Briefe aus Aulestad an seine Tochter Bergliot Ibsen. Bjørnstjerne Bjørnson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bjørnstjerne Bjørnson
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Freund Vater.

      Ich kann mir kein rechtes Bild von den Leuten machen, in deren Haus Du bist; ich muß Dich mir hinter langen Gardinen in einem leeren Zimmer denken, wo Kohlen im Kamin glimmen, und sehe nur Schatten an Dir vorübergleiten. Es wäre hübsch, wenn Du mich auch Menschen sehen und Stimmen hören ließest.

      Es geht uns ja nun gut insofern, als wir Geld für eine Menge kleinere und größere Bedürfnisse haben, die wir früher nicht befriedigen konnten, und dazu die Aussicht, in Zukunft sorgloser leben zu können; aber wir verdienen doch nicht so viel, wie es den Anschein hat. Und all die Menschen, die wir kennen lernen, und all die Freude, die wir erleben! Sind wir erst einmal damit durch, so wird es ergötzlich sein, das Erlebte und Gesehene zu sammeln.

      Innig geliebte Bergliot, ich sehne mich so danach, Dich wieder so gesund und fröhlich zu sehen, wie damals, als Du aus Dänemark kamst. Hoffentlich wird es auf Aulestad so gemütlich, wie wir es uns für den Sommer wünschen; ich freue mich von Herzen darauf; aber am meisten auf die Arbeit, selber mit Steine zu brechen und dadurch mehr Erdreich zu gewinnen. Irgendeinen Sammelpunkt muß die Familie auch nach unsern Tagen haben, und das wird wohl Aulestad sein; wir werden versuchen, es so gut in Stand zu setzen, daß es dem, der den Hof besitzt, auch etwas abwirft. Erling ist begeistert für die Landwirtschaft, so daß es den Anschein hat, als müsse er die Aufgabe lösen können.

      Wir sitzen nun hier bei Hedlunds, die uns lieben und die wir wieder lieben. Wir haben an vielen Ecken und Enden der Welt Familien, die uns geistig verschwistert sind, und ohne die wir uns unser Leben nicht mehr denken können; wir müssen sie ab und zu besuchen. Wir denken, es soll auch einmal für Euch ein gutes Erbe sein, die treue Anhänglichkeit all dieser warmen Menschen. Die Liebsten sind und bleiben uns Hedlunds.

      Ich habe eine ganz mächtige Sehnsucht, wieder an meinen Roman zu gehen! Aber alles läßt sich nicht zu gleicher Zeit tun. Wenn ich doch so gut verdiente, daß ich den Kauf von Solbakken verantworten könnte; dann hätten wir eine Behausung für Sommergäste und auch für Erling, wenn er eine Frau nach seinem Geschmack findet. Wir legten dann Telephon zwischen den Häusern an, und auch hinüber zu anderen, die mit uns in Verkehr stehen. Ich will zusammen mit mehreren in der Gemeinde und im Sanatorium eine Station für Telephon bis nach Lillehammer errichten lassen. Heutzutage meint man ohne Telephon nicht mehr auskommen zu können. – Alle Deine Freundinnen hier lassen Dich grüßen; sie erkundigen sich sehr nach Deinem Gesang; aber ich kann ja nicht viel antworten; ich weiß so wenig davon, und im Grunde wirst Du wohl selbst nicht mehr wissen. So viel scheint mir sicher, daß Du vier Jahre statt drei wirst studieren müssen, und ich hoffe, ich kann es durchführen. Meine Ansicht ist: werde vollkommen darin; was für einen Gebrauch Du später davon machst, ist weniger wichtig; die Hauptsache ist das Talent, und das Bewußtsein, das Meistmögliche daraus gemacht zu haben.

Dein Freund Vater.

      Liebe Bergliot, Mutter ist ein paar Tage unwohl gewesen; aber nun ist es wieder vorüber. Dank für Deinen letzten Brief. Hier machte in den Zeitungen ein Brief Cavlings an „Politiken“ über Dich die Runde, an dem kein wahres Wort war. Das ist doch ein Satanskerl! Pack’ ihn und hau’ ihn durch! Haben sich Bräkstad und Thommessen in Paris entzweit? Warum? Sag’ es mir! Ferner, erzähl’ uns umgehend, was Du mit Mad. Viardot-Garcia anfängst!

      Ich bin in diesen Tagen besonders guter Laune. Ich will so viel und ich glaube, ich vermag auch noch viel. Und dann glaube ich, wir stehen wieder dicht vor einem Aufschwung; ich glaube es. Seltsame, starke ethische Kräfte dringen von allen Seiten herein, strengere Forderungen, ehrlicherer Wille. – Was einen angewidert und dabei gepeinigt hat, die Verräterei im großen und kleinen, hat seinen Hexensabbat gehabt; jetzt sollst Du sehen, es wird bald Tag. Jedenfalls kann der Mensch nicht arbeiten, wenn er nicht diesen Glauben hat. Und ich habe ihn! —

Dein guter Freund Vater.

      Deine Briefe machen uns viel Spaß, liebe Bergliot, und Deine ganze Natur tritt in jedem einzelnen klar zutage. Du bist die wiedererstandene Jugend Deiner Mutter mit dem Mehr, das Dir die Gelegenheit zu zeitiger Entwicklung gegeben hat, die ihr fehlte, die sie aber später nachzuholen wußte; also für mich bist Du etwas von der Wonne, die ich in den Tagen meiner Verliebtheit empfand. – Karl Konow war hier mit seinen Geschwistern; wie der sich herausgemacht hat! Nie ist er so hübsch gewesen, so gesund, so unterhaltend. Er hat alle Herzen erobert, Mutters, meins, Erlings und Keilhaus, der gute Karl. – Wie entzückend doch so ein norwegischer Winter ist; für mein Gefühl übertrifft er den Sommer. Bald sollst Du von Hegel die norwegischen Bücher bekommen, die zu Weihnachten erscheinen. Ich wollte, ich wäre mit darunter; aber ich werde bei weitem nicht fertig. Ich schreibe diesmal was Feines. Bitte keinen Schritt, um mit Lies zusammenzukommen! Ergibt es sich von selbst, ja; sonst auf keinen Fall. Vergiß ja nicht, Tschernings zu grüßen! – Sverdrup ist ja jetzt bald erledigt, soviel ich höre. Die Rechte nimmt nun wohl selbst das Heft in die Hand?! – Erling ist tüchtig in der Wirtschaft. Aber Ejnars Brief verrät, daß er in Footchou in zu große Geselligkeit geraten ist, die gefährlich für Gesundheit und Charakter werden kann.

Dein Freund Vater.

      Liebe Bergliot, nein, ich bin nicht dafür, daß Du mit Brandes zusammentriffst. Ich meine, schütze nur Krankheit vor, wenn Du in dieser Zeit zu Schandorphs oder Cavlings eingeladen wirst; es ist ja auch die Zeit, in der Du am meisten zu tun hast, – falls Du durchaus den Juni über draußen bleiben willst.

      Schandorphs Urteil über Literatur und Kunst ist sehr saftig, wie sein Naturell – kognak-getränkt. Das Urteil der Menschen ist in der Regel wie ihr Leben, immer wie ihre Natur. – Was Strindbergs „Julie“ uns zeigt, ist das Experiment eines begabten, aber ungesunden Burschen, der dasitzt und konstruiert – und ganz und gar nicht dem Leben folgt. Folgen wir dem Leben (womit sie sich immer nur brüsten), so ist alles viel weniger überraschend; Aufsehen wollen sie machen; das ist für sie Nummer eins. – Du kannst ganz ruhig sein: so wird die Literatur nicht werden; aber sie ist voll Verschrobenheit und Ziererei so lang auf Abwegen gewandelt, daß sich mit Recht ein brutaler Protest erhoben hat. Weißt Du noch, daß Arnljot Gellines Lied, wie er seine Liebste als Beute in den Wald trägt, seinerzeit als unanständig ausgemustert wurde; Magnhild war ein Buch über – freie Liebe; auch Leonarda war das! Ja, sogar „Es flaggen Stadt und Hafen“ ist unanständig. Da mußte die Natur ihr Recht wieder geltend machen, und das hat sie durch diese Menschen getan, – aber so getan, daß nun wieder protestiert wird. Es gibt nicht viele unter uns, die ihren gesunden Gang gehen! – Ja, jetzt macht der Schnee Ernst, zu schmelzen. Auf den Höhen ist schon alles kahl, hier durch den Hof geht ein Fluß; aber das Moor liegt noch unterm Schnee. Auf dem Altan den ganzen Tag alle, die nicht arbeiten. – Griegs trafst Du also nicht. Ich hatte einen Brief von Werenskjold, den ich so auffaßte, als wolle er diesen Sommer nach Bergen und Griegs malen, und erst den nächsten nach Aulestad. Ich werde ihm antworten; aber frag’ ihn, ob ich ihn recht verstanden habe. Ich werde diesen Sommer ein Lustspiel mit Gesang schreiben, und ich denke so halbwegs, Grieg zu bitten, daß er hierher kommt und zusammen mit mir arbeitet. Aber das hat noch gute Weile. Das Lustspiel ist nur ein einziger langer, sehr langer Akt, psychologisch ungemein interessant und heißt „Der König kommt“! Es steckt mir schon mehrere Jahre im Kopf. Davon sollst Du nächsten Winter in Paris leben. Ich möchte aber nicht, daß Cavling etwas hierüber in irgendeine Zeitung bringt; vergiß das nicht! Ach, ist das hier ein Wetter! Von morgens bis abends, Tag für Tag, Woche für Woche wundervoll! Ach, wie ich mich in Norwegen wohl fühle! Meine süße, liebe Bergliot, alles, was Du von Deinem Gesang schreibst, freut mich unbändig. Du sollst auch auf Solbakken ein Klavier haben!

Dein Freund Vater.

      Liebe Bergliot, gestern hatten wir einen Brief von Ejnar; es scheint ihm in jeder Hinsicht ausgezeichnet zu gehen; er schickt eine Photographie von sich selbst mit fünf anderen zusammen, bis auf einen alles Zollmenschen; es scheinen brave, gutmütige Leute zu sein; aber aus den Gesichtern zu schließen, scheint Ejnar ihnen überlegen; er hat sich überhaupt sehr herausgemacht. Es hat auch den Anschein, als würden ihm schwierige Arbeiten zugewiesen, bei denen eine Verantwortung ist, und er ist stolz darauf. Von seinen Geldverhältnissen schreibt er, sie stünden gut. – Wir haben jetzt „Fräulein Julie“ gelesen. Ob wirklich in der Welt ein Mensch glaubt, daß das wahrscheinlich ist? Hat es jemals irgendwo zwei Menschen gegeben, die dieses Zwiegespräch