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Zu einer optimalen Umsetzung gehört es, den Vertrag so zu gestalten, dass er möglichst Rechtssicherheit zwischen den Parteien stiftet. Dazu bedarf es möglichst klarer und missverständnisfreier Formulierungen und eines übersichtlichen Aufbaus. Anders als der Schriftsteller bemüht sich der Vertragsjurist um die Verwendung gleicher Begriffe für den gleichen Vorgang. Der Gebrauch abwechselnder Synonyme ist ihm fremd. Er formuliert kurz und prägnant. Der Vertrag steht im Präsens, nicht im Futur.82 Er verwendet juristische Fachausdrücke präzise und richtig. Er vermeidet passivische Formulierungen. Denn sie benennen nicht das Subjekt und sind damit unpräzise. Sätze, die mehr als 25 Wörter haben, vermeidet er möglichst. Denn mehr als 25 Wörter kann der Leser nicht aufnehmen.83 Bei ab und an unvermeidbaren Aufzählungen mit mehr als 25 Wörtern in einem Satz untergliedert er den Satz. Verweise (Cross References) nimmt er immer konkret auf bestimmt bezeichnete Klauseln vor. Geschieht dies nicht, erfüllen die Verweise ihren Zweck nicht, sind regelmäßig unnötig und nur Ausdruck von Trägheit. Für die Vertragsgliederung sind arabische Ziffern oder Paragrafen (Clauses, Articles) empfehlenswert. Unterabschnitte sollten auf der nächsten Ebene mit 1.1, 1.2 etc., auf der Ebene darunter mit kleinen Buchstaben ((a), (b) etc.), auf der Ebene darunter, also in der Regel bei Aufzählungen, durch kleine römische Zahlen ((i), (ii) etc.) bezeichnet werden. Das vereinfacht genaue Verweise. Anlagen (Exhibits, Annexes) sollten nicht durchlaufend, sondern wie die Klausel nummeriert werden, in der sie das erste Mal in den Vertrag eingeführt werden. Andernfalls führte die Streichung oder Hinzunahme einer Anlage in den Vertragstext zu Folgeänderungen. Ob neben Aufzählungen, abgestimmten Entwürfen von bei Vollzug abzuschließenden Ausführungs- oder Nebenverträgen oder Offenlegungen (Disclosures) auch ganze Regelungsbereiche (etwa Steuer- bzw. Umweltrecht oder spezielle Freistellungen) in Anlagen ausgelagert werden, ist sorgfältig abzuwägen. Dabei besteht die Gefahr, dass die Konsistenz solcher in Anlagen ausgegliederter Regelungen mit dem Hauptteil des Vertrags leidet.84 Diese Gefahr wird dadurch nicht geringer, dass solche ausgelagerten Regelungen nicht selten in separaten „Work Streams“ verhandelt werden. Bei Vertragsüberarbeitungen (etwa in Folge von Verhandlungen) achtet der M&A-Jurist auf notwendige Folgeänderungen in anderen Klauseln. Mehrfach verwendete Begriffe, für die nicht bereits gesetzliche Definitionen vorliegen (wie etwa für „verbundene Unternehmen“ in §§ 15ff. AktG), werden definiert. Wie in englischsprachigen Verträgen üblich, wird der definierte Begriff mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben und damit als definierter Begriff gekennzeichnet. Dies ist zwar nicht sonderlich elegant,85 aber zweckmäßig. Zur besseren Lesbarkeit ist es empfehlenswert, Begriffe nach US-amerikanischem Vorbild im Vertragstext an der Stelle zu definieren, an der der jeweilige definierte Begriff das erste Mal relevant wird. Um sämtliche Definitionen gebündelt lesen zu können, empfiehlt sich die Erstellung eines Definitionsverzeichnisses. Änderungen von Definitionen sind besonders sorgfältig vorzunehmen und vor dem Hintergrund aller Klauseln, in der die Definition verwendet wird, zu prüfen. Dem Vertrag wird üblicherweise neben dem Definitionsverzeichnis auch ein Inhaltsverzeichnis und ein Anlagenverzeichnis vorangestellt. Das verbessert seine Lesbarkeit.
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Entgegen einem verbreiteten Irrtum ist ein Vertragswortlaut nie eindeutig, sondern vielmehr Ausgangspunkt der Auslegung.86 Jede Klausel ist damit auslegungsbedürftig.87 Schon die – in der Rechtsprechung ab und an anzutreffende – Feststellung, eine bestimmte Klausel sei nach ihrem Wortlaut und Zweck eindeutig, setzt eine Auslegung voraus.88 Ein „klarer und eindeutiger“ Wortlaut einer Willenserklärung bildet daher auch keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände,89 wohl aber der noch mögliche Wortsinn.90 Ein übereinstimmender Parteiwille geht dem Wortlaut und jeder anderen Auslegung vor (falsa demonstratio non nocet91). Im Idealfall entfernt sich das Auslegungsergebnis nicht oder nicht weit vom Ausgangspunkt der Auslegung. Für Klauseln in Unternehmenskaufverträgen gilt der allgemeine Kanon von Auslegungsgrundsätzen.92 Klauseln in Unternehmenskaufverträgen sind danach nach §§ 133, 157 BGB auszulegen. Bei der deshalb maßgeblichen Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont kommt es darauf an, wie ein verständiger und mit den Umständen vertrauter objektiver Empfänger den Wortlaut einer Willenserklärung verstehen durfte.93 Die Auslegung erfolgt anhand des Wortlauts (als Ausgangspunkt und Grenze der Auslegung), der Grammatik und Systematik, der Begleitumstände (vor allem Entstehungsgeschichte), des Sinns und Zwecks (teleologische Auslegung) sowie von Treu und Glauben. Auch wenn es keine feste Rangfolge innerhalb dieses Auslegungskanons gibt, sind zumeist Wortlaut und Zweck für das Auslegungsergebnis maßgeblich.94 Bei regelmäßig intensiv verhandelten Unternehmenskaufverträgen hat zudem oft die historische Auslegung eine besondere Bedeutung.95 Dies gilt, wie auch die übrigen Ausführungen in dieser Ziffer 1.3, für Verträge, die deutschem Recht unterliegen (zu Besonderheiten anglo-amerikanischer Konzepte und der Auslegung englischsprachiger Verträge nachfolgend Ziffer 1.4).
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Ziel des M&A-Vertragsjuristen ist daher, so eindeutig zu formulieren, dass unter Berücksichtigung des Auslegungskanons das von seiner Partei angestrebte Regelungsziel rechtssicher, d.h. ohne Streit über die Auslegung, erreicht wird. In diesem Zusammenhang ist es auch für den Vertragsjuristen wichtig, jedenfalls bei Klauseln, deren herausgehobene Bedeutung bei der Abwicklung des Vertrags wahrscheinlich ist, immer wieder die Perspektive eines Dezisionsjuristen in einem streitigen Fall einzunehmen, der einzelne Klauseln oder Regelungsbereiche seziert und Argumente aus der Systematik, den Vertragsverhandlungen, begleitenden E-Mails oder anderen Begleitumständen, dem von den Parteien verfolgten Zweck, ihrer Interessenlage oder Gesichtspunkten einer vernünftigen und gesetzeskonformen Auslegung sammelt.96 Verzichten die Parteien, wie in der Praxis nicht selten, im Interesse eines zügigen Verhandlungsfortschritts oder besserer Lesbarkeit des Vertrags darauf, einen bestimmten Punkt in einer Klausel, über den sie ein gemeinsames Verständnis haben, klarzustellen, empfiehlt es sich, dieses gemeinsame Verständnis schriftlich festzuhalten.97
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Ein Irrtum wäre auch die Vorstellung, einen lückenlosen Vertrag gestalten zu können. Das ist unmöglich. Jede Regel ist notwendig lückenhaft.98 In der Literatur zur Vertragsgestaltung im Allgemeinen wird dieser Befund als eines der „Naturgesetze der Vertragsgestaltung“ bezeichnet.99 Möglich aber ist und Ziel sollte sein, für die für die Parteien und ihren Rechtsberater im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für die Vertragsabwicklung als wahrscheinlich und in wirtschaftlich relevantem Umfang erkannten Ereignisse Regelungen vorzusehen. Daher sollte ein guter Unternehmenskaufvertrag neben den als wahrscheinlich angesehenen Ereignissen auch eine typische Bandbreite unwahrscheinlicher Ereignisse abbilden, die nach praktischer Erfahrung bei Abwicklung eines Unternehmenskaufvertrags abstrakt gelegentlich auftreten100 und eine gewisse wirtschaftliche Relevanz für die Parteien haben. Als Daumenregel wird man zudem sagen können, dass die der Erfüllungsplanung dienenden Regelungen detaillierter ausfallen sollten als die der Risikoplanung dienenden. Dies wird durch gute