»Egenbuck!« rief Jan laut und ging an seinen Törn.
Dann erhob Klaus Mewes wieder Arm und Stimme, und alle zogen an.
»Huroh! Togliek! Hödjihöh!«
So rief es auf dem Ewer, so rief es auf den Schallen, so rief es vom Deich, und das Fahrzeug gnosterte wieder durch das Eis und brach den Weg weiter. Zwei Ewerlängen wurden gemeistert, dafür mußten aber auch drei Mann ausscheiden, die eingebrochen waren: Jakob Walroß, der eigentlich Jakob Witt hieß und seinen Spitznamen von seinem herunterhängenden, borstigen Schnurrbart hatte, und Hein Mewes, den sie Hein Lompdom nannten, weil er einmal geantwortet hatte, als ein Altenwerder ihn fragte, wie es auf Finkenwärder ginge: Och dat weest woll, Siem Achner, jümmer lompdom, lompdom! Der dritte aber war Störtebeker. Er hatte sich den kleinen Haken hergekriegt und die Eisschollen mit weggeschoben. Dabei war er über Bord gefallen und wäre beinahe unter das Eis gekommen, wenn Kap Horn ihn nicht noch mit dem Haken erwischt hätte. Er zog ihn wie einen Seehund an Deck, und nun war die Herrlichkeit aus. Klaus Mewes ging mit seinem Jungen nach unten, zog ihn aus, hängte das nasse Zeug an den Ofen und steckte den nackten Mann in seine Koje. Dann mußte er wieder hinauf, denn das Eisen war schon wieder in vollem Gange. Er schickte aber Hein Mück, der Feuer machen mußte, damit er trockne. Oben rief es wieder von allen Seiten, am Bug scheuerte und stieß das Eis, dann donnerte und krachte es, als bräche der Ewer in Stücke. Hein Mück sagte: »Och wat, dat Für will woll van sülben inne Gangen kommen!« und rannte die Treppe hinauf, zu sehen und zu helfen.
Klaus Störtebeker blieb allein in der Kajüte und horchte auf den Lärm. Nun treckten sie wieder, nun mußte der Ewer erst wieder über Steuer. »Bang dött ik ne warrn, anners komm ik ne mit no See«, sagte er vor sich hin, wenn das furchtbare Poltern wieder anfing. Mitunter stand er auf und befühlte das Zeug, ob es noch nicht trocken wäre, dann kroch er frierend wieder unter die Decke und horchte abermals.
Oder er guckte die goldenen Sprüche an, die unter den Kojen eingeschnitzt waren.
Was für Sprüche waren das?
Wer im Altonaer Museum gewesen ist und die Ausstellung des Deutschen Seefischerei-Vereins gesehen hat, der hat auch in die puppenküchenenge Kombüse des Blankeneser Fischerewers aus den sechziger Jahren hineingeguckt und die Sprüche gelesen, die darin stehen. Unter der Schifferkoje: In Storm un Noth / Bewahr uns Gott. Unter der Knechtskoje: Hier eben öber hin / Is beter as op den Bünn. Unter der Jungenkoje: Hüt Klüt un morgen Fisch / Vergnögt gaht wi to Disch. Und er hat sich wohl gefragt, ob auch die anderen Fischerfahrzeuge sich solcher Zier erfreuten.
Sie taten es. Wie jedes alte Bauernhaus seinen Segen trug, so hatten auch die Ewer ihre Sprüche, köstliche Bibelverse zumeist.
Bei Klaus Mewes stand unter der Koje des Knechtes sogar ein lateinisches Wort: Mediis tranquillus in undis.
Und das war so gekommen: Als Klaus das Fahrzeug bauen ließ, bei Jochen Behrens an der Süderelbe, der ein gutes Stück der Flotte gezimmert hatte, dachte er selbst viel über einen Bordsegen nach, blätterte die Bibel und das Gesangbuch durch und zerbrach sich den Kopf, aber er konnte nichts finden, das ihm gut genug war. Da ging er denn eines Tages, als er wieder nach der Werft wollte, beim Pastor vorbei und fragte den. Bodemann, der schon manchem Fischermann geraten hatte, mußte etwas wissen.
Nun hatte dieser aber gerade einen Auszug aus dem Borkumer Kirchenbuch über eine angeschwemmte Finkenwärder Leiche bekommen und über den lateinischen Spruch auf dem roten Siegel nachgedacht; er nötigte den Besuch deshalb in einen Stuhl, der so weich war, daß Klaus Mewes an Abrahams Schoß erinnert wurde, und schrieb ihm die vier Wörter auf. »Süso, mien lebe Klaus Mewes«, sagte er und fragte nach Schiff und Stapellauf.
Der Fischermann bedankte sich, dann aber drehte er den Zettel überkopf, als wenn die Worte in Spiegelschrift abgefaßt wären, guckte ihn nochmals scharf an und sagte: »Dat is woll Latiensch, Herr Pastur, wat?«
»Jawoll, Herr Mees, Latiensch!«
»So, so! Non, Herr Pastur, weten Se: Son betjen Latiensch kann ik jo. An Jan Eitzen sien Kutter steht Ora et labora, un dat heet: Beet und arbeite. Un an Neßbur sien Hus steiht Soli deo gloria, un dat heet: Gott allein die Ehre. Ober mit düt Medis sitt ik all geliek fast!«
»Mediis tranquillus in undis: ruhig inmitten der Meereswogen heet dat«, sagte der Pastor ernst. »Mit den Spruch lett sik woll no See fohren.«
Da hatte Klaus Mewes sich bedankt und war seines Weges gegangen. Der Spruch gleißte zwei Jahre unter seiner Koje, dann ging einmal ein Schullehrer in der Stachelbeerzeit mit ihm nach See, ein deutschgesinnter, begeisterter Junggast, der schlug großen Lärm darum. »Schiffer Mewes, was soll das Latein dort? Ist Ihr Schiff kein deutsches und muß es keinen deutschen Spruch haben, den Sie verstehen und bei dem Sie sich etwas denken können? Was sollen überhaupt alle die lateinischen, griechischen, hebräischen, englischen und französischen Namen, die eure Schiffe haben? Wer heckt sie aus, wer hat sie bedacht, wer tauft hier deutsche Fahrzeuge Sagitta, Poseidon, Ebenezer, Avance, Courier, Salamander, Pescatore, Vlieboot und Cito? Die Alten machten es besser, die nannten die Schiffe wie ihre Frauen. Danach müßte Ihr Ewer Gesa heißen und nicht Laertes. Und statt des Lateins müßte hier ein guter deutscher Spruch stehen!«
»Schallst recht hebben, mien Jung«, sagte Klaus Mewes. »Ik frei mi jümmer, wenn een kleuker is as ik bün. An den Laertes lett sik jo nu nix mihr innern, ober wenn du en scheunen Spruch förde Koi weest, denn weut wi mol sehn.«
Da kam das starke, ewige Lutherwort unter die Koje: Ein feste Burg ist unser Gott!, den lateinischen Spruch aber erhielt die Knechtkoje als Schmuck. So ging es wieder zwei Jahre gut, bis der lange Harm Riegen, der Ewersprüche sammelte, einmal in die Kajüte trat und ausrief: »Twee Wiltsproken stoht dor all, Klaus, ober de drütte, de von Kap Horn bit ant Nurdkap snackt ward und de üller is as de annern beiden tohop, fehlt dor noch bi: Plattdütsch!«
»So«, lachte Klaus Mewes, »du kummst van wegen de Sprüch: Ik meen all, du wullst mol meten, keen greuter ist van uns twee beiden! Harm, Plattdütsch kannen doch bloß snacken, to schrieben geiht dat doch ne!«
»Klaus, dat gift hunert grote, dicke Beuker, de plattdütsch sünd!«
»Kann ne angohn, Harm! Dor hebb ik noch nix van hürt!«
»Wat?« schrie Harm Riegen, sprang auf, rannte wie ein durchgehendes Pferd den Deich entlang und kam nach einer Viertelstunde mit einer großen, plattdeutschen Bibel von 1486 zurück.
»Hier, Klaus Mees!«
»Wat? Dat is en Book? Ik meen, dat wür en räukerten Schinken!«
Nachdem er sich aber zu seiner Verwunderung überzeugt hatte, daß sie wirklich plattdeutsch gedruckt war, und nachdem Harm ihm ein Kapitel daraus vorgelesen hatte, erklärte er sich damit einverstanden, auch einen plattdeutschen Spruch zu übernehmen, und gab zehn Bund getrockneter Scharben für die Worte, die nun unter seiner Koje prangten und leuchteten:
Hilpt mi, Sünn und Wind,
hilpt mi bit Fischen!
Ik heet Klaus Mees
un bün van Finkwarder.
»Egentlich harr ik di twintig Bund todacht, Harm«, sagte er dabei. »Ober dat riemt sik jo ne, dorüm kriegst du bloß tein!«
Den hochdeutschen Spruch bekam die Jungenkoje.
Wieder stand der kleine Störtebeker auf und befühlte seine Sachen, er hängte sie um und stocherte im Feuer. Du liebe Zeit, wie lange dauerte das! Er kriegte ja von dem Eisbrechen gar nichts mehr zu sehen, denn bei dem vielen Hurra mußten sie wohl bald ins Fahrwasser kommen.
Einem plötzlichen Einfall folgend, schob er die Hinterwand der Koje zurück und schaute über die Ketten hinweg nach den fünf Totenschädeln, die ganz vorn im Steven steckten. Kap Horn hatte sie ihm vorher einmal gezeigt und gesagt, die hätten sie in der Kurre gefangen. Man dürfe solche Totenköpfe nicht wieder über Bord werfen, sondern müsse sie in den Steven stecken, dann könne der Ewer niemals umkippen. Nachdenklich starrte der Junge sie an, als wenn er nicht recht klug daraus werden könnte, denn sein Vater hatte auf seine Fragen geantwortet: Das ist