304
Wissen von Personen der Zielgesellschaft kann der Verkäufergesellschaft beim Anteilsverkauf (Share Deal; beim Asset Deal wird das Wissen der Geschäftsführer oder des Vorstands der Verkäufergesellschaft, die beim Asset Deal gleichzeitig Träger des zu verkaufenden Geschäftsbereichs ist, und damit der Zielgesellschaft ohne weiteres zugerechnet639) nur dann zugerechnet werden, wenn diese Personen nach den allgemeinen Grundsätzen im konkreten Fall deren Wissensvertreter sind (Übertragung bestimmter Aufgaben zur selbstständigen und eigenverantwortlichen Wahrnehmung640). Per se sind die Geschäftsführer oder Vorstände der Zielgesellschaft grundsätzlich keine Wissensvertreter des Verkäufers.641 Etwas anderes kann dann anzunehmen sein, wenn ihnen der Verkäufer im konkreten Fall im Hinblick auf den Unternehmensverkauf eine Aufgabe zur selbstständigen und eigenverantwortlichen Wahrnehmung zuweist.642 Soweit es zu einer Zurechnung des Wissens von Geschäftsleitern der Zielgesellschaft kommt, wird nur deren Wissen zugerechnet. Es kommt nicht zu einer Zurechnung des gesamten aktenmäßig oder in elektronischen Dateien verfügbaren Wissens der gesamten Zielgesellschaft gleichsam „in einem Schwall“.643 Keine Zurechnung beim Verkäufer, sondern umgekehrt beim Käufer hat das OLG Düsseldorf644 in einem Fall angenommen, in dem der Geschäftsführer der Zielgesellschaft bereits nach Abschluss und noch vor Vollzug des Unternehmenskaufvertrags zum Geschäftsführer des Käufers bestellt wurde, obwohl er bei Abschluss des Unternehmenskaufvertrags noch nicht Gesellschafter war. Im Geschäftsanteilskaufvertrag war eine aufschiebend bedingte Anteilsübertragung (One-Step-Modell645) vereinbart worden. Bereits am Tag des Vertragsschlusses erfolgte die Bestellung zum Geschäftsführer des Käufers. Das OLG Düsseldorf nahm deshalb eine vorwirkende Loyalitätspflicht des Geschäftsführers an und rechnete sein Wissen dem Käufer zu.
305
Darüber hinaus kommt eine Wissenszurechnung nach den Grundsätzen der Zurechnung üblicherweise aktenmäßig oder in elektronischen Dateien646 festgehaltenen Wissens auch sonstiger Mitarbeiter der Zielgesellschaft nach einer BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2011647 dann in Betracht, wenn zwischen der Verkäufergesellschaft und der Zielgesellschaft eine sog. aufgabenbezogene Handlungs- und Informationseinheit besteht.648 Eine solche Wissenszurechnung über Gesellschaftsgrenzen hinaus im Konzern ist aber besonders umstritten.649 Sie kommt etwa in Betracht, wenn die Zielgesellschaft auf Veranlassung der Verkäufergesellschaft die Unterlagen für die Bestückung des Datenraums zur Verfügung stellt.650 Eine Zurechnung kann, auf der Grundlage der BGH-Rechtsprechung, auch bei Konzernen relevant werden, die eine sog. Matrixorganisation etabliert haben. Als weiteres praktisch relevantes Beispiel wird die Zurechnung des Wissens zentraler Konzernabteilungen, im Kontext von M&A-Transaktionen etwa der zentralen Konzernsteuerabteilung, angenommen.651 Zu einer Zurechnung über die Gesellschaftsgrenzen hinaus soll es schließlich dann kommen können, wenn der Verkäufer etwa bei den Verhandlungen auf rechtssubjektübergreifende Teams zurückgreift.652 Die Zurechnung dürfte sich dann regelmäßig auf das in dieser Handlungs- und Organisationseinheit (auch bloß typischerweise aktenmäßig) vorhandene Wissen beschränken und nicht zu einer Zurechnung des gesamten (typischerweise aktenmäßig) vorhandenen Wissens der Zielgesellschaft führen.653 Eine über diese Fälle hinausgehende generelle Wissenszurechnung über die Gesellschaftsgrenzen hinaus im Konzern wird von Rechtsprechung und Literatur abgelehnt.654
306
Eine in der Praxis durchaus relevante Einschränkung der Grundsätze der Wissenszurechnung besteht bei Verschwiegenheitsverpflichtungen oder Offenlegungsverboten. Wissen, dass nur durch eine rechtsmissbräuchliche Weitergabe (also unter Verstoß gegen eine Verschwiegenheitsverpflichtungen oder ein Offenlegungsverbot) erlangt werden kann, ist nicht Gegenstand der Wissenszurechnung.655
(ii) Verhaltenszurechnung
307
Außerdem muss sich der Verkäufer nach § 278 BGB das Verhalten seiner Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen. Eine Entlastung durch den Nachweis sorgfältiger Auswahl und Überwachung des Dritten sieht die Vorschrift (anders als § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB bei Verrichtungsgehilfen) nicht vor.656 Das hat im Kontext einer Haftung nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen insbesondere bei Falschangaben große praktische Relevanz.
308
Für die Qualifikation als Erfüllungsgehilfe müssen zwei Voraussetzungen vorliegen:
– Zum einen muss sich der Schuldner, hier der Verkäufer, der Person als seine Hilfsperson bedienen. Dies setzt zwar weder eine ausdrückliche Beauftragung noch einen wirksamen Vertrag mit der Person voraus. Erforderlich für die Annahme solch eines Sich-Bedienens ist aber eine einseitige, rechtsgeschäftliche Willensbetätigung. Die Rechtsprechung stellt insoweit darauf ab, ob der Dritte mit Wissen und Wollen in dem Pflichtenkreis des Schuldners tätig wird.657 In der Literatur wird die rechtsgeschäftliche Willensbetätigung als eine Art „Widmung“658 der Person durch den Schuldner bezeichnet.659 Dass der Dritte weiß, dass er durch seine Tätigkeit eine Verpflichtung des Schuldners erfüllt, ist irrelevant.660 Damit ist es auch ohne Belang, ob der Dritte vom Verkaufsprozess Kenntnis hat.661 Irrelevant ist ebenso, ob sie im Rahmen des Verkaufsprozesses gegenüber dem Käufer auftreten oder nicht.662
– Zum anderen muss das Verhalten des Dritten pflichten- und widmungsnah sein.663 Der Verkäufer haftet, was durch das Kriterium der Pflichtennähe erreicht wird, für das Verhalten des Dritten nur, soweit auch sein eigener Pflichtenkreis reicht. Dieser Pflichtenkreis ist weit auszulegen, er umfasst sämtliche Haupt- und Nebenpflichten aus dem Vertrag, einschließlich Schutz- und Obhutspflichten.664 Zum anderen muss es zwischen dem Verhalten des Dritten und der erkennbaren Widmung einen inneren Zusammenhang geben.665 Damit werden bloße Tätigkeiten bei Gelegenheit ausgeschieden.
309
Praktische Anwendungsfälle, in denen die Frage nach einer Zurechnung relevant werden kann, sind etwa
– falsche Informationen, die im Rahmen einer Managementpräsentation erteilt werden,
– falsche Auskünfte im Rahmen des Q&A-Process,
– falsche Auskünfte in Expert Sessions,
– falsche Informationen, die während der Verhandlungen erteilt werden, oder auch
– falsche Informationen in Pausengesprächen bei Verhandlungen.
310
Für die Zurechnung nach § 278 BGB kommt es in jedem Einzelfall darauf an, wer sie erteilt hat, und ggf. zusätzlich zum einen auf die Pflichtennähe und den inneren Zusammenhang der Informations- oder Auskunftserteilung:
311
Eine eindeutige Zurechnung kann bei den Organmitgliedern des Verkäufers angenommen werden. Sie ergibt sich für Kapitalgesellschaften bereits aus § 31 BGB. Bei Gesellschaften bürgerlichen Rechts und Personenhandelsgesellschaften folgt sie aus einer analogen Anwendung des § 31 BGB.666 Einer Zurechnung nach § 278 BGB bedarf es nicht. Die Vorschrift findet auch keine Anwendung.667
312
Dies soll nach der Rechtsprechung auch für Repräsentanten