Vorwort
Der größte Teil dieser Briefe ist in den Jahren 1887 bis 1890 geschrieben. Der Zeitraum ist kurz, aber gerade aus diesem Grunde verstärkt sich der Gesamteindruck. Als ich sie von neuem durchlas, überraschte es mich, welch ein lebendiges Bild sie von all dem geben, was damals B. B.’s Gemüt und Gedanken beschäftigt hat. Und deshalb entschloß ich mich, sie wenigstens einem engeren Kreise zugänglich zu machen.
Die Sammlung schließt mit einer kleineren Zahl von Briefen ab, die aus späterer Zeit stammen. Sie wurden aufgenommen, weil sie in gewissen Beziehungen die Selbstschilderung der früheren Periode vervollständigen.
Obige Zeilen waren das Vorwort zu einer Ausgabe, die nur in fünfzig Exemplaren als Manuskript in Norwegen gedruckt wurde. Gleich nachdem diese Exemplare verteilt waren, ergingen sowohl von privater Seite wie durch die Presse eindringliche Aufforderungen an mich, die Briefsammlung öffentlich erscheinen zu lassen. Das tue ich hiermit, nachdem ich einige wenige, aber notwendige Streichungen vorgenommen habe.
Liebe, liebe Bergliot, als Mutter aus Deinem Briefe vorlas, Du hättest bei der Nachricht, daß mir mein Dichtersold entzogen sei, stundenlang weinen müssen, da konnt’ auch ich die Tränen nicht zurückhalten. Ich sah Dich vor mir, wie Du weich und bewegt bist; ich liebe Dein Gemüt an Dir, Bergliot, und bin stolz darauf, daß Du mich verstehst. Dank Dir für Dein Mitgefühl; Du kannst mir glauben, es hat mir wohlgetan. Ich mußte nach meiner Pflicht handeln; denn diese schlechten Menschen gingen darauf aus, mir ebenso zu schaden wie Kielland. Ich gebrauche nicht gern das Wort „schlecht“; aber hier darf ich es ohne Bedenken.
Dann waren Mutter und ich lebhaft berührt von Deiner schrecklichen Angst vor einer Untersuchung. Wir fühlen Dir nach, daß es ganz furchtbar ist. Aber wenn es sein muß, muß es eben sein. Ich freue mich mächtig auf den Tag, da Du wieder von Gesundheit und Mut strotzen wirst; so warst Du, ehe diese Sache anfing, und Du mußt wieder die alte werden. Damit ist die Schamhaftigkeit und Vorsicht durchaus vereinbar, von der das Seelenleben einer so unverdorbenen Natur, wie Deiner, beherrscht wird.
Du bist von allen unsern Kindern die vollste und einheitlichste Natur. Daher bist Du unter ihnen auch das Kind, um das ich mir die wenigste Sorge zu machen brauche. Versuche nun, von der Gesellschaft, in der Du lebst, zu lernen; sie sind so gemessen in ihren Empfindungen und Ideen; es läßt sich so friedlich und gut mit ihnen leben. Grüße alle aufs herzlichste. Hast Du auch nicht vergessen, Hegel zu bitten, die Büste von mir, die Runeberg auf die Ausstellung nach Kopenhagen geschickt hat, an meine Mutter nach Kristiania zu senden? – Runebergs sind jetzt auf ein paar Tage in Kopenhagen. Sie reisen nach Finnland.
Hier ist es unglaublich schön in diesen Tagen, durchaus nicht zu warm. Geht es Dir gut? Sobald Du untersucht bist, mußt Du schreiben!
Entsinnst Du Dich der Longworthy-Geschichte, die ich Euch aus England erzählte? Von dem Menschen, der ein junges Mädchen in Belgien heiratete und recht gut wußte, daß kirchliche Trauung nicht genügend war? Und sie später nicht mehr kennen wollte? Nun, er hat jetzt geantwortet (er lebt in Buenos-Aires, Südamerika), und diese Antwort ist vernichtender für ihn als irgend etwas, was die Frau selbst gesagt oder durch Zeugen vor Gericht bekundet hat. Solch ein ausgemachter Schurke! – Hast Du meinen Aufsatz über Rußland gelesen? Oder soll ich ihn Dir schicken? Du liest „Verdens Gang“ jetzt wohl nicht? Es ist ein Brief an Dich aus Kopenhagen gekommen; sollte mich wundern, wenn er nicht vom kleinen Höffding wäre? Du solltest es so einrichten, daß Du so lange wie möglich in Hamburg bleibst, der Sprache wegen. Und solltest eigentlich schon jetzt deutsch lernen. – Ist es nicht drollig, daß Thommessen „Verdens Gang“ gekauft hat, so daß er nun die Hälfte besitzt und zwei andere Freunde je ein Viertel, und nun soll es eine Tageszeitung werden. – Du weißt wohl, daß auch Garborg den Staatsrevisor-Posten verloren hat? Wir sind also nun drei norwegische Dichter, denen man das Geld wegnimmt, weil wir nicht dieselben Ansichten haben wie die Majorität. – Ja, leb’ wohl, liebe, süße Bergliot! Wir wissen, Du machst uns nur Ehre, wo Du auch bist, und Du wirst heimkehren mit ungeteiltem Herzen für Heimat und Eltern! Dein Dir innig zugetaner Freund Vater.
Liebe, liebe Bergliot, innigen Dank für den Brief; worüber ich mich am meisten gefreut habe, war natürlich, daß Du selbst gutes Mutes bist und an Dich selber glaubst. Da kannst Du sehen, wie recht ich hatte, als ich meinte, Du müßtest wieder sicherer werden und Dich sicherer fühlen im Gesang, dies sei der Weg für Dich, um ruhigen, guten Mut zu schöpfen. – Ja, ich freute mich so hierüber, daß ich nicht so viel Gewicht, als ich vielleicht gesollt hätte, auf den Umstand legte, daß Du Dich bei Deiner Dame nicht wohlfühlst. Liebes Kind, scher’ Dich den Teufel um die Person; setzt sie Dir zu oder kannst Du Dich nicht satt essen, so geh sofort weg. Du bist Dein eigner Herr. Wenn man sich wohl fühlen will, so ist es durchaus notwendig, daß man es zu Hause behaglich hat, und selbst wenn Dich Dein Aufenthalt weit mehr kosten sollte, als jetzt, – lieber das, als wenn Du Dich ärgern mußt oder kaum wagst, Dich satt zu essen!
Vergiß das nicht!
Ich möchte Dich so gern einmal hier auf der Hochschule haben; es ist die beste des Nordens, und Schröders sind unsre Freunde von alters her. Liebste, Du solltest die Mädchen turnen sehen! Das wäre was für Dich, – etwas, um ganz und gar gesund zu werden. Doch davon ein andermal.
Ich habe nun 9000 Kronen Schulden bezahlt und werde noch mehr abzahlen. Dann haben wir Ruhe. Zu Weihnachten in Kristiania (bei Björns, die sich rasend freuen), und dann zurück nach Schweden, und aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch nach Finnland. Eine schwere Tournee, eine große, große Anstrengung, über die ich allein durch Mutters immer wache Pflege hinwegkomme. Dies in aller Eile. Wieder weiter!
Grüße die lieben Heides und Cavlings und Kiellands und Runebergs, und danke letzteren für die Briefe!
Liebe Bergliot, Du müßtest Mutter mit Deiner Büste herumziehen sehen, aus und ein, wie sie die verschiedensten Standorte, jede Art Beleuchtung ausprobiert; dann die Treppe damit hinauf, vor den Spiegel, wo die Büste eine Weile stehen bleibt, dann zu mir herein, damit sie nicht entzwei gehen soll. Heute wieder von da weg – ich weiß noch nicht, wohin. Vermutlich endigt sie vor dem Spiegel im Korridor auf einem eigens dazu angefertigten Sockel. – Sie ist fein, die Ähnlichkeit in einem Teil des Geistigen sicher getroffen; aber das Ganze gewissermaßen verkleinert; besonders die Unterpartie. Immerhin, – nur ein echter Künstler konnte sie modellieren. Es ist ganz famos, daß wir sie haben. Danke ihm vielmals, und innigen Dank Dir, die sie uns geschenkt hat. – Was Du über Arve schreibst, freut uns; ich wußte, er würde ein großer Meister werden. Ich habe sofort den Vater gebeten, ein Darlehen für Arves Rechnung aufzunehmen; sie muß so groß sein, wie der Junge wünscht! In zwei Jahren muß er es selbst übernehmen können. – Und es freut mich in jedem neuen Brief zu lesen, daß Du Dich mit Deiner Kunst verheiratet hast, daß eine Fertigkeit nach der andern aus Deinem gewissenhaften Fleiß im Zusammenleben mit ihr geboren wird. Dieses innige Zusammenleben ist notwendig. Besonders für Dich; denn es liegt kein, absolut kein Erbe von Virtuosität in Dir. Unsere Familie hat diese erarbeitete Gabe nicht; so daß, falls Du sie erlangst, es allein geschehen kann durch eine Energie und einen Fleiß, der seinesgleichen in der Familie nicht gehabt hat. Ohne das geht es nie und nimmer. Und wenn Du auch Deine vier (oder viereinhalb) Jahre lang singst, Du wirst sehen, Du mußt trotzdem noch immer weitermachen. Du mußt das schwer erringen, Zoll für Zoll, was andere leicht nehmen wie im Spiel. Denn Du hast kein Erbe, das Dir als Sprungbrett dient. Daß Du bereits so viel erreicht hast, muß Dich aufmuntern, immer weiter zu gehen! Und mit derselben treuen Behutsamkeit; – die darfst Du niemals außer acht lassen.
Ja, ich bin so glücklich über Deine Fortschritte und Dein Glücksgefühl, daß Du Dich ihrer selbst bewußt bist, – ja, das ist gegenwärtig mein liebster Gedanke. – Hast Du Darwin, 7. und 8. Heft gelesen? Das ist das Herrlichste in seiner Art. Stell’ Dir vor, – Einblick zu gewinnen in die Werkstatt eines so bahnbrechenden, so großen Werks, wie es der „Ursprung der Arten“ ist, eines Werks, das umwälzend gewirkt hat auf das Gedankenleben der Menschen! Ich lese auch sonst viele herrliche