Diese rasch ersonnene Kriegslist verfehlte ihre Wirkung nicht gänzlich, die Gestalten flüsterten angelegentlich; sie schienen zu wanken. Vor Entrüstung und Aufregung zitternd, stand ihnen der verlassene Jüngling gegenüber, wohl fühlend, daß sein Leben unter einer Herde Panther weniger bedroht wäre, als unter diesen Habgierigen.
»Ist es dein Wille, großer Osiris,« hauchte er, »soll meine Laufbahn enden, eh' sie begonnen? Oh! als ich heute morgen erfrischt, glücklich in dein strahlendes Angesicht sah, großer Sonnengott, da lächeltest du mir gnädig zu und verbargst mir, welches Unheil mir der Gott der Nacht jetzt bereitet. Weh mir! wie trügerisch sind die Götter!«
Er tat ein paar Schritte, aber sofort war er von vier Gegnern umringt, die ihm jedes Entnommen unmöglich machten.
»Warum besucht Ihr den Stadtteil der Ebräer?« knirschte ihm die schneidende Stimme eines kleinen, schwarzen, adlernasigen Mannes entgegen, »was suchst du in diesen Gassen?«
»Ich verirrte mich vom rechten Wege,« sagte Menes trotzig.
»Glaubt ihm nicht, Freunde,« lachte der andere. »Er ist ein ägyptischer Spion, er will uns arme Ebräer belauschen, um uns bei Gericht zu verklagen.«
»Er stellt, wie alle, unseren Töchtern und Weibern nach,« beteuerte sein Nachbar, »tötet den Verführer.«
»Was hat er überhaupt in dieser Nachtzeit in unserem Viertel zu tun?«
»Er ist einer unserer Unterdrücker, den Gott – gelobt sei er – in unsere Gewalt gab!«
»Mache dich bereit,« hörte der Bedrängte den phönizischen Matrosen flüstern, »in die Gefilde der Seligen zu wandern. Sein Halskragen ist mit Perlen durchwirkt, goldene Schnallen zieren seine Sandalen, an seiner Hand sehe ich einen Smaragden glänzen. Wenn wir ihn in den Fluß werfen, wer ahnt etwas von seinem Dasein.«
Der Jüngling sah, wie der Matrose einen blitzenden Stahl aus seinem Gürtel löste. Die Genossen des Blutgierigen wechselten bedeutungsvolle Blicke.
»Gib mir das Messer,« keuchte der kleine Jude, »ich stoße es ihm von hinten in den Nacken.«
Das Messer ging in die Hände des Juden über, der sich anschickte, sich wie eine Katze zwischen die Hauswand und Menes zu schieben. Der junge Mann, der diese Bewegung bemerkte, drückte sich nun, um sich wenigstens den Rücken zu decken, fest in die verschlossene Türe des Hauses. So stand er bebend, zu allem bereit, starr in die gierig leuchtenden Augen des sich ihm nähernden Ebräers blickend. In dieser Lage verharren, das sah er ein, hieße, dem sichern Tod entgegengehen. Er faßte deshalb den verzweifelten Entschluß, über den Juden herzufallen, um sodann eiligst das Weite zu suchen. Näher, immer näher drängte sich der Ebräer. Schon fühlte Menes deutlich seine heißen Atemzüge; es war ihm, als müsse er die Türe, an die er sich lehnte, mit dem Rücken eindrücken, oder als könne er mit einem gewaltigen Satz über die Köpfe seiner Angreifer hinwegfliegen. Eben erhob der Jude sein Messer, als ihm Menes, ohne recht zu wissen, was er tat, einen furchtbaren Faustschlag auf den Mund versetzte. Mit blutenden Lippen, stöhnend, taumelte der Getroffene zu Boden. Seine Genossen unterdrückten einen Schrei der Wut und Menes sah ein, daß es jetzt um ihn geschehen sei; denn der Matrose bückte sich fluchend nach dem entfallenen Messer, während die übrigen zurücktraten, um sich durch einen Anlauf für den Überfall vorzubereiten. Schon machte sich der Jüngling, fest den Rücken an das Haustor stemmend, bereit, sein Leben wenigstens bis zum letzten Atemzuge zu verteidigen; schon hatte er die zitternden Fäuste zu wuchtigem Schlage erhoben, um die Zurückgetretenen zu empfangen, da kam es ihm vor, als gäbe die Türe, an welcher sein Rücken Schutz und Stütze fand, leise seinem Drucke nach. Noch hielten seine Angreifer mit ihrem Sturm zurück, noch war Rettung möglich. Ja! es war keine Täuschung – Menes ließ den Arm erstaunt sinken – die Türe erknarrte fast unhörbar in ihren Angeln, ein Riegel rollte leise zurück, eine kleine, weiße Hand schlüpfte aus dem kaum drei Zoll breiten Spalt, faßte unseren hilfsbedürftigen Freund am Kleide und zog ihn zwischen den Pfosten und die geöffnete Türe.
»Rasch herein,« hörte er flüstern. Willenlos folgte er der Hand, denn jede Minute war kostbar. So behutsam, wie sie sich geöffnet, schloß sich die Türe wieder; Menes stand nicht mehr auf der Straße, sondern auf einem dunkeln Hausflur. Das Öffnen, Hereinziehen und Schließen war so lautlos, so rasch vollführt worden, daß die Habgierigen draußen auf der Straße sich nicht zu erklären vermochten, nach welcher Seite ihr Raub entwischt sei. Menes wachte wie aus einem schweren Traume auf, als ihm eine bekannte Mädchenstimme zuflüsterte: »Folge mir, du bist gerettet. Sobald der Morgen anbricht, kannst du nach Hause kehren; bis dahin muß ich dich in meinem Zimmer vor Verfolgung schützen.«
»Myrrah?« hauchte Menes atemlos, »du – meine Retterin? Ich bin in deiner Wohnung? Ihr Götter, was beginnt ihr mit mir,« setzte er leise hinzu, »macht ihr mich elend, um mich im nächsten Augenblick glückselig zu machen?«
»Stille,« beschwichtigte das Mädchen, während sie auf den Zehen in ihr Zimmer schlich, ein mageres Öllämpchen am Kohlenbecken anzündete und ihren Schützling bat, ihr zu folgen, »stille, damit die übrigen Hausbewohner nichts von dem Abenteuer bemerken. Komm, laß mich die Türe verriegeln. Tritt leise auf, setze dich hierher und beruhige dich, du bist noch ganz verstört.«
Ihr Benehmen zeigte nicht die geringste Befangenheit, sie drückte den Zitternden, dessen Auge glühte, auf einen Stuhl.
»Deute mein Benehmen nicht übel, guter Jüngling,« fuhr sie darauf mit holder Bescheidenheit fort, »ich hörte, als ich mich eben zu Bette legen wollte, unter meinem Fenster flüstern; als ich den Vorhang hob, übersah ich sofort deine unglückliche Lage und dankte Jehova, daß er mir vergönnt, dir behilflich zu sein. O, unser Volk ist verbittert, zürne ihm nicht, wenn es zuweilen in die Ketten beißt, die ihnen das Blut aus den Adern pressen; Verzeihe uns, wir sind nicht alle so. Nein, gewiß nicht.«
Ihre Äugen füllten sich mit Tränen.
»Daß nicht alle so sind, fühle ich es nicht an dir?« lispelte der erschöpfte Jüngling, dem Mädchen die Hand reichend, indem er ihr dabei einen Blick zärtlichster Dankbarkeit zuwarf.
»Du sprachst sanft mit mir,« erwiderte sie, in sich versunken, »du verachtest mich doch nicht wie die anderen?«
»Du tust mir weh, Myrrah, wenn du also fragst? Warum soll ich dich verachten?«
»Ich wußte es,« rief sie, ihren Schützling mit freudigleuchtenden Blicken betrachtend, »deshalb rettete ich dir das Leben.«
»Einem dir völlig Fremden würdest du es nicht gerettet haben?« frug er, um ihren Charakter zu ergründen.
»Ich weiß es nicht,« sagte das Mädchen nachsinnend, »wenn er mich geschmäht, mich mißhandelt, wie die anderen Ägypter – oh! warum hätte ich ihm das Leben retten sollen?« setzte sie dann fast wild hinzu. Gleich darauf fuhr sie weicher fort:
»Aber dir, der du sanft und gut bist, hätte ich es bewahrt dein Leben, selbst wenn du mich nicht geachtet, denn dein Leben« – sie zögerte, ein Lächeln erblühte dann auf ihren Lippen, als sie fortfuhr, »dein Leben ist mir kostbar, ich wollte, es wäre eine seltene Blume, die ich unter Glas hüten und pflegen dürfte! Aber ich weiß nicht, warum ich das alles sage.« Sie ward ernst. Sie zürnte sich selbst. Hierauf nahm sie die Lampe und leuchtete ihrem Freund hastig in die erblaßten Züge.
»Dein Auge ist tief und edel, es blickt wie euer Sonnengott,« sprach sie träumerisch mehr zu sich selbst, als zu ihm, »dir würde ich in allen Stücken trauen, du kannst nicht betrügen. Sprichst du zu mir: lege dich vor den Rachen des hungernden Krokodils, ich würde es tun; würdest du mir zürnen, würdest du diese meine Brust schlagen oder bespeien, ich würde stolz darauf sein, von dir mißhandelt zu werden! Aber auch nur von dir – deine Grausamkeit wäre nur Wollust – jeden anderen aber, der dasselbe wagte, würde ich« – – in ihrem Auge brannte edler Zorn, sie hatte unwillkürlich die schöne, kleine Hand geballt. Da fiel ihr Auge auf seine Hand.
»Aber du blutest,« rief sie erbleichend