gekannt und sich doch vollständig in ihm geirrt haben kann. Ich schäme mich, jemals Ihr Freund gewesen zu sein. Von diesem Augenblick an sind Sie für mich ein Fremder.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
»Ein sonderbar aufgeregter Mann«, bemerkte Mr. Delamayn. »Ich bitte jetzt doch um ein Glas Wein.«
Vanborough erhob sich, ohne Notiz von Delamayn’s Worten zu nehmen, und ging ungeduldig im Zimmer auf und ab. Bei aller Niedrigkeit seiner Gesinnung machte ihn doch der