257
Solche Letters of Intent (LoI), Memoranda of Understanding (MoU), Heads of Agreement oder Non-Binding Term Sheets haben rechtlich regelmäßig insoweit einen hybriden Charakter, als sie regelmäßig rechtlich unverbindliche Absichtserklärungen und zugleich rechtlich bindende Klauseln enthalten.484
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Der fehlende rechtliche Bindungswille im Hinblick auf die Absichtserklärungen sollte durch Klauselformulierungen wie
(„... beabsichtigen nach derzeitigem Stand,...“)
selbst, eine ausdrückliche Regelung des nicht bindenden Charakters der Absichtsvereinbarungen oder Teilen davon
(„This letter only constitutes a statement of the mutual intentions of the Parties with respect to the Transaction. A binding commitment will only result from the execution of Definitive Agreements“485)
sowie umgekehrt einer Regelung, die die ausnahmsweise bindenden Klauseln aufzählt
(„Notwithstanding clause [●] above, the provisions of clauses 5 to 11 of this Letter of Intent shall be binding upon the Parties“486),
klar geregelt werden. Im nicht bindenden Teil sollte bevorzugt „will“ statt „shall“ verwendet werden.487 Fehlen solche Klauseln, ist durch Auslegung zu ermitteln, welche Klauseln bindend oder nicht bindend sind.
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Die Überschrift als Letter of Intent oder Memorandum of Understanding indiziert den grundsätzlich rechtlich unverbindlichen Charakter.488
260
Werden solche Absichtsvereinbarungen in Bezug auf den beabsichtigten Verkauf von GmbH-Geschäftsanteilen abgeschlossen, ergibt sich ihr unverbindlicher Charakter auch aus § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG, wenn sie nicht beurkundet worden sind. Derartige Absichtserklärungen oder -vereinbarungen können in der Regel bei einem Share Deal (und zwar regelmäßig selbst dann, wenn darin enthaltene verbindliche Verpflichtungen durch pauschalierten Schadensersatz oder Vertragsstrafen abgesichert werden, die einen rechtlichen oder unangemessenen wirtschaftlichen Zwang zum Abschluss des Hauptvertrags begründen489) formlos vereinbart werden.
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Trotz ihrer (teilweisen) rechtlichen Unverbindlichkeit können solche Vorfeldvereinbarungen eine hohe psychologische Bindungswirkung haben und Basis für Gremienentscheidungen oder Gespräche mit finanzierenden Banken sein. Sie erfordern auch deshalb große Sorgfalt.490 Spätestens hier empfiehlt sich die Einbindung erfahrener M&A-Juristen.
482 Dazu oben Rn. 259ff. 483 Dazu oben Rn. 100ff. 484 Vgl. zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen eines Letters of Intent als Absichtserklärung oder Vertrag Schlitt, in: Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, § 6 Rn. 28ff. 485 Vgl. Timmerbeil/Pfeiffer, Unternehmenskauf – Nebenvereinbarungen, S. 46. 486 Vgl. Timmerbeil/Pfeiffer, Unternehmenskauf – Nebenvereinbarungen, S. 46. 487 Dazu oben Rn. 61. 488 Meyer-Sparenberg, in: Meyer-Sparenberg/Jäckle, Beck’sches M&A-Handbuch, § 40 Rn. 6. 489 Dazu oben Rn. 255 490 von Engelhardt/Maltzahn, in: Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 662.
4. Das gesetzliche Haftungsregime beim Unternehmenskauf
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In der modernen M&A-Praxis ist es üblich geworden, das gesetzliche Haftungsregime weitestmöglich auszuschließen und stattdessen ein detailliertes autonomes vertragliches Regime zu etablieren. Dennoch lohnt ein Blick auf das gesetzliche Haftungsregime aus zwei Gründen:
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Kommt es nicht zum Abschluss des Unternehmenskaufvertrags, konnten die Parteien naturgemäß nicht ihr eigenes Haftungsregime etablieren und eventuelle Ansprüche (z.B. des über den unterbliebenen Vertragsschluss enttäuschten Partners) richten sich nach dem Gesetz.
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Selbst wenn es zum Abschluss des Unternehmenskaufvertrags kommt, bleibt es beim gesetzlichen Haftungsregime, sobald der Anspruchsgegner vorsätzlich oder arglistig gehandelt hat. Denn nach §§ 276 Abs. 3, 444 BGB sind dann vertragliche Haftungsbegrenzungen unwirksam und die gesetzliche Haftung lebt auf. Vertraglich vereinbarte Freigrenzen oder Freibeträge, Haftungshöchstgrenzen, Vereinbarungen zu Verjährungs- oder Ausschlussfristen etc. kann der Käufer damit „überwinden“. Deshalb kann die Suche des Käufers nach Anknüpfungspunkten für eine solche Haftung, also für eine „Aushöhlung“ des verhandelten Haftungsregimes des Verkäufers durchaus „interessant“ sein.491 Das ist zwar insbesondere deshalb misslich, weil dadurch bei auf allen Seiten professionell und nach modernem Standard durchgeführten Verkaufsprozessen die drohende Haftung des Verkäufers aus den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen auch zu einem Instrument zur nachträglichen Korrektur langwierig und detailliert verhandelter, wirtschaftlich aber für den Käufer nachteilig gewordener Verträge missbraucht werden kann.492 Solange die höchstrichterliche Rechtsprechung allerdings an ihren ebenso strengen wie vagen Grundsätzen festhält, handelt es sich dabei um einen Orientierungspunkt, mit dem sich insbesondere jeder Verkäufer vor und während des Verkaufsprozesses sorgfältig auseinandersetzen sollte.
491 Bank, in: Drygala/Wächter, Verschuldenshaftung, Aufklärungspflichten, Wissens- und Verhaltenszurechnung bei M&A-Transaktionen, S. 93, 94; Bergjahn/Burgic, in: Drygala/Wächter, Verschuldenshaftung, Aufklärungspflichten, Wissens- und Verhaltenszurechnung bei M&A-Transaktionen, S. 19, 30; King, Die Bilanzgarantie beim Unternehmenskauf, Rn. 81. 492 So zu Recht Bergjahn/Burgic, in: Drygala/Wächter, Verschuldenshaftung, Aufklärungspflichten, Wissens- und Verhaltenszurechnung bei M&A-Transaktionen, S. 19, 30.
4.1 Vorvertragliche Haftung nach dem Gesetz
4.1.1 Haftung bei Scheitern von Vertragsverhandlungen
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Die vorvertragliche Haftung nach Gesetzesrecht kann zum einen dann eine Rolle spielen, wenn es nicht zum Abschluss eines Unternehmenskaufvertrags kommt. Denn dann stellen sich die Parteien möglicherweise die Frage, ob der Verhandlungspartner die – oft erheblichen – Kosten und Aufwendungen, die sich nun als vergeblich erweisen, zu tragen hat, weil er während der Verhandlungen seine Pflichten verletzt hat.
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Mögliche Ansprüche des Käufers sind aber nicht auf den Ersatz frustrierter Aufwendungen beschränkt: Hat beispielsweise der Käufer im Vertrauen auf den Abschluss des verhandelten Unternehmenskaufvertrags auf den Kauf eines vergleichbaren Unternehmens verzichtet, kann er darüber hinaus auch seinen entgangenen Gewinn ersetzt verlangen, wenn er darlegen und beweisen kann, dass er aufgrund seines Vertrauens in den Abschluss des verhandelten Unternehmenskaufvertrags einen anderen Unternehmenskaufvertrag nicht hat abschließen wollen bzw. können493 und ihm dadurch ein Gewinn entgangen ist.494 Einen Anspruch auf Abschluss des verhandelten Unternehmenskaufvertrags hat der Verhandlungspartner grundsätzlich nicht.495 Allerdings kann er unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise