Während sie die Fleet Street weiter entlang zogen, konnte Caitlin nicht umhin, zu bemerken, dass die Menge sich änderte. Es wurde hier immer schäbiger, und manche Leute tranken öffentlich aus Flaschen und Krügen, taumelten herum, lachten zu laut, und gafften offen Frauen an.
„HIER GIBT’S GIN! HIER GIBT’S GIN!“, rief ein Junge aus, kaum älter als zehn, der eine Kiste trug, die mit kleinen grünen Gin-Fläschchen gefüllt war. „HOLT EUCH EURE FLASCHE! ZWEI HELLER! HOLT EUCH EURE FLASCHE!“
Caitlin wurde wieder herumgestoßen, als die Menge zunehmend dichter wurde. Sie blickte hinüber und sah eine Gruppe Frauen mit zu viel Schminke, in schwere Kleidung mit tonnenweise Stoff gehüllt, und mit tief heruntergezogenen Blusen, die den Großteil ihrer Brüste entblößten.
„Willst du etwas Spaß haben?“, schrie eine der Frauen aus, eindeutig betrunken, wackelig auf den Beinen. Sie trat an einen Passanten heran, der sie grob zur Seite stieß.
Caitlin war erstaunt darüber, wie derb dieser Stadtteil war. Sie spürte, wie Caleb instinktiv näher herankam, seine Hand um ihre Hüfte legte, und sie konnte seinen Beschützerinstinkt fühlen. Sie beschleunigten ihre Schritte und bewegten sich rasch durch die Menge, und Caitlin blickte nach unten, um sicherzustellen, dass Ruth immer noch an ihrer Seite war.
Die Straße endete bald an einer kleinen Fußgängerbrücke, und während sie sie überquerten, blickte Caitlin nach unten. Sie sah ein großes Schild, auf dem „Fleet Ditch“ stand, und der Anblick erstaunte sie. Unter ihnen war etwas, das wie ein kleiner Kanal aussah, vielleicht drei Meter breit, voll mit fließendem trübem Wasser. Mitten in diesem Wasser tauchten allerlei Müll und Abfall auf und ab. Als sie hochsah, sah sie Leute, die hinein pinkelten, und sah andere, die Töpfe voll Kot, Hühnerknochen, Hausmüll und alle Arten Dreck hineinwarfen. Es wirkte wie ein enormer, fließender Abwasserkanal, der den gesamten Abfall der Stadt flussabwärts trug.
Sie versuchte, zu sehen, wohin er führte, und sah, dass er weit in der Ferne in den Fluss mündete. Sie wandte sich vor dem Gestank ab. Es war wahrscheinlich das Schlimmste, was sie in ihrem Leben je gerochen hatte. Toxische Gase stiegen hoch und ließen den grässlichen Gestank der Straße im Vergleich dazu wie Rosenduft erscheinen.
Sie beeilten sich über die Brücke.
Als sie auf der anderen Seite der Fleet Street ankamen, stellte Caitlin erleichtert fest, dass die Straße endlich breiter wurde und ein bisschen weniger gedrängt. Auch der Gestank verflüchtigte sich. Und nach dem grässlichen Gestank von Fleet Ditch störte sie der normale Straßengeruch gar nicht mehr. Ihr wurde klar, dass die Leute glücklich unter diesen Bedingungen lebten: es ging einfach nur darum, was man gewohnt war, im Kontext der Zeit, in der man lebte.
Während sie weitergingen, wurde die Gegend netter. Sie passierten eine riesige Kirche zur Rechten, und in das Steingebäude waren in sauberen Buchstaben die Worte: „Saint Paul‘s“ gemeißelt. Es war eine riesige Kirche mit einer wunderschönen, reich verzierten Fassade, die sich hoch in den Himmel erhob und alle Gebäude rundum überragte. Caitlin bewunderte die wunderschöne Architektur, und dass ein solches Gebäude auch noch wunderbar ins 21. Jahrhundert passte. Es fühlte sich so fehl am Platz an, wie es über die kleinen hölzernen Bauten rundum ragte. Caitlin verstand langsam, wie sehr Kirchen die urbane Landschaft dieser Zeit dominierten, und wie wichtig sie dem Volk hier waren. Sie waren buchstäblich allgegenwärtig. Und ihre Glocken, so laut, läuteten immerzu.
Caitlin blieb davor stehen, betrachtete die uralte Architektur und musste sich fragen, ob darin vielleicht irgendeine Art Hinweis für sie zu finden war.
„Ob wir wohl hineingehen sollten?“, fragte Caleb, der ihre Gedanken las.
Sie studierte erneut die Inschrift ihres Rings.
Über die Brücke, hinter dem Bären.
„Da steht etwas von einer Brücke“, sagte sie nachdenklich.
„Wir haben gerade eine Brücke überquert“, antwortete Caleb.
Caitlin schüttelte den Kopf. Es fühlte sich nicht richtig an.
„Das war nur eine Fußgängerbrücke. Mein Instinkt sagt mir, das ist nicht der richtige Ort. Wo immer wir hin müssen, ich habe nicht das Gefühl, dass es hier ist.“
Caleb stand da und schloss die Augen. Schließlich öffnete er sie. „Ich spüre auch nichts. Gehen wir weiter.“
„Gehen wir näher zum Fluss“, sagte Caitlin. „Wenn es eine Brücke zu finden gibt, nehme ich an, dass sie am Fluss sein wird. Und ein wenig frische Luft würde mich nicht stören.“
Sie entdeckte eine Seitenstraße, die zum Flussufer führte, mit einem grob markierten Schild, auf dem „St. Andrews Hill“ stand. Sie nahm Calebs Hand und führte ihn dorthin.
Sie gingen die sich sanft windende Straße hinunter, und sie konnte den Fluss in der Ferne sehen, geschäftig mit Schiffsverkehr.
Dies muss die berühmte Themse von London sein, dachte sie. Es musste so sein. Zumindest so viel wusste sie noch von ihrem grundlegenden Geographie-Unterricht.
Die Straße endete vor einem Gebäude, anstatt sie ganz bis zum Fluss zu führen, also bogen sie nach links in eine Straße ein, die nahe am Fluss parallel dazu lief, nur fünfzehn Meter davon entfernt, mit dem passenden Namen „Thames Street“.
Die Thames Street war sogar noch vornehmer, eine andere Welt verglichen mit der Fleet Street. Die Häuser hier waren hübscher, und zu ihrer Rechten, am Flussufer entlang, standen weitere Herrenhäuser mit riesigen Grundstücken, die sanft zum Flussufer hin abfielen. Auch die Bauweise war hier aufwendiger und schöner. Eindeutig war dieser Stadtteil den Reichen vorbehalten.
Es fühlte sich an wie eine malerische Gegend, als sie zahlreiche gewundene Seitengässchen mit lustigen Namen wie „Windgoose Lane“ und „Old Swan Lane“ und „Garlick Hill“ und „Bread Street Hill“ passierten. Tatsächlich lag der Duft von Speisen überall in der Luft, und Caitlin spürte ihren Magen knurren. Auch Ruth winselte, und sie wusste, dass sie Hunger hatte. Doch sie sah nirgendwo einen Ort, der Essen verkaufte.
„Ich weiß, Ruth“, sagte Caitlin mitfühlend. „Ich werde uns bald etwas zu Essen finden, versprochen.“
Sie gingen weiter und weiter. Caitlin wusste nicht genau, wonach sie suchte, genauso wie Caleb. Sie hatte immer noch das Gefühl, dass das Rätsel sie überall hin führen konnte, und sie hatten keine konkrete Spur. Sie kamen tiefer und tiefer in das Herz der Stadt hinein, und sie war immer noch nicht sicher, in welche Richtung sie gehen sollte.
Gerade als Caitlin sich langsam müde, hungrig und mürrisch fühlte, kamen sie an eine riesige Straßenkreuzung. Sie hielt an und blickte hoch. Ein grobes hölzernes Schild verkündete „Grace Church Street“. Ein schwerer Fischgeruch hing hier in der Luft.
Sie blieb entnervt stehen und drehte sich zu Caleb herum.
„Wir wissen nicht einmal, wonach wir suchen“, sagte sie. „Da steht etwas von einer Brücke. Doch ich habe noch nirgendwo auch nur eine Brücke gesehen. Verschwenden wir hier nur unsere Zeit? Sollten wir irgendwie anders an die Sache herangehen?“
Caleb tippte ihr plötzlich auf die Schulter und deutete.
Langsam drehte sie sich herum und war von dem Anblick schockiert.
Die Grace Church Street führte zu einer gewaltigen Brücke, eine der größten Brücken, die sie je gesehen hatte. Ihr Herz füllte sich mit neuer Hoffnung. Auf einem riesigen Schild darüber stand „London Bridge“, und ihr Herz schlug schneller. Diese Straße war breiter, eine Hauptverkehrsader, und Menschen, Pferde und Verkehr jeglicher Art strömte auf die Brücke hinauf und wieder herunter.
Wenn sie wirklich nach einer Brücke suchen sollten, dann hatten sie sie eindeutig gefunden.
*
Caleb nahm ihre Hand und führte sie auf die Brücke zu, sich in den