Der Dritte Weg in der Retrospektive. Julia Brandt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julia Brandt
Издательство: Bookwire
Серия: Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht
Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783784134673
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vom deutschen Katholikentag betrieben, dem seit 1849 ein Ausschuss für die Werke der Caritas angehörte.136 Das Forum der Katholikentage nutzte Lorenz Werthmann137, um das Konzept einer caritativen Gesamtorganisation zu realisieren.138 Ziel des DCV, dessen erster Präsident Werthmann wurde, war die Förderung sozial-caritativer Bestrebungen im katholischen Deutschland und die Gründung weiterer Caritasverbände.139 Zu Zeiten Werthmanns hatte es noch keine Diözesancaritasverbände gegeben, Werthmann fasste vielmehr diejenigen Organisationen zusammen, die aus freien Vereinigungen einzelner Katholiken bestanden. Die Zahl der Caritasverbände blieb zunächst gering, denn diese entstanden erst allmählich in der Zeit von 1903-1915.140 Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab es sechs Diözesancaritasverbände und 25 Ortsverbände,141 diesen Zahlen stehen im Jahr 1913 10.827 Einrichtungen der Caritas gegenüber.142 Zu dieser Zeit wurde die katholische Armen- und Anstaltsfürsorge zum großen Teil durch die Orden betrieben, die offene Sozialarbeit durch katholische Vereine mit ehrenamtlichen Mitarbeitern getragen.143

      Die Fuldaer Bischofskonferenz erkannte den Caritasverband für das katholische Deutschland 1916 als „die legitime Zusammenfassung der Diözesanverbände zu einer einheitlichen Organisation“ an144 und sicherte ihm ihre Förderung zu.145 Nun wurde für alle Bistümer die Errichtung von Diözesancaritasverbänden vorgeschrieben. Werthmann versuchte während des Ersten Weltkrieges, die Verlegung der Zentrale des Caritasverbandes nach Berlin durchzusetzen, was 1919 zur Bildung einer „Generalvertretung“ in die Reichshauptstadt führte, deren Leitung Benedict Kreutz übernahm.146 Dieser Kontakt zur Politik in der Reichshauptstadt sollte sich, vor allem unter Kreutz, noch als wichtiger Kontakt erweisen.147

      Im „Inflationsjahrzehnt“ 1914-1924 gelang es dem Verband sich zu einem Spitzenverband der deutschen Wohlfahrtspflege zu entwickeln, bedingt durch die Anerkennung durch die Bischöfe 1916 und die neue Fürsorgegesetzgebung.148 Im letzten Jahr der Weimarer Republik waren 82.000 hauptamtliche Kräfte in der Caritas tätig.149

      Wichtige Organe des DCV waren zu dieser Zeit der Zentralvorstand, der Zentralrat und der Zentralausschuss.150 Der Zentralvorstand bestand damals aus insgesamt 18 Personen und ihm waren die unmittelbare Leitung der Geschäfte, die Aufsicht über die Einrichtungen des Verbandes und die Ausführung der Beschlüsse der höheren Organe übertragen.151 Der Zentralausschuss umfasste die Mitglieder des Zentralvorstandes und des Zentralrates, die wissenschaftlichen Beamten der Zentralstelle Freiburg und je zwei Vertreter der dem Gesamtverband angeschlossenen Fachorganisationen, die Mitglieder der Fachausschüsse im Zentralausschuss und zahlreiche zugewählte Caritasfreunde, insgesamt um die 350 Personen. Damit stellte der Zentralausschuss die Gesamtvertretung der katholischen Caritas in Deutschland dar, der Zentralrat hatte ihm Rechenschaft abzulegen.152

      Im Laufe der Jahre erfuhr die Satzung des DCV immer wieder Änderungen, insbesondere auch im Hinblick auf die innere Organisation und die Organe des DCV.153 Für die Entstehung und Entwicklung des Dritten Weges ist insbesondere die Arbeit des Zentralrates des DCV prägend, der lange Zeit das höchste Entscheidungsgremium des katholischen Spitzenverbandes bildete. Der Zentralrat wurde durch die Satzungsänderung 1917 zur Kontrolle der Verbandsführung geschaffen, ihm gehörten je zwei Vertreter der Diözesancaritasverbände und vier Vertreter der Zentrale des DCV an und ihm oblag die Finanz- und Wirtschaftsverantwortung, er hatte die Geschäftsführung des Zentralvorstands zu überwachen und alle wichtigen Angelegenheiten zu beraten.154 Während der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr der Zentralrat einen Bedeutungszuwachs: er war das überregionale Caritas-Gremium mit der höchsten Arbeitskontinuität, die Bischöfe nahmen in den ersten Jahren nach 1945 häufiger und in größerer Anzahl an seinen halbjährlich stattfindenden Tagungen teil, was zu reger Unterstützung der Caritasarbeit durch den Episkopat führte und der Zentralrat öffnete sich externen Gästen, mitunter Vertretern der Militärregierungen.155

      Mit der Satzungsreform 1966 gehörten dem Zentralrat die stimmberechtigten Mitglieder des Zentralvorstandes, die Vertreter der Diözesancaritasverbände, die Abteilungsleiter der Zentrale des DCV, die Vertreter zentraler Verbände, Vereine und Werke sowie die Vertreter caritativer Genossenschaften und Vereinigungen an.156 Als dem wichtigsten Verbandsorgan oblagen dem Zentralrat die Beratung und Entscheidung über Fragen von grundsätzlicher Bedeutung.157 Der Zentralrat konnte zur vorübergehenden oder dauernden Aufgabenwahrnehmung Fachausschüsse bilden und über deren Zusammensetzung bestimmen, diese Ausschüsse hatten dem Zentralrat Bericht zu erstatten und unterlagen seinen Weisungen.158 Die Anfang der 1950er Jahre geschaffene arbeitsrechtliche Kommission war ein ständiger Ausschuss des Zentralrats.159

      Heute übernimmt die Delegiertenversammlung die Beratung und Entscheidung über Fragen grundsätzlicher Bedeutung. In ihr sind alle Mitgliedsgruppen des Verbandes repräsentativ vertreten.160 Die Delegiertenversammlung wählt den Caritasrat. Dieser trifft wichtige verbandspolitische Entscheidungen, genehmigt den Haushalt, nimmt den Haushaltsbericht entgegen und entlastet den Vorstand. Dem Caritasrat gehören neben dem Präsidenten und dem Generalsekretär zwölf Vorsitzende und Direktoren der Diözesan-Caritasverbände sowie Vertreter der Fachverbände, Vereinigungen, Orden und der Ortsebene der Caritas an.161 Der Präsident des DCV wird von der Delegiertenversammlung auf sechs Jahre gewählt und repräsentiert den Deutschen Caritasverband gegenüber Kirche und Öffentlichkeit.162

      Heute erfüllt der DCV übergeordnete Aufgaben der Koordinierung, Interessenvertretung und Qualitäts- und Strukturentwicklung. Nicht der DCV selbst, sondern seine Mitglieder und deren Untergliederungen sind Träger karitativer Einrichtungen. Die Richtlinien für das Arbeitsrecht sind aber ausgehend vom Spitzenverband entwickelt worden. Die selbständigen Einrichtungen sollten diese anwenden, was zunächst nicht ohne Schwierigkeiten blieb.

      3.Zwischenergebnis: Vergleich der Strukturen

      Zwischen beiden Akteuren gab und gibt es durchaus Verflechtungen: ein katholischer Kindergarten kann etwa als typische caritative Einrichtung der katholischen Kirche innerkirchlich mehrfach in Erscheinung treten. Als Einrichtung der katholischen Pfarrgemeinde ist er zugleich korporatives Mitglied des DCV, seine Mitarbeiter können nach den AVR der Caritas, nach anderen kircheneigenen Vergütungsordnungen oder anderen übernommenen Tarifen entlohnt werden.163

      Die überbetrieblichen Mitbestimmungsordnungen haben sich unterschiedlich entwickelt. Der DCV als weltlich eingetragener Verein hat trotz eigener Diözesancaritasverbände seit jeher die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter überdiözesan organisiert.164 Die Normierung des Dritten Weges beruht in der Caritas nicht auf der Gesetzgebungsgewalt der Bischöfe, sondern auf der Satzungsautonomie des DCV.165 Die Caritas hatte mit dem DCV bereits früh einen Dachverband, in dessen Gremien die AVR entwickelt und die Bildung der Arbeitsrechtlichen Kommission beschlossen wurde. Allgemein sind die konfessionellen Wohlfahrtsverbände im Gegensatz zu den verfassten Kirchen überwiegend als kollektive Akteure aufgebaut, bei ihnen ist zudem weniger hierarchische Steuerung möglich.166 In der verfassten katholischen Kirche war und ist jede Diözese mit ihrem Bischof als Gesetzgeber eigenständig auch für die Regelung der Dienstverhältnisse verantwortlich, was sich auch am Bestand diverser arbeitsvertraglicher Regelungen zeigte.167 Hier übernahm der VDD als überörtliche Instanz die Entwicklung kollektiver Mitwirkungsinstrumente in Form von Rahmenregelungen, die freilich durch jeden Bischof in seiner Diözese in Kraft zu setzen waren.

      Bei beiden Akteuren bedurfte es zentraler Stellen, die die Regelung der überbetrieblichen Mitbestimmung in die Hand nahmen, oft voran getrieben durch einzelne Personen und Experten, denen bei dieser Entwicklung Schlüsselpositionen zukamen. In der verfassten katholischen Kirche wurde eine Institution, welche die überdiözesane Aufgabe der Entwicklung eines Systems zum Arbeitsrecht übernehmen konnte, erst 1968, mit Gründung des VDD, geschaffen.

      72Die Darstellung hier umfasst nicht alle Einzelheiten, sondern konzentriert sich vor allem auf die Institutionen in verfasster katholischer Kirche und Caritas, die an der Etablierung und Weiterentwicklung des Dritten