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Nach der wohl herrschenden Lehre sollen dazu auch alle Mitglieder des Projektteams des Verkäufers zählen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit den ihnen konkret zugewiesenen Aufgaben tätig werden.669 Die Widmung oder das Sich-Bedienen soll dadurch pauschal erfolgt sein, dass sie der Verkäufer in das Projektteam aufgenommen hat. Ist für den Käufer ohne weiteres erkennbar, dass ein Mitglied des Projektteams Auskünfte zu einem Bereich erteilt, für den er für den Käufer ersichtlich nicht zuständig ist, soll im Einzelfall eine Zurechnung nach § 242 BGB entfallen können.670 Stringenter dürfte es sein und auf der Linie der Rechtsprechung liegen, die Frage für jedes Mitglied des Projektteams im Einzelfall anhand der oben dargestellten Kriterien zu überprüfen.671 Das mag dazu führen, dass im Regelfall Mitglieder des Projektteams Erfüllungsgehilfen des Verkäufers sind. Fehlt es aber am inneren Zusammenhang oder an der Pflichtennähe, was für den Käufer regelmäßig erkennbar sein sollte, scheidet eine Zurechnung nach § 278 BGB aus. Je erkennbarer dies für den Käufer ist, umso weniger schutzbedürftig ist er.672 Eines Rückgriffs auf § 242 BGB bedarf es nicht. Neben Mitarbeitern aus dem Unternehmen des Verkäufers kommen beauftragte externe Investmentbanker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte oder andere externe Berater als Erfüllungsgehilfen in Betracht.673 Auch bei ihnen dürfte eine pauschale Zurechnung als Erfüllungsgehilfe zu weit gehen. Vielmehr sind auch bei ihnen die oben dargestellten Kriterien im Einzelfall zu prüfen. Erteilen sie, für den Käufer erkennbar, außerhalb der ihnen zugewiesenen Pflichtenkreise (konkret: der ihnen zugewiesenen Verhandlungs- oder Aufklärungshilfe) Auskünfte oder Informationen, kann im Einzelfall eine Zurechnung ausscheiden.674 Auch hier gilt: Je erkennbarer dies für den Käufer ist, umso weniger schutzbedürftig ist er.675
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Setzt der Verkäufer LegalTech ein, um etwa im Rahmen einer Vendor’s Due Diligence Informationen aus einer Vielzahl ähnlicher Verträge zu ziehen, und werden dabei fehlerhafte oder unvollständige Informationen ausgeworfen,676 stellt sich nach dem derzeitigen Stand der Technik noch keine Frage der Zurechnung,677 sondern eines Eigenverschuldens. Denn derzeit werden solche Programme noch nicht so eingesetzt, dass ihre Ergebnisse völlig autonom verwendet werden. Sie sind entweder auf ein noch relativ enges Zusammenwirken mit ihren Nutzern angewiesen, die in einem iterativen Prozess in jedem neuen Anwendungsfall Vorgaben für die Informationskriterien vorgeben (so etwa bei der Nutzung von Kira678). Dort, wo umgekehrt die Suchkriterien bereits vollständig vorgegeben werden (etwa bei der Nutzung von Leverton679), wird der Nutzer dennoch regelmäßig eine manuelle Nachprüfung durchführen, bevor er die Ergebnisse verwendet.680 Daher kommt bei einem Einsatz von LegalTech-Tools derzeit nur Eigenverschulden des Programmierers oder des Nutzers in Betracht.681
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Umstritten ist, unter welchen Voraussetzungen bei einem Share Deal Organmitglieder, Mitarbeiter oder Berater der Zielgesellschaft, die nicht in die Verhandlungen eingebunden sind, sondern insbesondere Informationsanfragen ihres Gesellschafters (= Verkäufers) beantworten, Erfüllungsgehilfen (und nicht bloße Auskunftspersonen682) sind. Von der Beantwortung dieser Frage hängt es insbesondere ab, ob Falschangaben des Verkäufers, die auf Fehlern oder Täuschungen des Managements der Zielgesellschaft basieren, dem Verkäufer zugerechnet werden oder nicht. Solche Informationsanfragen sind bei einem Share Deal regelmäßig in großem Umfang notwendig. Denn selbst bei gut integrierten Konzerngesellschaften ist der Informationsvorsprung des Verkäufers gegenüber dem Käufer oft nur gering.683 Der Verkäufer ist daher regelmäßig in großem Umfang auf Informationen und Unterstützung des Managements der Zielgesellschaft angewiesen. Dies gilt bis zum Vertragsschluss für die Erstellung des Informationsmemorandums, die Durchführung einer Vendor’s Due Diligence, die Erstellung daraus abgeleiteter Berichte oder Fact Books, die Managementpräsentation (Management Presentation), den vorvertraglichen Auskunftsprozess (Q&A-Process), Expertengespräche (Expert Sessions), die Prüfung der Vollständigkeit und Richtigkeit des im Erstentwurf angebotenen und später verhandelten Garantiekatalogs und die Erstellung der Anlagen (Disclosure Schedules). Der Verkäufer muss nicht selten die gesellschafts- und konzernrechtlichen Voraussetzungen beachten, um an die für den Verkaufsprozess relevanten Informationen zu kommen und sich der Unterstützung der Zielgesellschaft zu versichern. Dabei mögen die Organmitglieder der Zielgesellschaft mehr oder weniger kooperativ sein.684 Ihre Loyalität gegenüber dem Verkäufer mag sukzessive schwinden.685
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Das OLG Düsseldorf nimmt an, dass es sich bei Geschäftsführern und Mitarbeitern der Zielgesellschaft regelmäßig um Erfüllungsgehilfen handele.686 Das KG Berlin hat 1995 umgekehrt entschieden, die Einbeziehung des Geschäftsführers der Zielgesellschaft für Auskünfte an den Kaufinteressenten reiche nicht aus, wenn er nicht in die Verhandlungen eingebunden sei.687 Eine beachtliche Meinung im Schrifttum bejaht die Erfüllungsgehilfeneigenschaft grundsätzlich.688 Andere bejahen sie dann, wenn die oben dargestellten allgemeinen Kriterien des § 278 BGB aufgrund der Umstände des Einzelfalls, also insbesondere der Art und des Grades der Einbeziehung, dafür sprechen.689 Schließlich lehnen es einige Autoren grundsätzlich ab, sie als Erfüllungsgehilfen anzusehen,690 oder gehen von einer Vermutung aus, dass es sich lediglich um Auskunftspersonen handelt.691
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Richtig dürfte auch hier sein, die Eigenschaft als Erfüllungsgehilfe und nicht bloßer Auskunftsperson in jedem Einzelfall nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen. Macht der Verkäufer, wenn er etwa für ein Informationsmemorandum, die Due Diligence oder den vorvertraglichen Auskunftsprozess Anfragen stellt oder weiterleitet, lediglich von seinem Auskunftsanspruch nach § 51a GmbH Gebrauch und hat daher den Willen, die Geschäftsführung und Mitarbeiter der Zielgesellschaft lediglich als Auskunftspersonen zu „nutzen“, scheidet eine Anwendung des § 278 BGB aus. Bezieht er die Geschäftsführung der Zielgesellschaft in die Managementpräsentation oder Mitarbeiter der Zielgesellschaft in Expertengespräche ein, kommt es auf die Art der Einführung der Geschäftsführung und Mitarbeiter gegenüber dem Kaufinteressenten an: Will der Verkäufer, dass sie ihn dabei unterstützen, in den Expertengesprächen Aufklärungspflichten gegenüber dem Käufer zu erfüllen, können sie Erfüllungsgehilfen sein. Möchte er, wie zumeist, lediglich, dass die Mitarbeiter ohne den Umweg über den Verkäufer direkt mit dem Käufer sprechen und ihm die Auskünfte geben, die sie sonst (im Dreieck) zunächst dem Verkäufer erteilt hätten, sind sie keine Erfüllungsgehilfen.692 Deshalb ist einem Verkäufer zu raten, klar gegenüber Geschäftsführung und Mitarbeitern zu kommunizieren, welche Rolle sie haben sollen. Zudem sollte der Verkäufer dann, wenn Geschäftsführung und Mitarbeiter unmittelbaren Kontakt zum Käufer haben, auch gegenüber dem Käufer deutlich machen, dass es sich lediglich um Auskunftspersonen handelt, für deren Auskünfte er nicht haftet. Im Übrigen werden die Informationen oder Auskünfte, die die Geschäftsführung und Mitarbeiter dem Verkäufer oder, etwa bei Managementpräsentationen oder Expertengesprächen, direkt dem Käufer zur Verfügung stellen, nicht etwa in Erfüllung einer Aufklärungspflicht des Verkäufers erteilt, sondern in der vom Interesse an einem erfolgreichen Transaktionsprozess erfolgenden freiwilligen Erfüllung des heute in der M&A-Praxis erwarteten hohen Informationsniveaus erteilt.693
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Für die Beratungspraxis wird man wegen der unklaren Rechtslage dennoch in Betracht ziehen müssen, dass ein Gericht die Geschäftsführung und Mitarbeiter der Zielgesellschaft im Streitfall als Erfüllungsgehilfen ansieht.
(f) Vertragsklauseln zur Zurechnung
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Die