Darauf eilte sie mit fliegenden Schritten von dannen, Menes in einem Zustand völliger Trostlosigkeit, tiefster Bestürzung zurücklassend. Sein Geist war ihm wie gelähmt; schwankend, einem Trunkenen ähnlich, folgte er der Fliehenden.
Als er einige Tage später das Haus Myrrahs aufsuchte, um sich Aufklärung über ihr seltsames Benehmen zu holen, sagten ihm die Bewohner desselben, Myrrah habe das Haus verlassen, kein Mensch wisse, wohin sie sich gewendet.
Viertes Kapitel
Am Südende der Stadt liegt an den blühenden Ufern eines Nilkanals das palastartige Haus der reichen Witwe, der Mutter unseres Freundes Menes. Aus dichtem Blättermeere hebt sich strahlend, farbenschimmernd, Säule, Halle und Dach der Wohnung. In demjenigen Gemach, von welchem aus man den Blick auf den weithin ausgedehnten, blumenduftenden Garten der Villa genießt, sitzt die alternde Dame auf vergoldetem, mit rotem Polster belegten Stuhl, vor dem reich eingelegten Tisch, auf welchem in zierlichen Körben Früchte glühen, während ägyptische, äthiopische und ebräische, meist nackte Sklavinnen beschäftigt sind, die welkenden Reize der Matrone mit dem Duft der Jugend zu umheucheln. Eine schwarze Sklavin befeuchtet die runzlig werdende Haut der Dame eifrig mit ölartiger, duftender Salbe; eine andere tupft rötlichen Farbstoff auf ihre Wangen, während eine am Boden Kniende ihr den, mit einem Katzengesicht verzierten, Spiegel vorhält und eine hinter ihr Stehende den Halskragen ordnet, welcher die allzu breite Brust kunstvoll verdecken soll. Das Gemach ist reich bemalt; schöne Vasen, kostbare Glasgefäße, Statuen, Leuchter zieren seine Wände, Polster laden zum Ruhen ein; vor dem geöffneten Fenster hängt ein durchsichtiges Netz, das den Durchblick auf den sonnenschimmernden Garten, das Einströmen seines Duftes erlaubt, aber den Insekten verbietet, sich der empfindlichen Haut der Herrin zu nähern. Auf einem vergoldeten Stabe wiegt sich ein schillernder Papagei, unaufhörlich schreiend: »Iß und sei fröhlich.« Rotgelb eingefaßte Decken wehen von mehreren mit Schmuckgegenständen belegten Zederholztischen, indes viele Gestelle an den Wänden mit den Kleidern der Herrin behangen stehen.
»Hassura, trage stark auf,« lispelt die vornehme Dame, »ich glaube, auf der Stirne will sich eine Falte bilden.«
»O nein,« versichert eifrigst Hassura, obgleich sie selbst die Falte erschrocken wahrgenommen, »o nein! was Ihr für eine Falte haltet, ist nur ein vorübergehendes Weichwerden der Haut. Meine schöne Herrin ist so glatt wie die Blätter der Lotosblume, ihre Stirne ist eben wie die Wasserfläche des Teiches und die Scheibe des Metallspiegels, in welchem sie sich beschaut.«
»O Gebieterin!« schreit plötzlich Assa, die Äthiopierin auf, »bei allen Göttern! – ich wage es kaum auszusprechen!« –
»Was hast du? – Rede!« sagt die Dame, ängstlich nach ihrem Haupte greifend, auf welchem Assa die Haare ordnet. Assa läßt den Kamm zu Boden sinken, dann stammelte sie: »Ich bin unschuldig daran,« und sinkt ihrer Herrin zu Füßen.
»Wirst du endlich sprechen?« sagt diese.
»Wieder ein graues Haar,« tönt es von Assas erschrockenen Lippen.
»Wie sprichst du? Du lügst!« entgegnet ihr entrüstet Asso, die Herrin, »wenn du lügst, ich lasse dir die Brüste mit glühenden Nadeln durchstechen.«
»Hier, hier! o seht, Gebieterin, ob ich lüge,« beteuert angstvoll die Zofe, indem sie den Gegenstand des Entsetzens, ein unschuldiges, weißes Härchen, wie ein giftiges Insekt, zwischen Daumen und Zeigefinger feierlichst der Herrin vor die Augen hält. Diese schüttelte ärgerlich den Kopf.
»Verbrenne es, Assa,« sagt sie endlich resigniert, nachdem sie nach genauer Untersuchung sich von der Wahrheit überzeugt.
»Verbrenne es, und daß Metophis, der höchste Kanalbeamte, und Metro, der Nomarch, nichts davon erfährt, ihr Lieben. Wehe derjenigen, die plaudert – sie stirbt! Bei Isis! sie stirbt, denn der Nomarch gab mir gestern leise zu verstehen, daß er nicht abgeneigt sei, um meine Hand anzuhalten. Diese bekommt er nun freilich nicht, jedoch will ich mir keinen Liebhaber und Schmeichler verscheuchen, was graue Haare unfehlbar imstande sind. Netkro, die Perücke! Ich will von nun an eine Lockenperücke tragen.«
Während man nun beschäftigt ist, Ketten und Skarabäen an den Gewanden der Gebieterin zu befestigen, berichtet ein mittlerweile eingetretener Sklave, daß bereits ganz Memphis auf den Beinen ist, den Festzug des siegreichen Ramses zu bewundern. Ramses habe den rückständigen Tribut von den Chetas durch eine einzige Schlacht erzwungen; der feindliche König sei selbst in die Hände des Siegers gefallen und werde den Festzug mit seiner Gegenwart zieren. Die vornehme Dame ist nämlich im Begriff, diesen Zug mit anzusehen; draußen vor dem Tor, das auf den Nilkanal hinausführt, harrt bereits die rot-, gold- und blaubemalte Barke, geführt von zwölf starken Ruderern.
Sobald Asso vernommen, Memphis dränge sich bereits in buntem Gewühl durch die Straßen, kann sie ihre Ungeduld kaum mehr beherrschen. Die Nadeln werden zu langsam gesteckt, oder ritzen gar ihre Haut, die Sandalen wollen nicht sitzen, das Kopftuch hängt schief, kurz, keine der vorsichtigen Dienerinnen bedient sie zur Zufriedenheit.
»Beeilt euch, ich komme zu spät,« mahnt sie unaufhörlich, mit den Füßen aufstampfend, ja zuweilen mit der flachen Hand Schläge austeilend, wenn sie glaubt, die Zofe sei allzu ungeschickt. Eine schlanke Assyrerin läßt die Armspange fallen.
»Fort mit ihr!« befiehlt die Gebieterin wütend, »geißelt sie, bis sie blutet!«
Man führt die Halbohnmächtige weg; die anderen Frauen wagen kaum zu atmen, wie ein Bann liegt es über dem Zimmer, alle schauen zitternd auf die Mächtige. Endlich ist das schwierige Werk des Ankleidens vollendet; die Dienerinnen atmen auf; sie erhebt sich.
»Als ich noch bei Hofe weilte,« sagt sie, sich betrachtend, »sprach der König öfter zu mir, ich verstünde wie keine andere mich vorteilhaft zu schmücken.«
Bei dem Worte »Hof« geht ein Ehrfurchtsschauer durch die ganze Dienerversammlung. Da dringen von fernher seltsame Töne in das Gemach, Töne, welche den Dienerinnen kalten Schweiß erpressen. Furchtsam schauen sie sich an; sie wissen, woher die Töne kommen, sie wissen, wer sie ausstößt.
»Ei! ei! ich glaube, da stöhnt ein Weib,« sagt Asso vergnügt, »kann mir eine von euch sagen, wer so erbärmlich schreit?«
»Herrin, du selbst gabst den Befehl: man solle die kleine Assyrerin –« erwiderte eine der Frauen.
»Ah!« unterbricht sie die Witwe, »weil sie das Armband beschädigt? – geißeln? richtig. Nun, es ist gut!«
Nach einiger Zeit werden die Schmerzensschreie der Gegeißelten dringender. Asso tut, als höre sie dieselben nicht.
»Reiche mir eine der Früchte,« sagt sie und beginnt zu essen.
»Ei, singt mein Vogel lieblich!« lacht sie, als die Gemarterte erbarmungswürdige Laute ausstößt.
»Mein verstorbener Gatte,« fügt sie dann hinzu, »lobte meist die Art, wie ich das Kopftuch so geschickt zu tragen wisse. Hassura, rücke mir das Tuch noch ein wenig nach links – so, jetzt sitzt es recht. Ja! als ich noch bei Hofe weilte,« (das »Hof« wird besonders betont) »das war eine Zeit. Ihr albernen Geschöpfe würdet vergehen in Demut, wenn ihr diese Pracht jemals zu sehen bekämt.«
Im Vorgefühl ihres Triumphes und des Eindrucks, den sie auf die Zuschauer des erwarteten Festzugs zu machen hoffte, beginnt sie leutselig zu werden, verschenkt kleine, abgenutzte Schmuckgegenstände und liebkost ihren Papagei. Plötzlich wendet sie sich an den eben eintretenden Verwalter ihres Landsitzes, einen ältlichen Assyrer:
»Belises, ich bekam meinen Sohn Menes seit fast vierzehn Tagen nicht zu Gesicht. Hast du eine Ahnung davon, wo er sich, der Schwärmer, umhertreiben mag.«
»Nein, gnädige Herrin,« erwidert sich tief verbeugend der Verwalter, »mir ist ebenso unbekannt wie dir, wo Menes verweilt. Zum letzten Male sah ich ihn im Tempel des Apis seinen Morgengottesdienst