Der Held von Garika. Adolf Mützelburg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Mützelburg
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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sich die Horde in Bewegung und kam im Trab auf uns zu. Es fielen auch einige Schüsse, aber wohl nur, um uns einzuschüchtern. In wenigen Minuten waren wir auf allen Seiten umgeben. Wir mochten im Ganzen etwas über dreißig Personen sein; die Zahl der Kurden betrug wohl mindestens das Acht- oder Zehnfache. Mr. Hywell und ich hatten die Pistolen in die Hand genommen. Der armenische Dolmetscher aber rief uns heftig zu, wir möchten um Himmelswillen nicht schießen; vielleicht kämen wir mit einer Plünderung davon; würden wir gefangen, so möchten wir ein Lösegeld bieten. – Und damit wandte er sein Pferd und schien fliehen zu wollen, was ich ihm kaum verargen konnte. Mr. Hywell aber streckte ihm die Pistole entgegen und sagte: ›Bleibt, guter Freund! Gerade jetzt haben wir Euch nötig!‹ Der Armenier blieb, denn Mr. Hywells Augen, so freundlich hell sie sonst auch sind, können doch zu Zeiten sehr drohend aussehen. – Die vielen Pferdehufe hatten den Staub aus den Felsen und auf der Landstraße so schnell und heftig aufgewirbelt, dass er uns wie eine dichte Wolke umzog. Wir konnten kaum zehn Schritt weit sehen. Mr. Hywell rief den europäischen Dienern zu, die Gepäckpferde näher zu führen; wir beide nahmen neben Miss Mary Platz, deren Dienerinnen sich dicht zu ihr gedrängt hatten. Da tauchte plötzlich dicht vor uns eine Kurdenschar aus der Staubwolke auf, voran zwei Reiter, deren Gesichter ich in meinem Leben nicht vergessen werde. Von ihrer Tracht will ich schweigen – Sie haben ja jetzt wohl schon Kurden gesehen – es ist eine wahre Räubertracht; die Söhne der Abruzzen sind idyllische Schäfer gegen diese in die grellsten Farben gekleideten Dämonen. Ich will nur erwähnen, dass in ihren Gürteln wahre Batterien von Pistolen und krummen Dolchen steckten, und dass ihre langen Flinten ihnen fast wie Spieße über den Kopf wegragten. Es war ein alter und ein junger, Vater und Sohn, beide sich so ähnlich wie ein alter Wolf dem jungen; der alte mit grauschwarzem Bart, der junge mit wirklich prächtigem, rabenschwarzem Bartwuchs, beide mit durchdringenden Luchsaugen und Nasen, die wie Habichtschnäbel gekrümmt waren; der Alte mager wie ein Gerippe, nur Sehnen und Knochen, der junge aber in seiner Art ein Prachtexemplar, die Galgenphysiognomie abgerechnet ein ganz kapitaler Bursche. Um mir die allgemeine Benennung zu ersparen, will ich Ihnen sogleich sagen, wie sie hießen, denn diese unfreiwillige Bekanntschaft war leider eine dauernde. Der Alte hieß Tamir-Aga, sein Sohn Kaschir-Aga; der Alte war Häuptling eines unabhängigen Kurdenstamms, ob der Hakkari- oder Rewandis-Kurden, das weiß ich nicht genau, tut auch nichts zur Sache, denn von diesen beiden Stämmen ist der eine immer grausamer, wilder, fanatischer und – beutegieriger als der andere. Übrigens verrieten uns schon die zahllosen Schals, die sie zu dicken Wülsten um ihre Filzmützen gewickelt hatten, dass es sogenannte vornehme Kurdenhäuptlinge seien. Sie ritten prächtige Pferde. Wie sie uns musterten, ihre Flinten im Arm haltend, nun, Mr. George, so muss der wilde Luchs seine Beute mustern! Wir hielten die Pistolen in Schusshöhe auf dem Hals unserer Pferde. Dann rief Tamir-Aga einige Worte, die wie das Gurgeln eines Betrunkenen klangen – ich sah, wie die Sehnen seines nackten Halses dabei tanzten – und unser armenischer Dolmetscher stieg vom Pferde, neigte sich demütig vor dem Kurden und hielt ihm einen ziemlich langen Sermon. Was der Mann geschwatzt haben mag, weiß ich nicht, er sah windelweich aus. Tamir-Aga gurgelte wieder, und zwar heftiger als vorher. Darauf wandte sich der Armenier zu uns und sagte in seinem gräulichen Französisch-Italienisch, der Kurde sei bereit, uns das Leben zu schenken, aber nichts weiter. Wir sollten seinem Sohne folgen, der werde uns an einen sehr angenehmen und sichern Ort führen. Dort solle über unser Lösegeld verhandelt werden. Er beschwor uns nochmals, keinen Widerstand zu wagen; wir seien ja unser nur sieben Männer. Und leider war es so! Denn als wir uns bei diesen Worten umblickten, sahen wir auch nicht mehr einen einzigen von unsern tapfern Persern. Sie hatten den Rest der Löhnung, die ihnen noch zustand, im Stich gelassen und den verhüllenden Staub benutzt, um nach dem nächsten Orte zurück zu fliehen. Jetzt wäre Widerstand allerdings Wahnsinn gewesen. Mr. Hywell knirschte mit den Zähnen vor Zorn und rief dann nach dem Palankin: ›Mary, es ist Zeit!‹ Darauf verhandelte er mit dem Dolmetscher. Er bot den Kurden einen Teil seines Geldes und seiner Waren gleichsam als einen Durchgangszoll, wollte aber auf jeden Fall weiterreisen und drohte mit den Repressalien des englischen Gesandten in Konstantinopel, berief sich darauf, dass die Engländer eine befreundete Macht der Türkei wären; der Armenier hörte geduldig zu, und unbeweglich lauschten die Kurden, um die sich jetzt fast ihre ganze Schar im Kreise versammelt hatte. Dann begann der Dolmetscher seine Unterhandlung mit Tamir-Aga, der dieser jedoch bald durch eine drohende Bewegung nach seinem Gürtel und mit einem Zornesblitz auf Mr. Hywell und mich ein Ende machte. Der Armenier wandte sich wieder zu uns: Tamir-Aga sei unerbittlich; wir müssten seinem Sohne folgen und Gott danken, dass man uns nicht die Köpfe abschneide. Das Weitere werde sich finden; er, der Armenier, sei ebenfalls verurteilt worden, Kaschir-Aga zu begleiten, um ferner zum Dolmetscher zu dienen. Was war darauf zu erwidern? Ich sah, wie es in Mr. Hywell kochte, aber auch er bezwang sich. Er rief den europäischen Dienern zu, das Räubervolk gewähren zu lassen, und sagte dann dem Dolmetscher, dass er nur auf freier Weiterreise bestehe. Der Armenier wagte kaum, diesen Einwand vorzubringen. Tamir-Aga streckte drohend die Faust gegen uns aus und ließ uns befehlen, sogleich von unsern Pferden zu steigen und die Waffen abzuliefern. Auch mir kochte jetzt das Blut. Aber dreihundert bewaffneten Männern gegenüber ließ sich nichts tun, als gehorchen. Wie zögerten zwar, aber es richteten sich so viele Flintenläufe auf uns, dass wir abstiegen. Ich weiß nur noch, dass ich in jenem Augenblick sehnlich wünschte, Russland oder irgendein Volk möge dieses Räubervolk zu Paaren treiben. Die Türken sind zu schwach dazu. Omer-Pascha hat es einmal versucht und sie auch hart in die Enge getrieben, sogar einen ihrer Häuptlinge gefangengenommen. Aber was nützt das? Jetzt sind sie wieder obenauf und werden vielleicht die Nestorianer, die einzigen Christen, die unter ihnen zu wohnen wagen, bald ganz vernichten. Die Türkei müsste hier ein Beobachtungscorps unterhalten können. Doch zu unsern Erlebnissen zurück. Ich finde wohl noch später Zeit, Ihnen etwas von den Kurden und wie es in dem Innern ihrer Bergländer bestellt ist, zu erzählen. – Also wir stiegen ab. Nun wollten sich die Kurden von allen Seiten wie Geier auf das Gepäck werfen, aber Tamir-Aga scheuchte die Rotte zurück und vertrieb sogar einen seiner Reiter, der den Sattel von meinem Pferde nehmen wollte, mit einem Pistolenschuss, der jedoch nicht traf. Sie können sich vorstellen, in welcher Besorgnis wir während dieses Getümmels wegen Miss Mary waren. Endlich aber gelang es Tamir-Aga, die Ruhe wiederherzustellen, und es begann eine regelrechte Verteilung der Beute; natürlich behielten die beiden Agas den Löwenanteil. Unsere europäischen Diener wurden bis aufs Hemd ausgeplündert, die Gepäckballen von den Pferden gerissen und aufgeschnitten. Es war eine reiche Beute. Mr. Hywell hatte in Ostindien große Einkaufe an Schals und andern Erzeugnissen des Landes gemacht, und die Kurden, die sich sehr wohl auf den Wert dieser Artikel verstanden, jauchzten laut auf. Am meisten gefielen ihnen jedoch die Waffen, Messer und Geräte, die sie fanden; das meiste davon eigneten sich Tamir-Aga und sein Sohn zu. Endlich näherte sich der letztere dem Pferde Miss·Marys. Mr. Hywell trat vor seine Tochter und sagte dem Dolmetscher, er möge dem Kurden erklären, dass die Franken keine Beleidigung ihrer Frauen duldeten, und dass er noch Waffen besitze, um sie zu verteidigen. Der Armenier sagte dem Kurden davon, was er für gut finden mochte, und dieser tat, was ihm gefiel. Er ließ durch den Dolmetscher antworten, dass die freien Kurden die Weiber achteten, und begnügte sich damit, den Vorhang zu öffnen, der den Palankin verschloss. Ich beobachtete sein Gesicht, während er es tat, und blickte auch zu Miss Mary empor. Ihr Gesicht war bleich und ruhig und hatte etwas Eigenes, das ich vorher nicht an demselben bemerkt und mir nicht zu erklären wusste; der Kurde betrachtete sie nicht lange, ließ den Vorhang fallen und wandte sich ab. Der Dolmetscher musste ihm noch im Auftrage Mr. Hywells sagen, dass Miss Mary krank sei; Kaschir-Aga antwortete abermals, die Weiber würden geachtet werden. Es verging eine gute Stunde; dann war die Teilung beendet. Ein Teil des Gepäcks wurde wieder auf die Saumtiere geladen, es war der Anteil des Häuptlings und seines Sohnes. Dann trennten sich ungefähr vierzig Kurden von der großen Schar; unser Armenier, der ihren Worten lauschte, teilte uns mit, dass der junge Kurde beauftragt sei, uns nach seiner Heimat zu führen, wo wir fürs erste bleiben sollten. Mr. Hywell begann die Unterhandlungen von neuem. Er verlangte, dass ich oder die Diener oder der Dolmetscher nach Bajazid gesandt würden, um wegen eines Lösegelds zu unterhandeln, denn auf dieses war es abgesehen. Aber man antwortete, dazu sei immer noch Zeit, wenn wir erst Kosh und Dschulamerk erreicht hätten. Wie der Ort oder die Gegend eigentlich hieß, habe ich nie genau erfahren; aber jene beiden Namen habe ich öfters gehört. Es blieb gar nichts weiter übrig, als sich willenlos dem unvermeidlichen Schicksal zu beugen und auszuharren. Der Armenier, dem