George hatte der ganzen Erzählung mit derselben trüben und wehmütigen Miene gelauscht. Jetzt, als Edmund Wiedenburg schwieg, fuhr er wie aus einem Traume auf, fast als habe er den Schluss gar nicht gehört.
»Seltsam! Traurig!« sagte er. »Hat Mr. Hywell zuweilen mit Ihnen von mir gesprochen? Hat Miss Mary sich meiner erinnert?«
»Nun sicherlich!« antwortete der Deutsche. »Mr. Hywell und seine Tochter sprachen stets mit der größten Teilnahme von Ihnen. Ich glaubte anfangs, als ich so oft den Namen George hörte, Sie seien wirklich ein Sohn oder Neffe Mr. Hywells, bis er mir später sagte, Sie hätten ihm geschrieben, Sie wollten nach dem Orient gehen und sich, wenn es möglich sei, an dem Kampf gegen die Russen beteiligen, und er könne dies nur billigen, da Sie ja ein Sohn Kaukasiens seien. Miss Mary sprach stets von Ihnen wie von einem Bruder. Beide freuten sich innig darauf, Sie in Sinope oder Konstantinopel zu finden!«
George versank wieder auf einige Minuten in seine Träumerei. Dann aber schien er sich aufzuraffen.
»Dank Ihnen, Dank, Mr. Wiedenburg«, rief er lebhaft, »dass Sie sich meines Pflegevaters und Miss Marys so warm angenommen. Die teuren, unglücklichen Menschen, was müssen sie erdulden! Was können wir tun, Sir, sie zu befreien? Ich bin zu allem bereit! Ich scheue kein Opfer, nichts, ich gebe jeden andern Plan auf, bis Mr. Hywell und seine Tochter befreit sind.«
»Ja, Sir, die Antwort ist leider nicht leicht«, antwortete Wiedenburg, »und wir müssen sehr reiflich jeden Schritt überlegen, denn das Leben Mr. Hywells und seiner Tochter schwebt in Gefahr, sobald die Kurden die Absicht wittern, die Gefangenen zu befreien, ohne Lösegeld zu zahlen. Das letztere war, wie ich von Mr. Hywell hörte, für uns alle auf dreißigtausend türkische Dukaten angesetzt. Wie sollen wir diese oder auch eine weit geringere Summe auftreiben! Und anders als in gemünztem Gelde nimmt der Kurde keine Zahlungen. Auch dürfte sich der mutige Mr. Hywell kaum dazu verstehen, den Räubern eine solche Summe zu gewähren, falls sich irgendein anderer Weg zur Befreiung zeigt. Nur der Gedanke an Miss Mary könnte ihn zur Zahlung eines Lösegelds geneigt machen. Ich denke, wir senden einen Boten nach Sinope zu meinem Verwandten, teilen ihm das Vorgefallene mit und bitten ihn, für alle Fälle möglichst viel gemünztes Gold zu sammeln und in Bereitschaft zu halten, zugleich aber nach Konstantinopel einen Bericht an den englischen und österreichischen Gesandten zu senden und sie zu bitten, die Pforte zum schleunigsten Handeln aufzufordern. Es ist möglich, da ja doch jetzt des Kriegs wegen eine Menge Menschen auf den Beinen sind und eine gewisse Rührigkeit selbst in diesen Gegenden herrscht, dass man sich schnell entschließt, etwas für Mr. Hywell und seine Tochter zu tun. Wir aber müssen uns nach Bajazid oder irgendeinem Ort begeben, an welchem sich ein vernünftiger Kommandeur befindet, womöglich zu Guyon oder, wie er jetzt heißt, Churschid-Pascha. Dieser muss es übernehmen, Mr. Hywell, seine Tochter, die Diener und Dienerinnen den Händen Kaschir-Agas zu entreißen, sei es·in Güte oder mit Gewalt. Ich denke, die unmittelbares Einwirkung eines hochstehenden Kommandeurs und das Versprechen einer Geldsumme werden ihren Einfluss aus Tamir-Aga, den Alten, nicht verfehlen. Im Notfall müsste man ihn als Geißel festhalten, bis Kaschir-Aga die Gefangenen herausgegeben hat. Aber das alles bedarf der ruhigsten und nüchternsten Überlegung, und vor allem haben wir Geld nötig. Das Dringendste erscheint mir also, einen von unsern Führern nach Sinope zu senden, um meinen Oheim zu bitten, uns eine Anweisung auf irgendeinen Kaufmann in Bajazid, Erzerum oder Kars zu senden. Denn in diesem Lande kann man nichts ausrichten, ohne nicht immer die Hand in der Tasche zu haben.«
Das wurde denn auch sogleich getan. Wiedenburg schrieb einen Brief an seinen Oheim, dem George einige Zeilen hinzufügte, und damit man sicher sei, dass der Bote den Brief wirklich in Sinope abliefere, gab man ihm nur eine kleine Summe, mit dem Bedeuten, dass, Mr. Wiedenburg ihm das Dreifache in Sinope auszahlen werde. Georges Führer ritt sogleich mit dem Briefe die Straße zurück. Wiedenburg aber bat George, sich der Ruhe hingeben zu dürfen. Denn jetzt, zu einem Resultat und einer gewissen Beruhigung gelangt, fühlte er sich nach so vielen Wochen körperlicher Anstrengung und geistiger Aufregung plötzlich von unwiderstehlicher Ermattung überwältigt.
IV. Die Rettung
Wenn auch nicht warm, doch hell und freundlich schien die Januarsonne durch das kleine Fenster in das geräumige Gemach, das die Wohnung Mary Hywells bildete. Als es Mary zuerst betrat, hatte es nur aus den rohen Steinwänden bestanden, mit einer schmalen Leiste am Fuße der Wände, um Kissen zum Diwan darauf zu legen. Jetzt war es durch Marys und ihrer Dienerinnen Bemühungen