»Nicht in meine Nähe,« keuchte tonlos der bereits unter den Fittichen des Todes Weilende. »Hebe dich weg von dem Lager deines Vaters, du Verworfene, schütte nicht deine trübe Gier, deine niedrige Weltlust über sein dem Grabe geweihtes Haupt aus. Was kommst du meine letzten Lebensträume zu stören? Was trägst du diesen Mißklang in dies ernste Zimmer? Hättest du nicht warten können, bis dies Auge dich nicht mehr sieht, dies Ohr deine eiteln Gesänge nicht mehr vernimmt? Isaak, verbirg sie meinem Blick, ich will nicht in ihrer Nähe sterben.«
»Vater, sie ist dein Kind,« bat der Bruder, seinen Vater sanft zurück auf das Lager zwingend. »Verzeihe ihr, nimm nicht deinen Unwillen, deinen Groll ins Grab hinab.«
»Sie hat den Gott unserer Väter verlassen; wie, sollte ich sie nicht verlassen?« rief der Sterbende, zornige Blicke auf die Eingetretene richtend. »Sie hat unser Volk verlassen, hat sich mit den Fremden abgegeben; verkehre nicht mit ihr, Isaak, sage dich los von ihr, sie mag verhungern, sie bringt Schande auf unser Haupt, denn sieh nur, wie heiter sie aufgeschmückt ist, wie sie lachen, wie sie singen kann und –«
Schwäche verhinderte ihn weiter zu reden; seine zum Fluche erhobene Hand sank schlaff auf das Lager; er fiel mit dem Haupt, einem Toten ähnlich, zurück. Isaak beugte sich verzweiflungsvoll über den kaum Atmenden; Rebekka stand wie betäubt, die Türe in der Hand haltend. Als der Vater verstummte, schritt sie erbleichend auf den still Daliegenden zu, aber Isaak wehrte ihr näher zu treten. Beschämt den Blick an den Boden geheftet, stand sie dort, bis dieser Blick zufällig auf ihre goldenen Armbänder fiel. Hastig streifte sie dieselben ab, in einem Moment flog der Goldflitterbesatz ihres Kleides unter ihren Fingern zu Boden und die Handtrommel entsank ihren Armen. Sie empfand mit Schauder, wie seltsam ihr leichtfertiger Schmuck stimmte zu dem erhabenen Augenblick, in welchem die Seele ihres Vaters Abschied nahm von dieser Welt. Tränen traten über ihre Augen und behutsam schlich sie sich an den Sterbenden heran, seine kalten Hände mit ihren heißen Zähren zu benetzen. So kniete sie lange um den Sterbenden beschäftigt, der nur noch einmal die Kraft hatte: »Zu spät!« zu hauchen. Wer sie in dieser Stunde gesehen hätte, würde sie für die besorgteste, zartfühlendste Tochter gehalten haben, und selbst der, der sie auf der Straße tanzen sah, er hätte ihr nun verziehen, so sehr war ihr ganzes Wesen umgewandelt, so sehr schien sie ihren Lebenswandel zu bereuen. Die beiden Geschwister gaben sich flüsternde Winke, deuteten sich an, daß es mit ihrem Vater merklich zu Ende ging. Schon schien es den beiden, die jeden Atemzug des Sterbenden zählten, als stocke plötzlich die regelmäßige Hebung der väterlichen Brust, schon schlug Isaak die Hände vor die Augen, den Todeskampf des Teuren nicht mit anzusehen, da erhob sich dieser noch einmal und verlangte, durch entschiedene, nicht mißzuverstehende Winke, Stift und Papyrusrolle. Als der Sohn ihm dies gereicht, sah er, wie die krampfhaft zuckenden Finger seines Vaters bemüht waren, mit der letzten Kraft etwas auf die Rolle niederzuschreiben, da ihm bereits die Zunge den Dienst versagte. Isaak erriet, daß es sich um die geheime Türe des Schatzhauses handelte, er verfolgte den zuckenden Stift des Schreibenden mit glühenden Augen, ja er vergaß fast, daß er sich in der Nähe des Todes befand; die Aussicht, den Schatz zu erlangen, überwand in diesem Moment den Schmerz um das brechende Herz des Vaters. Mit Bestürzung jedoch bemerkte er nach einiger Zeit, daß unter den Fingern des Sterbenden fast völlig unleserliche Zeichen hervorquollen. Er deutete dies dem Vater an, frug, was dieses oder jenes Zeichen bedeuten solle. Dieser sah flehentlich zu ihm auf, als wolle er sagen: entwirre meine Schriftzüge, die Finger gehorchen mir nicht mehr. Darauf ließ er den Stift fallen, legte mühsam die kraftlose Hand auf Isaaks Haupt, sank zurück, zuckte noch einmal vom Munde an bis in die Zehen hinunter und tat keinen Atemzug mehr. Rebekka brach in heftiges, verzweiflungsvolles Schluchzen aus, während ihr Bruder in dumpfem, tränenlosen Schmerz die Züge des Verblichenen anstarrte. Das Mädchen konnte sich nicht fassen, sie zerriß ihr Kleid, schlug sich die Brust, warf sich zu Boden, kurz, gab sich dem leidenschaftlichsten Jammer hin.
Erst nach vielen Stunden vermochte sich Isaak so weit zu fassen, daß er die Papyrusrolle, auf die der Tote die wirren Buchstaben geworfen, zu sich steckte, um sie vor dem Auge Uneingeweihter zu bewahren. Während seine Schwester das Gesicht des Toten mit ihren Tränen badete, ihn laut um Verzeihung bat, ihn beschwor, ihre Reue anzuerkennen und noch ein liebes Wort an sie zu richten, zog er behutsam das Schriftstück hervor, um die Zeichen zu enträtseln. Kaum jedoch hatte er sich einigermaßen in die Rolle vertieft, um seinen Kummer zu vergessen, so fühlte er, wie ihm dies fast allzu gut gelang, denn von nun an fand kein anderer Gedanke mehr in seinem Haupte Platz, als der, Besitzer der geheimnisvollen Reichtümer zu werden. Den ganzen Tag bis spät in die Nacht hinein saß er über der Rolle. Er vergaß Schlaf und Speise, überhörte die Mahnung seiner Schwester und bemerkte nicht, daß man die Leiche seines Vaters aus dem Zimmer getragen. Eine wahrhaft dämonische Goldgier hatte ihm das wichtige Blatt eingeflößt. Als ihm Rebekka Vorwürfe machte über seine Teilnahmlosigkeit, gewahrte er erst, daß die Leiche aus dem Zimmer verschwunden war. Da übermannte ihn denn freilich eine Art Rührung, doch diese war bald wieder verwischt, als sein Auge das verheißungsvolle Blatt streifte. Endlich nach langem Brüten sah er ein, wie unmöglich es ihm sei, diese Zeichen zu entziffern, die da auf dem Blatte tanzten; er mochte die Rolle drehen und wenden wie er wollte, sie mit dem spärlichen Lämpchen beleuchten, wie er wollte, sie gab ihm keinen Aufschluß. Die Aussicht, die Schrift nicht lesen und somit den Schatz nicht heben zu können, stürzte ihn schließlich in eine solche Verzweiflung, daß ihm Tränen aus den Augen quollen und er nach vielem ratlosem Überlegen seine Schwester weckte, die bereits Müdigkeit und Schmerz in einen fieberartigen Halbschlaf versenkt hatte. Er teilte der verstört Dreinschauenden das Geheimnis mit, so gut er dies in seinem Erregungszustand vermochte. Rebekka, durch diese Mitteilung völlig wieder in ihre frühere stürmische Lebenslust zurückversetzt, machte sich sofort über die Rolle her.
»Du bist gescheit,« meinte ihr Bruder schmeichelnd, » ein Weib hat mehr Scharfsinn als zehn Männer; dir gelingt gewiß, was mir nicht gelingen wollte: in dies närrische Gekritzel Sinn zu bringen, die abgebrochenen Worte klug zu verbinden, auf daß ich genau die Stelle kennen lerne, durch welche ich in das Innere des Gebäudes dringe. Diese Stelle muß ich genau kennen, denn Zeit, zu suchen, läßt mir die Gefahr des ganzen Unternehmens nicht.«
»Hier steht,« begann Rebekka, nachdem sie die Schrift überflogen, »gleich im Anfang folgendes: die Türe liegt über dem Wasserspiegel des Nil.« – »So weit kam ich ebenfalls,« bestätigte Isaak, »dies hatte mir bereits der Vater mündlich mitgeteilt. Weiter, lies weiter.«
»Halt,« rief das Mädchen, »höre, ob ich recht erraten, dies Zeichen, welches aussieht wie eine betrunkene Mumie, soll heißen: suche –!«
»Möglich, Schwesterlein! Entziffere das Folgende.«
Sie sann über dem Blatt, ihre Lippen bewegten sich, ohne zu sprechen. Nach einiger Zeit flüsterte sie:
»Suche in der Wandmalerei –«
»Wandmalerei! könnte dieser Schnörkel, der einem vor Lachen geplatzten Nilpferd ähnlich sieht, heißen?« warf Isaak heiter dazwischen, »wahrlich, ich beneide dich um dein scharfes Auge, schlaues Weib.«
»Es sind Hieroglyphen,« belehrte Rebekka, »die du nicht völlig verstehst; der Vater bediente sich von nun an der ägyptischen Schrift. Also: Suche in der Wandmalerei das Bildnis des Gottes Sebek, welcher sitzt auf einem Thron und dessen Haupt dasjenige des Krokodils ist.«
»Wir kommen zum Ziel,« jubelte Isaak, »weiter, teure Schwester; ich möchte dich küssen, Mädchen. Warum gab ich dir diese Rolle nicht schon früher, wir wüßten bereits die Stelle.«
»Es ist klar am Tag,« fuhr Rebekka lesend fort. »Da, wo der Gott seine Hand auf das Knie drückt, genau da, wo er die Lotosblume hält, befindet sich – o Bruder, höre nur! befindet sich die Stelle, auf welche du schlagen mußt. Alsdann wird sich der Stein, wenn du dich wider ihn stemmst,