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Bei solchen schöpferischen Vorgängen steht auch der Jurist in der Praxis nicht selten vor der Herausforderung, ein erstes leeres Blatt zu füllen und damit seinen schöpferischen Prozess in Gang zu setzen. Dies trifft etwa auf den Prozessanwalt zu, der, nach Feststellung des Sachverhalts, einen Klageentwurf fertigt. Oder den Richter, der nach Abschluss der Beweisaufnahme ein Urteil absetzt. Es gilt insbesondere aber auch für den Vertragsjuristen, der etwa einen komplexen, auf die individuellen Bedürfnisse der Parteien zugeschnittenen, atypischen Vertrag63 entwerfen soll.
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Auf der ersten Stufe der Arbeiten an einem solchen völlig neuartigen und atypischen Vertrag stünde sinnvollerweise64 die Problemdefinition, d.h. die Ermittlung der regelungsbedürftigen Punkte, um die Sachziele des Mandanten zu erreichen. Daran schlösse sich eine Grobbeurteilung an, in der das Anforderungsprofil für die Gestaltung zu entwickeln und eine erste Vorentscheidung über die auszuwählende Gestaltung zu treffen wäre.65 Dazu zählten etwa die Fragen, ob bereits das Gesetz eine Lösung bietet, ob anerkannte Vertragstypen,66 passende individuelle Musterverträge und u.U. hier bereits passende typische Vertragsklauseln zugrunde zu legen sind.67 Hier arbeitete der Jurist regelmäßig intuitiv und nur ausnahmsweise systematisch.68 Daran schlösse sich eine Feinbeurteilung an, in der der Kautelarjurist die tauglichen juristischen Denkmodelle (also insbesondere passende Vertragstypen oder passende individuelle Musterverträge) zu Gestaltungsmöglichkeiten konkretisiert und bewertet.69 Auf dieser Stufe wären etwa eine Vorauswahl bei der Grobbeurteilung zu korrigieren und ggf. neue Alternativen zu überlegen. Die letzte Phase begönne mit der Entscheidung für eine bestimmte Gestaltung und betrifft die Ausarbeitung des Vertragsentwurfs/Detailarbeit am Vertragsentwurf. Sie schlösse die Strukturierung und Ausgestaltung im Einzelnen ein. In dieser Phase träte die spezifisch juristische Arbeit in den Vordergrund: Welcher Form bedarf der Vertrag? In welchem Umfang ist er formbedürftig? Werden bei der Klauselgestaltung die Grenzen zwingenden Rechts beachtet?70
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Für uns M&A-Vertragsjuristen werden diese Herausforderungen etwas abgemildert. Die Ermittlung der regelungsbedürftigen Punkte bei einem Unternehmenskauf (Problemdefinition) kann auf der Grundlage zahlreicher Bücher, Aufsätze und kommentierter Musterverträge im juristischen Schrifttum erfolgen, aus der sich mit der Zeit ein profundes Begleitwissen herausbildet. Daher kann sich der erfahrenere M&A-Anwalt auf dieser Stufe der Vertragskonzeptionierung auf die Frage konzentrieren, wo und in welchem Umfang der von „seiner“ Partei geplante Unternehmenskauf von der typischen Interessenlage abweicht. Beispiele für solche Abweichungen können etwa sein:
– außergewöhnlich kurzer Zeitrahmen, der für „normale“ Verhandlungen keinen Raum lässt,
– Kauf aus der Insolvenz,
– andere verkäuferseitige Besonderheiten, wie: fehlende Bereitschaft oder Möglichkeit, Garantieversprechen und Freistellungen einzuräumen bzw., etwa mangels ausreichender Solvenz, zu erfüllen,
– Zielunternehmen noch nicht oder erst seit kurzem eigenständig? (Insbesondere der Kauf und der Verkauf eines durch Carve-Out entstehenden oder entstandenen Unternehmens71 führt zu einer Vielzahl notwendiger Spezialregelungen.)
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Gibt es solche Besonderheiten nicht, fällt die Grobbeurteilung leichter. Dass bereits das Gesetz kein passendes Auffangregelungsregime für den Unternehmenskauf bereithält, ist allgemein anerkannt.72 Die für einen Unternehmenskaufvertrag typischen Anforderungsprofile sind relativ offensichtlich, sie entsprechen im Grundsatz denen eines Kaufvertrags (allerdings bezogen auf einen immer komplexen und zumeist sehr werthaltigen Kaufgegenstand), der um Elemente eines Projektvertrags ergänzt wird, die den Ablauf der Transaktion zwischen Vertragsabschluss und Vollzug sowie nachlaufende Pflichten steuern.73 Jeder Unternehmenskaufvertrag hat eine typische Anatomie, die aus den Four Horsemen besteht.74 Typische Musterverträge für Unternehmenskäufe (solche aus veröffentlichten Formularbüchern, kanzleiweiten Formularsammlungen, individuellen Mustervertragssammlungen oder individuellen Vertragssammlungen (im Sinne abgeschlossener Verträge, die als Precedents gesammelt werden)) stehen zur Verfügung und helfen dem M&A-Juristen gemeinsam mit vorhandenen Precedents aus anderen Transaktionen, den schöpferischen Prozess der Vertragsgestaltung nicht vor einem leeren Blatt zu beginnen. Dabei ist mit Mustervertrag die Gliederungsstruktur eines Unternehmenskaufvertrags mit ausformulierten Elementen gemeint.75 Solch ein Mustervertrag entspricht den Prüfungsschemata der Dezisionsjuristen. Es handelt sich um unverzichtbare Algorithmen (im Sinne einer linearen Abfolge von Prozessschritten) für eine systematische und vor allem effiziente juristische Arbeit des Vertragsjuristen.76 Wenn ein Mustervertrag gut gepflegt wird, ist er das fortlaufend erneuerte kumulative oder individuelle Gedächtnis des Vertragsjuristen. Bei dem Gebrauch eines Mustervertrages ist selbstverständlich sicherzustellen, dass er auf die besonderen Bedürfnisse der Partei angepasst wird. Jede Transaktion hat ihren speziellen „Thumbprint“.77 Ein guter Mustervertrag ist ein guter Ausgangspunkt. Zu einem guten Vertragsentwurf wird er nur, wenn alle Besonderheiten der konkreten Transaktion berücksichtigt werden. Bei jeder Klausel des Mustervertrags ist zu fragen, ob die dort vorgeschlagene Formulierung auch bei der konkreten Transaktion passt.78 Jeder Mustervertrag ist ständig peinlich genau danach abzufragen, ob für die konkrete Transaktion erforderliche oder zweckmäßige Regelungen fehlen.79 Beim Gebrauch von Precedents ist zu bedenken, dass sie in der Regel Ergebnis eines abgeschlossenen Verhandlungsprozesses sind und sich deshalb für einen Erstentwurf selten eignen. Besser ist auf den Erstentwurf des Vertrags als Precendent zurückzugreifen.
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Auf der Stufe der Grobbeurteilung kann der M&A-Jurist regelmäßig intuitiv eine Auswahl treffen, etwa nach folgenden typischen Anforderungen:
– Parteien und Beteiligte deutsch oder international? (Vertragssprache also Deutsch oder Englisch? Vertragsstil deutsch oder anglo-amerikanisch?)
– Erfahrungshorizont und Erwartungshaltung der Parteien an den Vertrag? (u.U. relevant für den Umfang des Vertrags und den Konkretisierungsgrad einzelner Klauseln)
– Kaufgegenstand Anteile (Share Deal), Geschäftsbereich (Asset Deal) oder beides (Kombinierter Share und Asset Deal)?
– Gestaltung für den Verkäufer oder den Käufer? Moderat oder hart?
– Entwurf für Bieterverfahren oder für bilaterale Verhandlungen?
– Zielunternehmen klein, mittel oder groß? (u.U. relevant für den Umfang des Vertrags und den Konkretisierungsgrad einzelner Klauseln)
– Vollzug bereits aufschiebend vereinbart (Einheitslösung, One-Step-Modell) oder aufgrund gesonderter Vereinbarung beim Closing (Trennungslösung, Two-Step-Modell)?
– Steuerrechtliche Vorgaben?
– Typische branchenspezifische Besonderheiten?
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Auf der Stufe der Feinbeurteilung kann es ggf. zu einer Korrektur, zu Änderungen oder Ergänzungen der nach der Grobbeurteilung erwogenen Vertragsstruktur bzw. des nach der Grobbeurteilung ausgewählten Mustervertrags kommen. Anlass dafür kann jede Änderung des bislang festgestellten Sachverhalts sein, also etwa:
– Hinzutritt weiterer Parteien,
– inzwischen angestellte steuerliche Überlegungen,
– Sachverhaltsfeststellungen aus einer Due Diligence,
– Einbindung in Konzernfinanzierung und Cash Pool,
– Bestand von Unternehmensverträgen,
– spezielle branchenspezifische Besonderheiten.
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Besonders