»Das ist gut,« lächelte sie unter Tränen zu ihm empor, »du bist mutig.«
Diese Freudigkeit verwandelte sich sogleich wieder in die besorgteste Unruhe. Wasser war bald zur Hand, ein Tuch ebenfalls. Nun kniete sie nieder und streifte den Ärmel vom Gewand des Jünglings zurück, um sein Blut, das bis an den Ellbogen hinabgeflossen, aufzuwaschen. Als ihr dabei die schön gerundeten Muskeln seines Armes entgegenblühten, überzog ein ängstliches Rot ihre weißen Züge; nun erst schien ihr das Bedenkliche der ganzen Lage klar zu werden. Rasch strich sie das Gewand wieder über den Arm, stand auf, eilte an die Türe und sagte abgewendet:
»Bleibe du hier, ich will heute nacht auf der Matte des Hausflurs zubringen.«
»Eben erst sagten mir deine Lippen, Myrrah,« erwiderte ihr der errötende junge Mann, »daß du mir in allen Stücken trautest – es scheint, du traust mir dennoch nicht?«
»Das ist wahr,« lächelte sie nun, »ich war recht töricht.«
Menes, durch den Blutverlust geschwächt, stützte sich müde auf den Tisch, indem seine Glieder schlaff herabhingen.
»Armer Mann, leidest du Schmerzen?« frug sie besorgt. Er lächelte ermattet. Darauf schritt sie vertraulich zu Menes heran, setzte die Lampe auf den Tisch, holte aus einer Holztruhe ein altes kleines Brot hervor und stellte daneben ein Gefäß mit Milch nebst einigen Datteln.
»Dies ist meine Feiertagsmahlzeit,« sagte sie, »nimm, was dir die Armut bieten kann, du wirst hungern.«
Obgleich anfangs Menes, gerührt von der Einfachheit des Mahles und der Gutmütigkeit des Mädchens, dankend die Berührung der Speisen ablehnte, mußte er schließlich, um seine nötigende Wirtin nicht zu beleidigen, von der Milch etwas zu sich nehmen.
»Es ist keine Schweinemilch, die aussätzig macht,« hatte sie in traurigem Tone gelispelt, als Menes sich geweigert zuzugreifen. Daraufhin natürlich trank er. Kaum hatte Menes das Gefäß niedergesetzt und den Trank gelobt, so ließen sich auf der Treppe, die in das zweite Stockwerk führte, Tritte vernehmen. Erschrocken fuhr Myrrah empor.
»Man kommt von oben,« hauchte sie, »ich muß dich verbergen.«
Sie sah sich verlegen in dem Gemache um, das außer einem niedrigen, streuartigen Ruhelager, nebst einer Truhe, Stuhl und Tisch, nichts bot, hinter welchem sich Menes hätte verstecken sollen. Jedoch die Tritte kamen näher, die Not wuchs.
»Das ganze Haus ist von Juden bewohnt,« klagte die Jungfrau, »wenn sie dich erblicken – weh dir! weh mir! wir sind beide verloren.«
Nun hielten die Schritte an, dreimal pochte es an die Türe des Gemachs.
»Lösche die Lampe,« riet Menes leise, »ich kaure mich hinter die Truhe, stelle du dich, oder besser setze du dich auf dieselbe.«
Er sprang rasch hinter die Holzkiste, Myrrah zauderte, die Lampe zu löschen, jedoch schließlich blieb ihr, da es zum zweiten Male anpochte, nichts anderes übrig. Darauf eilte sie an die Tür, machte sie zwei Finger breit auf und frug: wer draußen sei, sie in ihrem Schlaf zu stören?
»Ich bin es –«
»Wer?«
»Ich! Isaak.«
»Du?« frug das Mädchen. »Und wie steht es um deinen kranken Vater?«
»Rebekka, meine Schwester, ist bereits seit vier Tagen nicht nach Hause gekommen,« jammerte Isaak, dessen Bekanntschaft wir bereits gemacht. »Sie schwärmt draußen umher, während ihr Vater im Sterben liegt, die gottlose Tänzerin.«
»Heute erst,« fiel ihm Myrrah ins Wort, »verkehrte ich mit ihr, sie hat sich manches erworben, sogar Gold. Ein reicher Bewunderer ihres Tanzes gab ihr drei goldene Ringe, sie könnte euch beide ernähren, wenn sie wollte.«
»Sie tut es nicht,« klagte Isaak, »ich muß meinen armen Vater hungern lassen. Da wir nicht mehr an den Pyramiden arbeiten können, wird uns auch die Nahrungslieferung entzogen, die uns sonst zuteil ward. Ich bin gekommen, gute Myrrah, – dein mildes Herz – nicht wahr, es ist unrecht, daß ich mitten in der Nacht –«
»Laß es nur gut sein,« sagte das Mädchen mit fast rauher Stimme, »du weißt zwar, daß ich dich nicht leiden mag, Isaak, aber deinen würdigen Vater kann ich nicht hungern lassen. Nimm hier den letzten Rest Milch nebst diesem Brot.«
Sie reichte dem demütig vor ihr stehenden Isaak die Speisen.
»Jehova mög' es dir danken,« stammelte er, »wenn ich dir einst ebenso aus der Not helfen könnte, es wäre der schönste Augenblick meines Lebens, gutes Kind.«
Angeekelt von seinem kriechenden Wesen wandte sich Myrrah ab und frug nur: »Liegt dein Vater noch immer stumm?«
»Du bist sehr gütig, daß du nach meinem Vater fragst,« sagte Isaak unterwürfig, das Brot mit gierigen Blicken betrachtend, »der alte Mann hat ein paar Worte gesprochen, jedoch er ist sehr matt, Rebekkas Lebenswandel stürzt ihn in die Grube.«
Myrrah schloß entrüstet die Türe, denn sie wußte, daß Isaak von jeher den Lebenswandel Rebekkas begünstigt und zu seinen habsüchtigen Absichten ausgebeutet hatte. Als die Lampe wieder das kleine Gemach beleuchtete und Menes aus seinem Versteck hervorgekommen war, drückte der Jüngling ergriffen die Hände des Mädchens.
»Du hast ein schönes Werk vollbracht,« sagte er.
»Oh, wenn sie nur nicht so schlecht wären,« murmelte sie betrübt vor sich nieder.
Hierauf erzählte sie, da Menes es von ihr zu hören wünschte, ihren ganzen Lebenslauf. Ihre Eltern hatte sie nie gekannt. Sie erinnerte sich noch dunkel, daß sie in frühester Jugend zwischen den Säulen eines Tempelhofs gespielt und daß sie dort zuweilen von einer vornehmen Dame besucht wurde, deren kostbare Sänfte noch jetzt ihr lebhaft vorschwebte. Alle Priester und Priesterinnen wichen dieser schönen, stattlichen Dame ehrfurchtsvoll aus, verbeugten sich vor ihr und frugen mit großem Respekt nach dem Befinden des Königs. Die mächtige Frau lächelte immer, scherzte fein mit ihrer Umgebung, reichte zum Abschied dem Oberpriester jedesmal einen goldenen Ring und frug, welche Fortschritte Myrrah gemacht, worauf ihr ein ältlicher Priester jedesmal die gewünschte Auskunft erteilte. Dieser Priester bewies ihr die größte Zärtlichkeit, sie lernte ihn wie einen Vater lieben. Eines Tages ließ sich die vornehme Dame in großer Erregung in den Tempel tragen. Einer langen stürmischen Unterredung, welche sie mit dem Oberpriester hatte, folgte allgemeine Bestürzung des ganzen Priesterkollegiums; die vornehme Dame sank zu Boden und weinte, der Oberpriester zerriß sein Gewand. Rasch eilten Tempeldiener herzu, um einen Stoß von Papyrusrollen zu verbrennen, welche irgendein Geheimnis bergen mußten; Myrrah freute sich bereits auf das lustige Feuer, aber der Eintritt von dreißig königlichen Schergen tat dem Werk Einhalt. Die Schergen durchstöberten die Rollen, die Worte: Verschwörung, Unterschlag usw. schlugen an Myrrahs kindliches Ohr; der Oberpriester wurde samt der vornehmen Dame auf Befehl des Königs zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in den äthiopischen Goldbergwerken verurteilt. Hier folgte in Myrrahs Erinnerung eine Lücke, sie findet sich in einem wilden, schwarzen Gebirge wieder, das von weißen Adern durchzogen, vielen Schachten den Weg in sein metallreiches Innere eröffnet. Tausende von Arbeitern sind dort beschäftigt, glänzendgelbes Metall aus Sand zu waschen, der zuvor in Mörsern zerstampft wurde. Die Sonne brennt, die Geißel der Aufseher treibt erbarmungslos zur Arbeit an. Sie selbst, das zarte Kind, muß Steine in Empfang nehmen, die aus den Schachten herausgewühlt werden. Ihre Hände bluten dabei, neben ihr kauert dieselbe vornehme Dame, die sich sonst in den Tempel tragen ließ, in zerrissenem Anzug, hohl, krank am Boden und gießt mit denselben Händen, die früher mit Perlen und Fächern spielten, Wasser über schmutziges Geröll. Manchmal empfängt sie einen schmerzlichen Blick von dieser Frau, manchmal einen brennenden Kuß, der ihr viel heiße Tränen an die Wangen drückt. Worte hört sie selten aus diesem blauen, welken Mund, nur von Seufzern quillt er über. Eines Tages sieht sie, wie diese Frau ein Schreiben empfängt, welches ihr ein königlicher Beamter vorliest.
»Gnade!« stammelt sie freudebebend, preßt leidenschaftlich