Da brach es bei dem Jungen los wie bei einer Stintflage, und er ballerte wie ein Großer: »Ik gläuf, de Knappen is verrückt oder splienig! Dat is oberhaupt keen Schoster, gläuf ik, de kan gorne schostern un gorkeen Stebeln moken! Dat is en Leisegänger, Vadder…«
Schiffer und Knecht konnten sich nicht mehr vor Lachen helfen, aber der Junge fuhr in seinen Schmähungen fort. »Jedesmol, wenn ik komm, seggt he: morgen; ober he kummt ne wieder as he is, de Tüffel.«
»Wat scheut de Stebeln denn all, Störtebeker?« fragte Klaus ernsthaft.
»Ik will doch mit no See, Vadder, un du hest doch seggt, wenn de Stebeln klor würn, denn schull ik mit«, antwortete der Junge zuversichtlich.
»Büst du denn ok nich mehr bang?« fragte nun Kap Horn lauernd. »No See dörft blot welk, de nich bang sünd.«
»Ne, Kap Horn, bang bün ik ne«, erwiderte der Junge treuherzig.
»Vörn dode Mus woll nich, Störtebeker, un vörn brodten Gnurrhohn ok woll nich, ober wenn di en lütjen Rottenbieter inne Meut kummt, denn neihst ut, wat kannst, un schreest: Mudder, Mudder, Mudder!«
»Lögen, Lögen, Lögen!« stritt Störtebeker und pikte ihn mit der hölzernen Knüttnadel. »Ik bün vör keen Hund bang un vör gornix!«
»Wenn du ober op See keen Land mehr sehn kannst, denn geiht dat Bölken doch los?«
»Ne, schreen do ik gewiß ne.«
»Denn warst du ober seekrank!«
»Ne, Kap Horn, ik warr ne seekrank!«
Das klang gerade so, als wenn sein Vater sagte: Ik blief ne! Und Klaus Mewes sah seinen Jungen an und dachte: Was soll in dem wohl anders stecken als ein Fahrensmann? Dann sagte er, und es klang wie ein Gelübde: »Man still, Störtebeker, du kummst to Sommer mit an Burd!«
Der Junge freilich hatte für die Feierlichkeit keinen Sinn und ließ ein enttäuschtes: »Och, to Sommer irst!« fallen, das den Knecht zu der Bemerkung veranlaßte, es wäre jetzt noch zu kalt auf See.
»Un dien Stebeln sünd ok jo noch ne klor«, gab Klaus zu bedenken, und Kap Horn kam noch einmal mit der bitterbösen Seekrankheit an den Wind.
Sie knütteten fleißig weiter; als es aber Flut geworden war und das Eis aufstand, die Ewer sich erhoben und das Wasser auf das Bollwerk stieg, hielt Störtebeker es nicht mehr aus, er ließ die Bunge liegen und nahm französischen Abschied.
»Neem schallt no to?« fragte sein Vater, aber er erwiderte beiläufig, er wolle füttern – und weg war er.
»Dat keum jo bannig zaghaft rut«, sagte der Knecht und sah ihm nach. »Wenn de man nix anners in de Lur hett.«
Klaus dachte dasselbe, denn sonst pflegte Störtebeker die Fütterung seiner Krähe und seiner Kaninchen mit dem von seiner Mutter gelernten Spruch einzuleiten: Der Gerechte erbarmt sich seines Viehes.
Als einige Zeit vergangen war, legte Klaus Mewes den Scheger beiseite und ging binnendeichs. Wie er sich schon gedacht hatte, war von Störtebeker nichts zu erblicken. Die Kaninchen machten Männchen, als er den Deckel des Kobens lüftete, und ließen ihre Nasen in der Luft tanzen. Kluß aber, die alte Nebelkrähe, die er selbst einmal auf See gegriffen hatte, saß unbeweglich auf ihrer Stange und wagte nicht mehr als ein halbes Auge an seine Gegenwart. Er rief halblaut, damit Gesa ihn nicht hören sollte, aber er bekam keine Antwort. Dann guckte er nach den Stichlingsnetzen, die neben dem Hühnerwiem hingen; sie waren alle drei am Nagel: Fischen war der Junge also nicht. Er machte den Warbel vor und blickte über Wischen, Stegel und Binnendeich, aber da rührte sich nichts als Hannis Holsts gelber Kater, der um einen Mäusebraten verlegen war und die Stubben untersuchte. Tiefes Schweigen lag über den dunklen Gräben, und in den kahlen Wipfeln der Eschen und Erlen saß das nächtliche Grauen, das die See nicht hat, sondern nur das Land, und das den Seefischer darum einigermaßen bedrückte, als er sich nun aufmachte, seinen Jungen zu suchen. Er dachte aber nicht nach Weiberart an das Wasser und daß er hineingefallen sein könnte; übrigens wußte er ja, daß Störtebeker schwimmen konnte und nicht in einen Graben fiel, ohne wieder herauszuklettern. Aber er wollte wissen, wo er abgeblieben war.
So ging er über die Wurt zum Deich zurück und guckte mit seinen scharfen Augen über das Eis, er lief über die Blöschen nach dem Ewer, die Waken und Löcher umgehend; nichts war zu sehen als im Fahrwasser die Lichter, die gelben, grünen und roten, nichts zu hören als das raschelnde alte Reet und das Krachen der zusammenbrechenden Sickberge in der Weite.
Sollte der Junge wieder in der Kombüse sitzen, wie er es schon mehrmals gemacht hatte, um sich an die Ewerluft zu gewöhnen? Klaus Mewes turnte auf das Deck und stieg in die stille, dunkle Kajüte hinab, die ihm nun beinahe fremd vorkommen wollte, so tot erschien sie ihm ohne das sonst ständig brennende Licht.
Wo mochte der Junge sein?
Wieder an Deck, horchte er von neuem, aber er vernahm nur das Tuten eines Dampfers, der dwars von der Nienstedter Kirche fuhr. Seine Flagge auf dem Besan regte sich leicht im Abendwind, als er hinaufsah. Da schoß ihm jäh der Gedanke durch den Kopf: Wenn ik di bloß ne halfstock holen mütt! Aber er jagte ihn von dannen, kletterte über das Schwert und schritt über das Eis zum Bollwerk zurück. Im Osten glomm der Lichtschein von Hamburg auf, der dem Landfremden eine weit entfernte, ungeheure Feuersbrunst vortäuschte. Da dachte Klaus Mewes an die alte Fischfrau Beeken Focken, die 1842 schon verheiratet gewesen war, so alt war sie. Die hatte einmal bei ihm auf dem Deich gestanden und mit ihren braunen, knochigen Fingern nach dem östlichen Abendrot gewiesen und gesagt: Viel anders hätte das 1842 vom Deich aus auch nicht ausgesehen. Nun wäre Hamburg schon so groß, daß es jede Nacht einen so großen Brand hätte.
»Jä, Beeken, dat magst du woll seggen. Bi de veelen Wirtschaften«, hatte er lachend geantwortet.
Mit einem Mal drehte er sich um und sah Seemann auf dem Bollwerk stehen. »Neem ist Störtebeker, Seemann? Such! Such!« rief er hastig.
Seemann wedelte mit dem Schwanz zum Zeichen, daß er verstanden hatte, und setzte sich gemächlich in Bewegung. Er schwankte von dem langen Leben an Bord wie ein wirklicher Seemann von einer Seite nach der anderen, wenn er lief.
Klaus wußte schon Bescheid, es ging zur Neßkuhle, in der der Kahn lag. Der Junge schipperte gewiß oder goß das Wasser aus seinem Fahrzeug, das etwas ziepte. Da lag aber der Kahn unter den krummen Wicheln und war nicht abgeleint wie sonst, der Riemen lag dwars, und kein Junge war dabei. Jäh befiel ein ungeheurer Schreck den Fahrensmann, der auf der Doggerbank den bösesten Stürmen furchtlos in die Augen blicken konnte, und er lief in Sprüngen den Deich hinab.
»Klaus!«
Der Störtebeker blieb ihm dies eine Mal doch in der Kehle stecken.
»Hier bün ik, Vadder, wat schall ik?« rief Störtebeker, und eine dunkle Gestalt löste sich aus dem Schatten der Baumstämme, die den Schleusengraben wie Gespenster umstanden. Taumelnd kam sie näher und wäre umgefallen, wenn der Seefischer sie nicht aufgefangen hätte.
»Wat ist dor los, Störtebeker? Wat fehlt di? Büst du krank?«
Der Junge sah blaß aus, aber er lächelte doch schon wieder verloren. »Jo, Vadder, ik bün seekrank un mütt mi jümmer speen.«
»Wat kummt dat denn?«
Der Junge wies auf seinen grünen Kahn. »Ik will mi seefast moken, Vadder, wat ik mi noher up See ne mihr to speen bruk. Un Jakob Husteen hett to mi seggt, denn müß ik jümmer miten Kohn dümpeln. Örk, örk – wat bün ik nu slecht toweg, Vadder, wat hebb ik förn bittern Gesmack innen Mund!«
Klaus wollte lachen, konnte es aber nicht, weil ihn die Tapferkeit des kleinen Kerls tief rührte, der so lange mit dem Kahn gedümpelt hatte, bis ihm schwindelig wurde, nur um sich seefest zu machen.
»Jä, Störtebeker, so geiht dat buten den ganzen Dag! Nu wullt doch gewiß