Ich finde, liebe Bergliot, es wäre eine wahre Sünde, wenn ich Dir nicht ein paar Zeilen schriebe. —
Mir ist nicht recht klar, weshalb ich an Jonas Lie schreiben soll, nein, ich tue es nicht. Mir liegt nichts daran, daß Du mit ihnen verkehrst; Du wirst keine ungetrübte Freude daran haben. Aber wenn Du es durchaus willst, so würde ich schon eine Form finden können; z. B. jetzt bei meinem neuen Buch.
Ich sehe, Bräkstad ist in Paris gewesen, um sein Geld loszuwerden, das leichtsinnige Huhn. Aber er war wohl gemütlich? – Meine liebe, süße Bergliot, hörst Du auch genug Musik? Du schreibst nichts darüber; und es macht mir Sorge, daß Du vielleicht die Maschine nicht mit dem Verständnis und dem Geschmack ölst, die wir immer aus der Arbeit anderer gewinnen. – Du sagst, wir sollen Cavlings danken. Ja, was ist ein Brief für ein merkwürdig armselig Ding; weder er noch sie zweifeln an unsrer Dankbarkeit. Wir müssen bei Gelegenheit etwas anderes für sie aushecken. Aber ich weiß noch nicht was. – Jetzt beginnt der große Schneeschmelzprozeß, und der ganze lange, kahle Frühling hinterher ohne Grün. Haben wir einen Winter ohnegleichen gehabt, so müssen wir jetzt für ihn büßen. – Ich glaube annehmen zu können, daß Du jetzt gut französisch sprichst. Ist das der Fall? Dann könntest Du vielleicht auch lernen, es korrekt zu schreiben? Ich sehe, Du schreibst immer noch „brilliant“ statt brillant. – Mutter wird entsetzlich taub, Du; aber prachtvoll sieht sie aus! Und so gesund ist sie! Sie behauptet, sie schlafe nicht gut, wenn sie nicht von halb zehn bis acht Uhr durchschläft! – Ich lese das 10. Heft von Darwin; hast Du es bekommen? Wenn nicht, so sag’ es mir oder schreibe an Husebye & Comp., Storgaten, Kristiania. Ich finde, es gehört zum besten, was man in der Welt lesen kann. Gibt es etwas Französisches, was sich lohnt, so kauf’ es, lies es und schick’ es mir! Dann werd’ ich es Ejnar schicken. Nichts geht über einen gemütlichen Schwatz; aber gleich danach kommt ein gutes Buch.
Heute habe ich nichts zu schreiben, ich sitze da mit leerem Kopf, weil das, was ich drin habe, bei der Erzählung ist und fürs erste nicht heimkommt.
Liebe, süße Bergliot, die Treue, mit der Du an Frau Lürig hängst, berührt mich sehr angenehm, – natürlich vorausgesetzt, daß Du sicher bist, sie kann Dich weiter bringen.
Treue und alles, was einen Menschen darin festigen kann, ist das Mittel, unser Gemüt und unsern Charakter zu erweitern. Nichts bringt so großes Leid, aber auch nichts so große Freuden; deshalb führt auch nichts so viel der Seele eines Künstlers und dem Willen eines Menschen zu. Halt an der Treue fest, Bergliot, sie ist die Krone des Lebens! Alles andere, was die Menschen so nennen, ist es nicht, – mögen nun Priester oder Gott weiß wer sonst es behaupten. Allein die Treue ist es. Dabei aber erhebt sich die Frage: wem schuldet man das Meiste? Also auch die höchste Treue? Dem Vaterland. Unter diesem Namen hast Du Wahrheit, hast Du alles Gute. Paß’ auf, daß Deine Treue gegen die Menschen niemals in Widerstreit kommt mit Deiner höchsten Verpflichtung. Erst sie, dann alles andere! – Ich zweifle nicht, daß gerade Du hierin meinen Spuren folgen wirst, meine liebe, treue Bergliot, und obwohl die Gelegenheit, Dir das zu sagen, etwas fern liegt, so benutze ich sie doch. Du bist außerordentlich pflichttreu (das hast Du wesentlich von Deiner Mutter) und daraus folgt die Treue gegen andere.
Falls Lies keinen Krieg, direkt oder indirekt, gegen uns führen, so magst Du sie besuchen; aber am liebsten in Arves Begleitung; und dann müßt ihr zusammen spielen und singen, was ihr uns vorgespielt und vorgesungen habt; so könnt ihr ihnen ein Stück Sommer von uns bringen und sie gleichzeitig von uns grüßen.
Dein nervöser Brief an Mutter hat uns sehr erschreckt. Was, glaubst Du, wird die Folge sein, wenn Du diese Deine Nervosität nicht bekämpfst? Du mußt mehr an die Luft, Bergliot! Sag’ lieber Deine Unterrichtsstunden ab! Hast Du überhaupt Nutzen davon?
Wir haben einen herrlichen Spätherbst, voll Wärme und Sonnenschein, die Kühe sind noch draußen, und heute schreiben wir den letzten Oktober. Wir haben ein gutes Jahr gehabt. Aber wir haben den großen Kummer, daß X. nicht nur lotterig, sondern unredlich gewesen ist. Er hat mir das Geld durchgebracht zu Tausenden. So werde ich auf alle mögliche Weise geschunden. – Ißt Du jetzt gut? Ißt Du Dich ordentlich satt? Vergiß nicht, das zu beantworten. Lebwohl, mein liebes, süßes Mädel. Und vergaff’ Dich in keinen, sondern komm wieder als unser altes, munteres Prachtmädel!
Liebe Bergliot, das ist ein schöner Vorsatz, an dem Du festhalten mußt, uns jeden Montag zu schreiben. – Deine Briefe machen uns immer Freude. Von allem, was Du erzählst, hat nichts mich so gefreut, wie daß Du nicht lange aufbleibst abends. Wenn Du daran festhalten kannst, wenigstens als Regel, so daß das andere zur seltenen Ausnahme wird, so hast Du darin ein Kräftigungsmittel, besser als die meisten anderen. – Du erzählst nichts davon, wie Du lebst. Du ißt doch gut bei „Deiner alten Dame“ – und genug? Erzähl’ mir das besonders, und verdient sie es, dann grüße sie herzlich. Für Dein Geld, d. h. für das, was Du selbst verdienst, mußt Du Musik hören; für Deinen Unterhalt und Deine Kunst sollst Du genug bekommen. – Ich möchte gerne hören, ob Frau Lürig dafür einsteht, daß das, was so eine deutsche (oder französische) Sängerin Dir sagt, auch wirklich so gemeint ist; nicht bloß gesagt als Aufmunterung oder Schmeichelei. Ist Frau Lürig der Ansicht, die andere habe wirklich das gemeint, was sie sagt, dann wünschen auch wir es zu erfahren. – Was wirst Du in dem Kirchenkonzert singen? Ich habe es nicht recht verstanden. Und was ist es für eine Kirche? Das macht mir viel Freude. – Gestern, an Mutters Geburtstag, machten wir eine Spazierfahrt in unserm, mit blauem Samt ausgeschlagenen Breitschlitten, mit unserm Bärenfell und zwei Pferde vor, und Erling kutschierte. Aber Mutter hat solche Angst jetzt vor dem Fahren, daß ich sie kaum wiederkenne. – Ich lasse Dir Ibsens neues Buch schicken; es scheint großzügig zu sein und auch milder als die vorhergehenden. Ich habe eine patriotische Freude an dem Glück, das er macht als bahnbrechender Dramatiker. – Mir selbst geht es gut mit dem Schreiben augenblicklich; Du wirst seinerzeit Freude daran haben, wenn Du es liest. – Im übrigen herrscht hierzulande eine Reaktion und eine Engherzigkeit, die alles übersteigt, was ich bisher für möglich gehalten habe. Aber wir müssen wieder lichtere Zeiten zuwege bringen. Jeder, der durch Kunst Schönheit und Lebensfreude in unser Leben legt, arbeitet dafür.