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Die Verjährung möglicher Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB tritt nach drei Jahren ein. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von der Person des Schuldners und den anspruchsbegründenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.
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Fallgruppen für Pflichtverletzungen rund um den Abbruch von Verhandlungen sind:
– Abbruch von Vertragsverhandlungen trotz qualifizierten Vertrauenstatbestands und ohne triftigen Grund: Zwar bleibt es den Parteien grundsätzlich unbenommen, von Vertragsverhandlungen Abstand zu nehmen. Denn die Abschlussfreiheit ist ein zentraler Bestandteil der Privatautonomie. Dies gilt auch bei langen Vertragsverhandlungen501 und komplexen Verhandlungsgegenständen.502 Durfte der andere Vertragsverhandlungspartner aber berechtigterweise darauf vertrauen, dass der Vertrag unter vorausgesetzten Umständen zustande kommt, verletzt eine die Verhandlungen abbrechende Partei ihre vorvertraglichen Pflichten, wenn sie ohne triftigen Grund abbricht.503 Einen damit erforderlichen qualifizierten Vertrauenstatbestand nehmen die Gerichte insbesondere an, wenn der eine Verhandlungspartner den Vertragsschluss als sicher hingestellt und den Verhandlungspartner zu Vorleistungen veranlasst hat,504 beide Verhandlungspartner bereits mit der Durchführung des Vertrags begonnen haben505 oder ein Vorvertrag zum Unternehmenskaufvertrag nur wegen nicht hinreichender Bestimmtheit unwirksam war.506 Solange umgekehrt noch mit einem Scheitern der Verhandlungen zu rechnen ist, besteht ein qualifizierter Vertrauenstatbestand grundsätzlich nicht.507 Dies ist insbesondere auch dann der Fall, wenn der verhandelte Vertrag formbedürftig ist und die entsprechenden Formvorschriften noch nicht erfüllt werden.508 Deshalb ist bei beurkundungspflichtigen Rechtsgeschäften wie etwa dem Kauf und Verkauf von GmbH-Geschäftsanteilen die Schwelle für einen auf dem Abbruch von Vertragsverhandlungen basierenden Schadensersatzanspruch besonders hoch.509 Das kann aus dem Zweck der Formvorschriften (Übereilungsschutz) folgen, ergibt sich zudem aus der Vorschrift des § 154 Abs. 2 BGB. Zu dem qualifizierten Vertrauenstatbestand hinzukommen muss das Nichtvorliegen eines triftigen Grunds. Für das Vorliegen eines triftigen Grunds lässt es die Rechtsprechung genügen, dass der Verhandlungsabbruch nicht auf sachfremden Erwägungen beruht.510 Beispiele für triftige Gründe sind etwa die Uneinigkeit über einzelne Klauseln des Unternehmenskaufvertrags, erst recht die noch ausstehende Einigung über den Kaufpreis. Selbst das Nachschieben im Vergleich zum Vorentwurf nachteiliger Vertragsbedingungen soll nach obergerichtlicher Rechtsprechung keinen triftigen Grund darstellen.511
– Anfängliche Täuschung über die Abschlussbereitschaft: Trotz Vorliegens eines triftigen Grundes haftet der Verhandlungspartner nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, wenn er Verhandlungen zum Abschluss eines Unternehmenskaufvertrags nur scheinbar ernsthaft führt, tatsächlich aber zu keinem Zeitpunkt abschlussbereit war.512 Die praktische Bedeutung dürfte allerdings – so ist zu hoffen – eher gering sein.
– Vorspiegeln der nachträglich entfallenden Abschlussbereitschaft: Relevanter dürfte die Fallgruppe sein, dass eine Verhandlungsseite ihre ursprünglich vorhandene Absicht zum Abschluss eines Unternehmenskaufvertrags aufgibt, ohne ihren Verhandlungspartner darüber rechtzeitig zu informieren. Eine solche Haftung setzt zunächst eine sog. besondere Verhandlungslage voraus, die vorliegt, wenn eine Seite den Vertragsabschluss als sicher darstellt.513 Gibt dann die eine Seite ihre Abschlussbereitschaft auf, muss sie den Verhandlungspartner informieren, um ihn vor nutzlosen Vermögensdispositionen zu schützen.514 Dies hat rechtzeitig zu geschehen, nur ausnahmsweise dann, wenn die eine Seite weiß, dass der Verhandlungspartner einstweilen keine weiteren Vermögensdispositionen treffen wird, hat sie so lange eine Überlegungsfrist.515
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Nicht selten werden heutzutage Unternehmen im Rahmen eines Auktionsverfahrens verkauft.516 Eine dadurch per se gesteigerte Aufklärungspflicht des Verkäufers wird zwar im Schrifttum diskutiert,517 ist aber abzulehnen.
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Besondere Haftungsrisiken bestehen für den Verkäufer allerdings bei falschen oder unvollständigen Informationen zum Auktionsverfahren. Nicht nur die ausdrückliche unzutreffende Information eines Interessenten über angeblich weitere Bieter,518 sondern auch die konkludente Fehlinformation darüber können Schadensersatzansprüche nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB auslösen oder dem erfolgreichen, aber zuvor entsprechend getäuschten Bieter die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ermöglichen (wenn der Bieter nachweisen kann, dass er den Unternehmenskaufvertrag ohne die Täuschung über weitere Bieter nicht oder nicht mit diesem Inhalt angeschlossen hätte519). Eine konkludente Fehlinformation über andere Bieter kann z.B. darin liegen, dass der Verkäufer eine Zahl von Verhandlungsteams benennt, die die Zahl der vorhandenen Bieter übersteigt.520 Fehlinformationen durch einen beauftragten Berater (einschließlich einer beauftragten Investmentbank) muss sich der Verkäufer zurechnen lassen.521 „Schleppt“ der Verkäufer einen chancenlosen Bieter „mit“, obwohl er mit ihm nicht mehr abschließen will, kann er ebenfalls aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB haften (Täuschung über die Bereitschaft zum Vertragsabschluss).522 Der Schaden des „mitgezogenen“ Bieters dürfte insbesondere in seinen Aufwendungen im weiteren Verlauf des Auktionsverfahrens liegen. Der Ausschluss eines Bieters oder die ungleiche Zur-Verfügung-Stellung von Informationen dürfte dann keine Haftung nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB begründen, wenn sich der Verkäufer dies – wie üblich – im Process Letter523 vorbehalten hat.524 Der Verkäufer ist zwar (auch außerhalb eines Bieterverfahrens) verpflichtet, einem Bieter (wie jedem Kaufinteressenten) wesentliche unternehmensbezogene Informationen offenzulegen,525 eine darüber hinausgehende Pflicht des Verkäufers, die Bieter informationell gleich zu behandeln, besteht aber nicht. Der Verkäufer ist daher nicht verpflichtet, allen Bietern Antworten zu gezielten Fragen einzelner Bieter etwa im vorvertraglichen Auskunftsprozesses (Q&A-Process)526 zur Verfügung zu stellen.527
4.1.2 Haftung wegen fehlerhafter Aufklärung oder wegen Falschangaben
(a) Überblick
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Ansprüche aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB (Verschulden bei Vertragsverhandlungen) können zum anderen, bei Vorsatz oder Arglist des Verkäufers (denn dann gelten die unternehmenskaufvertraglichen Haftungsbeschränkungen wie etwa Freigrenzen oder Freibeträge, Haftungshöchstgrenzen, Verjährungsregelungen oder Regelungen zu Ausschlussfristen wegen der zwingenden Vorgaben der §§ 276 Abs. 3, 444 BGB nicht), auch dann Bedeutung erlangen, wenn es zum Abschluss eines Unternehmenskaufvertrags gekommen ist.
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Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Verkäufer vorsätzlich entweder Aufklärungspflichten verletzt oder Falschangaben gemacht hat.
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Nicht selten werden Schiedsverfahren und Prozesse vor staatlichen Gerichten (auch) auf die vorsätzliche Verletzung von Aufklärungspflichten oder Falschangaben gestützt.528 Das Thema hat daher auch in der Praxis nicht zu unterschätzende Bedeutung.
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