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Dem 4. Strafsenat des BGH waren sodann, vergröbert gesprochen, zwei Aspekte wichtig: Zum einen sollte derartiges nicht im Hinterzimmer unter Ausschluss der Öffentlichkeit und womöglich sogar unter Ausschluss anderer Verfahrensbeteiligter stattfinden. Zum anderen sollte der Angeklagte, der sich auf solche Äußerungen des Gerichts einrichtete, davor geschützt werden, dass man ihn im Anschluss trotz des abgelegten Geständnisses schärfer bestraft, als man vorher angekündigt hatte. Ersteres wurde auch im Schrifttum vielfach akzeptiert: Dagegen, dass solche Gespräche, wenn überhaupt, jedenfalls öffentlich und unter Mitwirkung aller Beteiligter stattfinden (und sich sinnvollerweise auch im Protokoll der Hauptverhandlung wiederfinden), konnte man nicht sehr viel sagen. Der Zorn der Wissenschaft entzündete sich vor allem an dem zuletzt genannten Gesichtspunkt: Eine sogenannte „Bindungswirkung“ einer Urteilsabsprache sollte es unter keinen Umständen geben, weil über einen Schuldspruch nicht verhandelt werden könne. Ob diese Kritik, die inhaltlich darauf hinausläuft, dass der Angeklagte keine Möglichkeit haben soll, das Gericht an seinen eigenen Ankündigungen festzuhalten, inhaltlich sonderlich überzeugend ist, soll hier dahinstehen. Zu konstatieren ist jedenfalls, dass die Diskussion sich mit der Zeit sehr stark hiervon weg und schlicht zu einer Konzentration auf die Problematik der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung hin entwickelte: Viele Kritiker meinten, es könne ja vielleicht alles so geregelt werden, wie der BGH es beschlossen habe, dies müsse aber im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Kompetenzverteilung der Gesetzgeber entscheiden. Auch der BGH selbst hat schließlich im Jahr 2005 in einer Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen, in der es um die stets problematisch gebliebene Frage der Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen abgesprochene Urteile ging, ausgesprochen, er sehe sich nun an der Grenze dessen, was er in puncto Rechtsfortbildung leisten könne.[42] Untermauert wurde diese Kritik vielfach von dem – sicher zutreffenden, davon wird in diesem Werk noch mehrfach die Rede sein – Hinweis, dass die Praxis sich in vielen Fällen an die Regeln, die der BGH vorgegeben hatte, schlicht nicht hielt, und dass die Autorität des Gesetzes mithin erforderlich sei, um wenigstens den Rahmen, den das Gericht der Urteilsabsprache hatte geben wollen, in der Praxis durchzusetzen.
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In unmittelbarerer zeitlicher Folge und wohl auch in kausalem Zusammenhang mit der Entscheidung des Großen Senats wurde die Politik und wurden auch Verbände und berufsständische Organisationen aktiv. So lagen schließlich aus dem Zeitraum Frühjahr 2006 bis Frühjahr 2009 Gesetzentwürfe des Landes Niedersachsen, der Bundesrechtsanwaltskammer, des Deutschen Anwaltsvereins und des Bundesrats, der Bundesregierung und der Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und SPD sowie sogenannte „Eckpunkte“ der Generalbundesanwältin und Generalstaatsanwälte aus dem Jahr 2005 und eine Reihe Entwürfe einzelner Autoren, wie etwa Wagner, Nack, Meyer-Goßner oder Niemöller vor[43]. Was schließlich Gesetz wurde, basiert im Wesentlichen auf dem Regierungsentwurf, allerdings mit zwei Änderungen, von denen eine schon an dieser Stelle erwähnt sei: Nach einer Sachverständigenanhörung am 25.3.2009 wurde der neue § 302 Abs. 1 Satz 2 eingeführt, der den Rechtsmittelverzicht nach abgesprochenen Urteilen generell für unwirksam erklärt. Am 28.5.2009 bzw. 10.7.2009 wurde das Gesetz dann von Bundestag und Bundesrat in der Form, in der es am 4.8.2009 in Kraft trat, akzeptiert.
2. Die „großen Linien“ der Reform
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Bei der Durchsicht der Gesetzesänderung fällt vor allem auf, dass es sich in keiner Beziehung um einen großen Wurf, sondern von vornherein um eine „kleine Lösung“ handelt (und wohl auch handeln sollte). Dies wird im Schrifttum auch vielfach hervorgehoben und ist im Vorfeld der Gesetzgebung wie auch seit Inkrafttreten des Gesetzes häufig kritisiert worden. So habe der Gesetzgeber von denjenigen Problemen, die den Großen Senat für Strafsachen beschäftigt bzw. deren Lösung er angemahnt hatte, nur einen Teil geregelt.[44] Dass diese Kritik nicht treffend ist, zeigt der folgende, kurze Überblick über die gesetzlichen Regelungen.
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Herzstück des Gesetzes, das fünf Paragraphen (§§ 160b, 202a, 212, 257b und 257c) eingeführt hat, ist die neue Vorschrift des § 257c. Hier wird im Prinzip die altbekannte Absprache „Geständnis gegen Strafmilderung“ erstmals positiv geregelt. Der Gesetzgeber hat dabei den dogmatischen Ansatzpunkt des BGH übernommen, indem § 257c Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich bestimmt, dass die Amtsaufklärungspflicht unberührt bleibt. Worum es geht, ist also lediglich das Recht des Gerichts, für ein glaubhaftes Geständnis eine Strafmilderung in Aussicht zu stellen und vor allem um die Absicherung des hierauf gegründeten Vertrauens des Angeklagten.
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Überblick über die Regelung des § 257c
– | Die möglichen Gegenstände der Verständigung finden sich in etwa dieser Weise in § 257c Abs. 2. |
– | § 257c Abs. 3 regelt, wie die Verständigung im Einzelnen nach der Vorstellung des Gesetzgebers zustande kommen soll. |
– | § 257c Abs. 4 spricht von der „Bindung des Gerichts an eine Verständigung“. Hier wird also die Frage behandelt, was geschieht, wenn das Gericht eine andere Strafe verhängen will, als diejenige, die es vorher angekündigt hat. Der Gesetzgeber hat dabei immerhin in § 257c Abs. 4 Satz 3 ein Beweisverwertungsverbot für das im Vertrauen auf die Absprache abgegebene Geständnis vorgesehen. Hierzu hatte sich der BGH bis zuletzt nicht durchringen können.[45] |
– | Ebenfalls geklärt wurde die Problematik des Rechtsmittelverzichts: In § 302 Abs. 1 Satz 2 n. F. ist der Rechtsmittelverzicht, der nach einem abgesprochenen Urteil erklärt wird, schlicht wirkungslos, worüber nach § 35a Satz 3 zu belehren ist. Die Problematik war vor 2009 nie in klarer und befriedigender Weise gelöst worden. Einigkeit hatte immer bestanden, dass ein Rechtsmittelverzicht nicht abgesprochen werden kann. Andererseits ist jedem Praktiker seit jeher bekannt, dass insbesondere die Strafgerichte auf die Rechtskraft des abgesprochenen Urteils erheblichen Wert legen; sie werden zur Urteilsabsprache vielfach nur durch diese Aussicht motiviert. |
Den Weg aus diesem Dilemma hatte der Große Senat für Strafsachen in einer qualifizierten Belehrung über die Möglichkeit des Rechtsmittelverzichts trotz Urteilsabsprache gesucht, aber selbstverständlich nicht gefunden, weil sich an der Praxis des abgesprochenen Rechtsmittelverzicht so, wie auf der Hand liegen dürfte, nichts ändern konnte. Die Lösung, die der Gesetzgeber nun gefunden hat, schiebt jedenfalls dieser Praxis einen Riegel vor, weil kein Angeklagter durch die Urteilsabsprache gehindert ist, Rechtsmittel einzulegen, und weil er hierüber auch belehrt werden muss. Ob man diese Regelung nun befürwortet oder nicht, so hat sie jedenfalls für Klarheit gesorgt.
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Die übrigen Vorschriften seien an dieser Stelle nur knapp erwähnt. Der Gesetzgeber hat eine Reihe von Regeln über das Verfahren bei der Urteilsabsprache vorgesehen, die im Prinzip der Rechtsprechung des BGH entsprechen:
Weitere Vorschriften des VerstG (Auswahl)
– | So muss die Verständigung protokolliert werden, § 273 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1a. |
– | Die Verständigung muss in der Hauptverhandlung offengelegt werden, § 243 Abs. 4, und diejenigen Gespräche, die ihr vorangehen, sind ausdrücklich „zwischen den Verfahrensbeteiligten“ zu führen und aktenkundig zu machen (§§ 160b, 202a, 212, 257b). |