Er sagte das heiter und froh, überhaupt deutete sein heller Blick, seine freie Stirn und der gesamte Ausdruck seiner Züge auf einen heitern Charakter, dem jedoch der Ernst zur rechten Zeit wohl nicht fehlte. George lächelte auch, aber seine Miene behielt etwas Trübes.
Und das ließ sich leicht erklären, wenn man bedachte, dass die Nachricht über Mr. Hywell und seine Tochter immer nur eine verhältnismäßig gute zu nennen war.
Edmund Wiedenburg hatte mit dem besten Appetit gegessen und getrunken und rauchte jetzt mit großem Behagen seine Zigarre. Johnny war leise mit dem Geschirr beschäftigt, und George schien zu harren.
»Nun also – zur Erzählung!« rief der Deutsche dann, und seine Züge wurden ernst.
»Verzeihen Sie, dass ich so lange geschwiegen, und halten Sie es nicht für Teilnahmslosigkeit, Mr. George. Aber nach so vielen geistigen und körperlichen Strapazen verlangt die menschliche Natur ein wenig Ruhe. Auch habe ich versucht, meine Erinnerung zu ordnen, um Ihnen einen kurzen und doch klaren Bericht zu geben. Die Einzelheiten werden Sie später erfahren, denn wir werden doch wohl beisammenbleiben und gemeinschaftlich handeln müssen. Ich werde ganz ruhig und einfach schildern, ohne zu klagen und auf das Geschick zu schmähen, denn das nutzt nichts. Sie sollen klare Einsicht in die Lage der Dinge erhalten, damit Sie mit mir vereint einen Beschluss fassen können. Man gewöhnt sich zuletzt auch an das Missgeschick, und gerade erst dann, wenn man es ruhig überblickt, darf man hoffen, es zu ändern.«
George bejahte stumm.
»Bis zu welcher Zeit reichen Ihre letzten Nachrichten von Mr. Hywell?« fragte Edmund Wiedenburg.
»Bis zur Zeit, in welcher mein Pflegevater im Begriff stand, Teheran zu verlassen«, antwortete George.
»Ja, von dort aus sandte er, glaube ich, seinen letzten Brief an meinen Oheim«, sagte der Deutsche. »Nun, dann wissen Sie, dass ich schon von Kalkutta aus, wo ich Mr. Hywell kennengelernt, mit Ihrem Pflegevater gereist bin. Ich muss nach Deutschland zurückkehren, um dort das Handlungshaus meines Vaters weiterzuführen. Nun wäre der Weg über Suez wohl der kürzere und sicherere gewesen, aber mein Wunsch, Persien und Armenien kennenzulernen, und zugleich der Gedanke, in der Gesellschaft eines so ehrenwerten und erfahrenen Mannes, wie Mr. Hywell ist, zu reisen, bestimmten mich, teil an dem Zuge durch Persien zu nehmen. Und ich hatte es wahrlich nicht zu bereuen. Mr. Hywell ist einer der achtbarsten Männer, die mir je im Leben begegnet sind, Miss Mary die freundlichste, liebenswürdigste Dame, und unsere Reise bot, außer einigen Unannehmlichkeiten, die ein weiter Weg durch Gegenden, die oft nur wenig bebaut sind, mit sich führt, nur Angenehmes und Belehrendes. In Teheran musste Mr. Hywell länger verweilen, als er wollte. Die englische Regierung hatte erfahren, dass Persien sich auf Seite Russlands neige, und wünschte dem entgegenzuwirken. Mr. Hywell erhielt die darauf bezüglichen diplomatischen Aufträge, konnte aber nichts ausrichten. Übrigens glaubte er nicht an einen baldigen Ausbruch des Kriegs; er war überzeugt, dass Russland und die Pforte noch unterhandelten und dass es den Bemühungen Frankreichs und Englands gelingen werde, diesen Unterhandlungen eine friedliche Wendung zu geben. Als wir deshalb Anfang September Teheran verließen und nach Tauris aufbrachen, war es sein fester Entschluss, den kürzesten Weg zur Rückkehr zu wählen und über Bajazid nach Erzerum oder Batum und von dort nach Sinope zu reisen. Eine Abteilung persischer Krieger begleitete uns bis Tauris. Hier lauteten die Nachrichten freilich ganz anders als in Teheran. Der Krieg zwischen Russland und der Pforte hatte bereits begonnen. Die Engländer und Amerikaner in Tauris und noch dringender die Persier und Armenier stellten nun Ihrem Pflegevater vor, dass er gut tun würde, über Eriwan nach Tiflis zu reisen, da das ganze Kurdenvolk, wie ein gestörter Wespenschwarm, in Unruhe und Aufregung sei. Aber er bestand auf dem kürzesten Wege, einmal, weil er, wie er sagte, schon zu viel Zeit verloren, und zweitens, weil ihm, als einem echten Engländer, keine Schwierigkeit unüberwindlich schien. Wir versahen uns mit zahlreicher Dienerschaft, zogen Erkundigungen über das Verhalten ein, das wir etwaiger Gefahr gegenüber einzuschlagen hätten, und brachen Ende September von Tauris auf, alle zu Pferde, Miss Mary ebenfalls, aber in einer Art von Palankin, den ihr Vater schon in Kalkutta für sie hatte anfertigen lassen und dessen sie sich auf der ganzen Reise bediente; die beiden englischen Dienerinnen, die sie begleiteten, ritten auf frommen Pferden. – Nach drei Tagereisen teilten uns die Führer mit, dass sie erfahren, die türkischen Kurden zögen in großen Haufen nach der russisch-türkischen Grenze, und da man wisse, dass sie gern alles mitnehmen, was ihnen irgendwie zu nehmen möglich sei, so sei es vielleicht besser, wenn wir umkehrten. Mr. Hywell wollte nichts davon wissen; er meinte, die persischen Kurden seien nicht besser als die türkischen, und doch hätte sich keiner an uns gewagt. Wir setzten also unsere Reise fort. Täglich entfernten sich jedoch einer oder zwei von unsern Dienern, um nicht zurückzukehren; sie fürchteten wahrscheinlich ein Zusammentreffen mit den Kurden. – Wir waren nicht mehr fern von Bajazid; vielleicht eine oder zwei Tagereisen, und ich kann wahrlich nicht sagen, ob wir uns noch auf persischem oder schon auf türkischem Gebiet befanden, als wir in einem kleinen Orte anhielten, um Menschen und Tieren die Mittagsrast zu gönnen. Es war ein rings von hohen Bergen umgebenes, unbedeutendes Nest; aber das Karawanserai fehlte nicht, und in diesem quartierten wir uns für einige Stunden ein. Abermals trat der Dolmetscher an uns heran und sagte uns, er habe gehört, es befinde sich ein Kurdenhaufe – von den sogenannten unabhängigen – in der Nähe und habe auf einer Felsenhöhe vor dem Orte sein Lager aufgeschlagen, gleichsam um uns abzuwarten. Mr. Hywell aber antwortete auch diesmal, dass wir nie vorwärtskommen würden, wenn wir uns durch derartige Bedenken aufhalten ließen. Wir brachen auf. Miss Hywell stieg wie immer in ihren Palankin und wir nahmen sie und das Gepäck in die Mitte. Bei der Musterung hatten wieder drei persische Diener gefehlt. Mr. Hywell war deshalb entschlossen, sich in Bajazid eine türkische Schutzwache auszubitten, möge es kosten, was es wolle. Ja, wären wir nur erst dort gewesen! Eine Viertelstunde hinter dem Orte sahen wir die Kurdenschar auf einer Anhöhe rasten. Wir errieten sogleich, dass es türkische oder unabhängige Kurden seien, denn statt der spitzen persischen Lammfellmützen trugen sie niedrige Filzmützen, die meist mit Tüchern umwickelt waren. Die Schar bot einen Anblick, der einen Maler begeistert haben würde, mir indessen nicht sonderlich gefiel. Es waren abenteuerliche Kerle, manche ganz rot gekleidet, in den verschiedensten Trachten, alle zu Pferde und bewaffnet, teils mit Flinten, krummen Säbeln und Pistolen, teils nur mit langen, schweren, lanzenartigen Stangen. Sie hielten so ruhig und beobachtend auf ihrer Höhe, dass es uns leicht war, zu erraten, wir seien der Gegenstand ihrer besondern Aufmerksamkeit. Unwillkürlich ritt Mr. Hywell, dessen Auge scharf nach der Höhe hinüberblitzte, in die Nähe seiner Tochter, und ich folgte seinem Beispiel. Die persischen Diener machten sehr lange Gesichter, nur unsere europäischen Diener, vier an der Zahl, zeigten sich unbesorgt. Natürlich unterbrachen wir unsern Ritt nicht. Die Straße führte, wie wir bald bemerkten, zu jener Felsenhöhe hinauf und dicht an ihr vorüber. Der Dolmetscher, ein Armenier, beriet sich mit Mr. Hywell und gab ihm den Rat, falls einige Kurden sich näherten, ihrem Anführer einige Geschenke anbieten zu lassen. Würden wir angegriffen, so sollten wir keinen Widerstand leisten, da er einer solchen Überzahl gegenüber doch vergeblich sein würde; er glaube Hakkarikurden in der Schar zu erkennen und das seien von allen Kurden die blutdürstigsten. – Mr. Hywells Gesicht war sehr ernst geworden; die Aufstellung der Kurden ließ kaum einen Zweifel, dass es auf einen Überfall abgesehen war. ›Es ist mir nicht um mich zu tun‹, flüsterte er mir mit einem düstern Blick zu, ›aber Mary! Mary!‹ Ich verstand ihn vollkommen, und da ich Miss Hywell in hohem Grade achten und verehren gelernt hatte, so wurde auch mir unheimlich bei dem Gedanken an all die Möglichkeiten, denen eine junge und schöne Europäerin unter diesem fast wilden Volke ausgesetzt sein konnte. Dann ritt er zu Miss Mary, sprach angelegentlich einige Worte mit ihr und zog die Vorhänge ihres Palankins dicht zu. Wenn ich sage Palankin, so haben Sie mich wohl verstanden. In Ostindien trägt man die Palankins; dieser ließ sich jedoch auf einem Pferde befestigen, war aber im Übrigen, ganz ähnlich einem indischen, mit Vorhängen, Kissen und Armlehnen versehen, konnte auch, wenn es nötig war, getragen werden. Darauf schickte Mr. Hywell die europäischen Diener zu den Saumtieren, welche das Gepäck trugen, und befahl ihnen, jeden, der sich denselben nähern würde, niederzuschießen, vorausgesetzt. dass er ihnen nicht vorher den Befehl