»Oh! nein, Monseigneur,« sprach der ungläubige Soldat, für den Augenblick ist noch keine Gefahr. Man sagte nur, er sollte entweichen.«
»Und wer sagt dies?«
»Wiederholt Eure Geschichte, Saint-Laurent,« sagte der Garde, sich gegen den Erzählen umwendend.
»Monseigneur,« sprach dieser, »ich erzählte ganz einfach diesen Herren, was ich von der Weissagung eines gewissen Coysel gehört habe, welcher behauptet, so gut auch Herr von Beaufort bewacht sei, so werde er doch vor Pfingsten entkommen.«
»Und dieser Coysel ist ein Träumer? ein Narr?« versetzte der Cardinal, beständig lächelnd.
»Nein,« antwortete der Garde, hartnäckig in seiner Einseitigkeit.« Er weissagte viele Dinge, welche geschehen sind, z. B. die Königin würde einen Sohn gebären, Coligny in einem Duell mit dem Herzog von Guise getödtet, der Coadjutor zum Cardinal ernannt werden. Die Königin gebar nicht nur einen ersten Sohn, sondern auch zwei Jahre später einen zweiten und Herr von Coligny wurde getödtet.«
»Ja.« sagte Mazarin, »aber der Herr Coadjutor ist noch nicht Cardinal.«
»Nein, Monseigneur,« erwiderte der Garde, »aber er wird es werden.«
Mazarin machte eine Grimasse, welche sagen wolltet er hat das Baret noch nicht. Dann fügte er bei:
»Es ist also Eure Meinung, mein Freund, Herr von Beaufort solle sich flüchten.«
»Daß ist so sehr meine Meinung, Monseigneur,« sprach der Soldat, »daß ich, wenn Eure Eminenz mir zu dieser Stunde die Stelle von Herrn von Chavigny, das heißt, die des Gouverneurs im Schlosse Vincennes anböte, ich dieselbe nicht annehmen würde. Ja, am Tage nach Pfingsten wäre es etwas Anderes.«
Es gibt nichts Ueberzeugenderes, als eine große Ueberzeugung. Sie übt sogar ihren Einfluß auf Ungläubige aus, und weit entfernt, ungläubig zu sein, war Mazarin, wie gesagt, vielmehr abergläubisch. Er entfernte sich also ganz in Gedanken versunken.
»Der Knauser!« sprach der Garde, welcher an der Wand lehnte. »Er stellte sich, als glaubte er nicht an Euren Magier, Saint-Laurent, damit er Euch nichts zu geben brauchte. Aber sobald er in seine Wohnung zurückgekehrt ist, wird er Eure Weissagung benützen.
Statt seinen Weg nach dem Zimmer der Königin fortzusetzen, lehrte Mazarin wirklich nach seinem Cabinet zurück, rief Bernouin und gab Befehl, man solle ihm am andern Morgen bei Tagesanbruch den Gefreiten holen, den er Herrn von Beaufort beigegeben habe, und ihn wecken, so bald er kommen würde.
Ohne es zu vermuthen, hatte der Garde die schmerzlichste Wunde den Cardinals mit dem Finger berührt. Seit den fünf Jahren, die Herr von Beaufort im Gefängnisse saß, verging kein Tag, an welchem Mazarin nicht dachte, Herr von Beaufort werde früher oder später entkommen. Man konnte einen Enkel von Heinrich IV. nicht sein ganzes Leben lang gefangen halten, besonders wenn dieser Enkel von Heinrich IV. kaum dreißig Jahre alt war. Aber wie er den Kerker verlassen mochte, welchen Haß mußte er nicht in feiner Gefangenschaft gegen denjenigen angehäuft haben, welchem er dieselbe zu danken hatte, … der ihn, reich, tapfer, berühmt, von den Frauen geliebt, von den Männern gefürchtet, gefaßt hatte, um von seinem Leben die schönsten Jahre abzuschneiden, denn im Gefängniß leben ist kein Dasein. Mittlerweile verdoppelte Mazarin seine Wachsamkeit gegen Herrn von Beaufort, nur war er dem Geizigen in der Fabel ähnlich, der neben seinem Schatze nicht schlafen konnte. Oft erwachte er plötzlich in der Nacht bei dem Traume, man habe ihm Herrn von Beaufort gestohlen. Dann erkundigte er sich nach ihm, und bei jeder Erkundigung, die er einzog, mußte er zu seinem Schmerze erfahren, der Gefangene spiele, trinke, singe und befinde sich ganz vortrefflich. Aber mitten im Spielen, Trinken und Singen unterbreche er sich immer wieder, um zu schwören, Mazarin soll ihm das Vergnügen, das er ihn in Vincennes zu genießen nöthige, theuer bezahlen.
Dieser Gedanke beschäftigte den Minister ganz gewaltig. Als Bernouin Morgens sieben Uhr in sein Zimmer trat, um ihn aufzuwecken, war auch sein ersten Worte:
»He, was gibt es? Ist Herr von Beaufort aus Vincennes entwichen?«
»Ich glaube nicht, Monseigneur,« antwortete Bernouin, dessen officielle Ruhe sich nie verleugnete. »Aber in jedem Fall bekommt Ihr Nachricht von ihm, denn der Gefreite La Ramée, den man diesen Morgen in Vincennes geholt hat, ist da und erwartet die Befehle Eurer Eminenz.«
»Öffnet und laßt ihn eintreten,« sprach Mazarin, und legte seine Kissen so zurecht, daß er ihn im Bette sitzend empfangen konnte.«
Der Offizier7 trat ein. Es war ein großer, dicker, pausbäckiger Mann von gutem Aussehen. Er hatte eine gewisse ruhige Miene, welche Mazarin beunruhigte.
»Dieser Bursche sieht ganz aus, wie ein Dummkopf,« murmelte er.
Der Gefreite blieb aufrecht und stillschweigend an der Thüre stehen.
»Nähert Euch, mein Herr,« sagte Mazarin.
Der Gefreite gehorchte.
»Wißt Ihr, was man hier sagt?« fuhr der Cardinal fort.«
»Nein, Monseigneur.«
»Nun wohl, man sagt, Herr von Beaufort werde aus Vincennes entweichen, wenn er es nicht bereite gethan hat.«
Das Gesicht des Officiers drückte das tiefste Erstaunen aus. Er öffnete zugleich seine kleinen Augen und seinen großen Mund, um den Scherz besser zu kosten, den seine Eminenz an ihn zu richten ihm die Ehre erwies. Da er bei einer solchen Voraussetzung den Ernst nicht länger behaupten konnte, so brach er in ein so mächtigen Gelächter aus, daß seine dicken Glieder wie von einem heftigen Fieber bei dieser Heiterkeit geschüttelt wurden.
Mazarin war entzückt über diesen nicht sehr respecktvollen Ausbruch; aber er behielt dessen ungeachtet seine ernste Miene bei. Als La Ramée genug gelacht und sich die Augen abgetrocknet hatte, dachte er, es wäre Zeit, zu sprechen, um die Unschicklichkeit seiner Lachens zu entschuldigen.
Entweichen,« sprach er, »entweichen? Eure Eminenz weiß also nicht, wo Herr von Beaufort ist?«
»Allerdings, mein Herr, ich weiß, daß er im Kerker von Vincennes ist.«
»Ja, Monseigneur, in einem Zimmer, dessen Mauern sieben Fuß tief sind, mit Fenstern mit gekreuzten Gittern, an denen jede Stange so dick ist, wie ein Arm.«
»Mein Herr,« sagte Mazarin, »mit Geduld dringt man durch alle Mauern, und mit einer Uhrfeile durchsägt man eine eiserne Stange.«
»Aber Monseigneur weiß nicht, daß er acht Wachen bei sich hat, vier in seinem Vorzimmer und vier in seinem Zimmer, und daß diese Wachen ihn nie verlassen.«
»Aber er verläßt sein Zimmer, treibt das Kolbenspiel oder das Ballspiel.«
»Monseigneur, solche Unterhaltungen sind den Gefangenen gestattet; wenn jedoch Seine Eminenz will, so wird man ihm dieselbe entziehen.«
»Nein, nein,« sagte Mazarin, welcher befürchtete, wenn man ihm diese Vergnügungen entzöge und sein Gefangener jemals Vincennes verließe, so würde er es noch mehr gegen ihn aufgebracht verlassen. »Ich frage nur, mit wem er spielt?«
»Monseigneur, er spielt mit dem Officier von der Wache, oder mit mir, oder auch mit den andern Gefangenen.«
»Aber nähert er sich beim Spiele nicht den Mauern?«
»Monseigneur, Euere Eminenz kennt die Mauern nicht? Die Mauern sind sechzig Fuß hoch, und ich zweifle, ob Herr von Beaufort so sehr den Lebens müde ist, daß er es wagen würde, von oben herabspringend den Hals zu brechen.«
»Hm,« sagte der Cardinal, der nun ruhiger zu werden anfing, »Ihr meint also, mein lieber La Ramée …«
»Wenn Herr von Beaufort nicht Mittel findet, sich in einen kleinen Vogel zu verwandeln, so stehe ich für ihn.«
»Nehmt Euch in Acht, Ihr behauptet zu viel,« versetzte Mazarin. »Herr von Beaufort sagte zu den Wachen, welche ihn nach Vincennes führten, er habe oft an den Fall, daß man ihn einkerkern würde, gedacht und habe für diesen Fall vierzigerlei Manieren gefunden, aus dem