»Wat schull he woll?« rief der Junge erregt und lief schneller, aber er kam doch zu spät, denn das Haus war leer. Da war kein Vater mehr und kein Kap Horn, kein Hein Mück und kein Seemann. Sie waren schon alle an Bord, und als er verstört hinausrannte und Utkiek hielt, da sah er den Ewer schon bei Nienstedten unter Segeln treiben.
Er hätte brüllen mögen, so überkam es ihn. »Is Vadder all weg? Worüm hett he mi denn ne Adjüst seggt, Mudder? He wull mi doch Adjüst seggen!«
»Neem kummst du her, Junge? Neem büst du wesen?« fragte sie dagegen. »Wi hebbt di soveel ropen un allerwärts söcht! Vadder wull di so giern Adjüst seggen und hett noch en ganze Tied na di teuft!«
»Och wat!« gnitzte Störtebeker, der traurig und zornig war, »harr he denn ne noch en betjen stoppen kunnt? Ik bün jo man bloß eben langsen Diek ween! Vadder mütt mi doch Adjüst seggen, un ik mütt em ok doch Adjüst seggen! Dat geiht jo gorne anners, Mudder! Minschenkinners ne, wat ist dat ok doch all für Krom!«
Und er stand auf dem Deich und blickte mit dunkeln Augen und finsterem Gesicht nach dem Ewer, der mit glockenhellem Klippklang des Spills den Anker hievte und dann das Boot an Deck zog. Es wollte ihm nicht in den Kopf hinein, daß sein Vater fahren konnte, ohne ihm Adjüst gesagt zu haben, und er dachte: Wärst du doch bloß nicht nach dem Schuster gelaufen, dann hättest du deinen Vater noch gesehen!
Wirklich hatten sie mit allemann nach dem Jungen gerufen, als es Hochwasser werden wollte und die Zeit gekommen war, daß sie an Bord mußten. »Störtebeker! Störtebeker! Klaus! Klaus Mees!« schallte es über den Neß. Auch Kap Horn und Hein Mück riefen mit, und sogar der kluge Seemann gab ein kurzes Bellen drein, aber der Junge war nicht zu finden, auf keinem Bug lag er an und kam nicht und kam nicht. Da mußten sie endlich los, ohne ihn gesehen zu haben, wenn sie nicht die Tide verpassen wollten. Klaus und Gesa schieden aber mit Widerhaken im Herzen, die ihnen noch weh taten, denn er hatte sie im Verdacht, daß sie den Jungen weit weggeschickt habe, damit er nicht im letzten Augenblick noch mitgenommen werden könne. Sie dagegen konnte den Gedanken nicht loswerden, daß er den Jungen an Bord versteckt halte, um ihn doch mit nach See zu nehmen und dann nachher zu sagen, es habe nicht anders gemacht werden können. Das verbitterte ihnen den Abschied.
Als Gesa nun den Jungen wiederhatte und sah, daß sie ihrem Mann Unrecht getan hatte, kam die Reue über sie, und sie winkte vom Bodenfenster mit der großen Dweel, der leinenen Tischdecke, bis er es sah und seine deutsche Flagge dreimal grüßend dippte, denn sein Unmut war längst verweht, seitdem er wieder als Fahrensmann an Bord stand und seine Segel über sich hatte. Es war eine Lust zu fahren! In der weiten Runde, welch ein reges Leben, welch ein freudiges Arbeiten! Da war nicht ein Ewer, nicht ein Kutter, nicht eine Jolle, auf denen es still war: Überall eisten sie, trugen Segel und Proviant herbei, hievten die Anker, setzten die Segel, ließen die Gaffeln knarren und schipperten einer nach dem andern aus der großen Rinne, die schon ihren Namen bekommen hatte und Klaus Mees sien Lock hieß. Draußen ließen sie sich mit dem Ebbstrom treiben, denn es war windstill. Der erste aber war Klaus Mewes mit seinem Laertes, dem die deutsche Flagge von der Besan hing.
So güngen se up de Schullen dol.
Störtebeker stand noch auf dem Deich, als wenn er dort angewachsen wäre, sah nach dem Ewer, der unter der gründachigen Nienstedter Kirche kreuzte, und grübelte, ob es wohl darum so gekommen sei, weil er bange gewesen war. Da hatte er ja gleich die Strafe für seine Bangbüxigkeit: Er war nicht mitgekommen nach See, und sie hatten ihm nicht einmal Adjüst gesagt. Wäre er langsam nach Hause gegangen, so hätte er seine Strümpfe nicht auszuwaschen brauchen und seinen Vater noch gesehen.
Nu will ik ober gewiß ne mihr bang warrn! Ganz gewiß will ik nu ne mihr bang warrn! sagte er sich.
Die Mutter stand in der Tür. Der kleine Boitel dauerte sie. »Jä, Klaus, dor lett sik nu nix mihr an don. Herkieken kannst du em ne wedder! Nu sünd wi wedder den ganzen Sommer alleen!«
»To Sommer bün ik doch all mit an Burd«, sagte er mit halbem Vorwurf, ohne sich umzudrehen.
»Kumm man rin, weut Kaffee drinken.«
»Och, ik mag nix, Mudder!«
»Ik will di bi magnix! Gliek anto!«
Da mußte er sich geben, und als er erst in der Küche am Tisch saß, schmeckte es auch. Wann hätte es Klaus Störtebeker übrigens nicht geschmeckt? Nach dem Kaffee wusch sie ihm das Gesicht. Er hielt ausnahmsweise still, obgleich er sich schon selbst waschen konnte und genau wußte, daß sie es nur tat, um ihm dabei die Backen streicheln zu können. Als sie dann aber nach seiner Bunge fragte und nach der Krähe (denn sie hatte sich fest vorgenommen, sein Vertrauen zurückzugewinnen, wollte auch nicht mehr so streng gegen ihn sein, sondern versuchen, seine Kameradin zu werden), da ging er bald hinaus, denn diese Fragen schienen ihm recht verfänglich. So guckt der Spatz mißtrauisch vom Dach, wenn ihm Krumen gestreut werden.
Da, beim Schloß von Godeffroy – der guten Frau, wie es am Deich hieß – segelte der Ewer; viel weiter war er noch nicht gekommen, denn es war immer noch totenstill.
Störtebeker besann sich, daß er noch nicht gefüttert hatte. Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs, auch wenn er Kummer hat. Er ging über die Wurt zum Hof und warf den Kaninchen Kartoffelschalen hinein, aber trotz seines wehen Herzens konnte er sich nicht enthalten, der Eve den Bauch zu befühlen, denn er wartete sehr darauf, daß sie jungen sollte, hatte er doch schon fünf Junge fest zugesagt: Hein Meier kriegte einen Bock und eine Eve, Peter Fock einen Bock, Hannis Külper und Jan Loop jeder eine Eve.
Dann bekam die Nebelkrähe ihren aufgeweichten Stuten. Der struppige Kluß schlug mit den Flügeln und quarkte vergnügt über das Fressen. Störtebeker faßte es aber anders auf und sagte betrübt: »Jä, Kluß, Vadder is nu no See hin und hett mi ne Adjüst seggt!«
Da sah er am Schauer seine Kreek stehen und dachte: Wenn du damit über das Eis pektest, ganz nach Blankenese hinunter, könntest du deinen Vater noch sehen und ihm Adjüst sagen. »Ik mütt un mütt em Adjüst seggen!« Er suchte die Pek hervor, nahm die Kreek auf den Nacken und schlich wie ein Indianer den Binnendeich entlang, damit die Mutter ihn nicht gewahr werden sollte. Als er weit genug war, kletterte er über den Deich, sprang vom Bollwerk auf das Eis und pekte sich über Rillen und Sickberge, an Waken und offenen Stellen vorbei nach dem Fahrwasser.
Vadder, ik komm!
Der Schuster war ein Schlauer. Er wartete ruhig ab, daß der Polizist auf seinem gewohnten Rundgang den Deich entlang kam. und schloß sich dann dem ahnungslosen Beamten unter harmlosen Gesprächen an. So dachte er, Klaus Störtebeker einen großen Schrecken einzujagen.
Aber er hatte seine Arbeit umsonst liegen lassen – der Vogel war nicht da. Die ängstliche Gesa suchte den Jungen im Keller und auf dem Boden, als sie ihn aber nicht fand, nahm sie an, daß er geflohen sei, ließ sich kopfschüttelnd die schlimme Tat berichten und bezahlte die Scheibe und die Kugel. Auch versprach sie dem Schuster, daß Klaus kommen und Abbitte tun solle, gab ihm noch ein Paar alte Stiefel zum Besohlen mit und brachte den Zwischenfall damit glücklich wieder in die Reihe.
»Adjüst, Vadder! Adjüst, Vadder!«
Klaus Mewes staunte nicht schlecht, als er seinen Jungen mit einem Mal auf dem Eis stehen sah, Dwars ab von Blankenese, hart am Rande des Fahrwassers. Störtebeker stand neben seiner Kreek, auf die Pek gestützt, und winkte.
»Wat kummst du hier her? Wat deist du up dat mörre Is?«
»Ik wull di noch Adjüst seggen, Vadder«, rief der Junge. »Du büst jo so fohrn.«
Kap Horn aber machte Weiberlärm: »Junge, Junge, wat kannst du wat moken, wo licht harrst du inne Wok oder innen Lock kommen kunnt!«
Aber Störtebeker sagte ruhig: »Dorför hett de Minsch doch Ogen, Kap Horn!«
Sein Vater ließ den Ewer in den Wind schießen und überlegte, was er tun sollte.
»Dat Is is so mörr as Tunner, dor güng ik gewiß ne mihr rup«, ließ Hein Mück sich vernehmen, aber Störtebeker rief: »Dat gläuf ik, du Bangbüx! Non, Adjüst, Vadder!«
»Kannst