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Eine bunte Palette direkt-demokratischer Instrumente besteht in unterschiedlich weitem Umfang und gekoppelt an unterschiedlich strenge Voraussetzungen sowohl mit Blick auf Verfassungsänderungen als auch auf Volksgesetzgebung auf der Ebene des Landesverfassungsrechts.[460] Die Länder halten sich damit auch im Rahmen des Homogenitätsgebots (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG), solange sie sich auf die Wahrnehmung ihrer eigenen Kompetenzen beschränken.[461]
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Eine große Rolle spielen plebiszitäre Instrumente auf der kommunalen Ebene. In zahlreichen Gemeindeordnungen bestehen hierzu umfangreiche Regelungen,[462] die sich gleichfalls innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens (Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG) halten. Kernelement ist dabei das auf die Herbeiführung eines Bürgerentscheids gerichtete Bürgerbegehren[463], das den Gemeindebürgern wichtige Spielräume der politischen Gestaltung ihrer örtlichen Lebensverhältnisse („Schule der Demokratie“) eröffnet und damit der grassierenden Politikverdrossenheit entgegenwirkt. Weitere plebiszitäre Elemente auf lokaler Ebene sind die Bürgerversammlung[464], der Bürgerantrag und die konsultative Bürgerbefragung.[465]
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Nicht zu den plebiszitären Instrumenten im rechtlichen Sinne, aber in deren thematisch-funktionalen Kontext gehören die vielfältigen Rechte bürgerschaftlicher Beteiligung (Partizipation). Sie reichen von informellen Maßnahmen wie bloßen Beschwerden als Ausprägung des – auch gegenüber der Gemeinde oder dem Landkreis bestehenden – Petitionsrechts (Art. 17 GG)[466] bis hin zum Zusammenschluss von Bürgern und Vereinigungen zu Bürgerinitiativen in Ausübung des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG). Auch andere Kommunikationsgrundrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) oder die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) können mit Blick auf kommunalpolitische Anliegen aktiviert werden.
b) Öffentlichkeit
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Die Öffentlichkeit des Verwaltungshandelns ist für sich gesehen kein Instrument, unmittelbar Verwaltungshandeln zu legitimieren. Eine lediglich kraft Betroffenheit situativ entstehende Öffentlichkeit ist von vornherein kein taugliches Legitimationssubjekt („Volk“ im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG). Öffentlichkeit kann aber Transparenz herstellen und hierdurch die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung insgesamt unterstützen.[467] Die Öffentlichkeit erfüllt hierbei Kontrollfunktionen,[468] die ihrerseits den rechtmäßigen und effektiven Gesetzesvollzug stabilisieren, was wiederum die Wirksamkeit demokratisch gesetzten Rechts befördert. Insoweit kommt der Öffentlichkeit also eine mittelbare demokratische Gewährleistungsfunktion zu.[469]
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Besonderen Ausdruck findet dies in – teilweise erst durch unionsrechtliche Impulse veranlassten[470] oder jedenfalls erweiterten – Instituten wie der umfänglichen, auch der Repräsentationsergänzung dienenden[471], Öffentlichkeitsbeteiligung in komplexen Verwaltungsverfahren (z.B. § 73 VwVfG, § 3 BauGB, §§ 9, 14i UVPG, § 10 Abs. 3 BImSchG, § 17a FStrG)[472], dem Anspruch auf Akteneinsicht (§ 29 VwVfG) und den verselbständigten Informationszugangsansprüchen (§ 1 IFG, § 3 UIG, Landesinformationsfreiheitsgesetze)[473]. An einer (bundes-)verfassungsrechtlichen Verbürgung dieser Rechte fehlt es im Unterschied zu Frankreich[474] in Deutschland jedoch; lediglich einzelne Landesverfassungen kennen entsprechende Regelungen.
c) Funktionale Selbstverwaltung als Betroffenenbeteiligung
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Funktionale Selbstverwaltungsträger beziehen ihre Legitimation zum einen aus dem Parlamentsgesetz, das die Aufgaben überträgt, zum anderen von den Betroffenen als dem personalen Substrat des Selbstverwaltungsträgers.[475] Etwa die Hochschulselbstverwaltung beruht auf einer wissenschaftlich-autonomen Legitimation (Art. 5 Abs. 3 GG).[476] Jenseits grundrechtlicher Selbstverwaltung ist die erforderliche Dichte (personeller wie materieller) demokratischer Legitimation umstritten.[477] Die Rechtsprechung hat hier erhebliche Abstriche gebilligt, soweit insgesamt ein hinreichendes Legitimationsniveau verbleibt[478] und die Verselbständigung der Wirksamkeit demokratischen Rechts dient.[479]
a) Gesetzmäßigkeitsprinzip
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Unionsrecht ist von Verwaltung und Gerichten zu beachtendes Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) und genießt Anwendungsvorrang (nicht Geltungsvorrang) vor dem gesamten nationalen Recht, das Verfassungsrecht eingeschlossen.[480] Grundsätzlich folgt hieraus die Pflicht, das nationale Recht zur Vermeidung von Konflikten unionsrechtskonform auszulegen.[481] Ergibt sich im Einzelfall ein hierdurch nicht auflösbarer Konflikt zwischen nationalem Recht und Unionssrecht, so ist der Vorrang des Unionsrechts gegebenenfalls dadurch sicherzustellen, dass nationales Recht inzident verworfen wird und damit unangewendet bleibt. Jedenfalls deutsche Gerichte haben daher ein Prüfungs- und Verwerfungsrecht,[482] nach zutreffender Ansicht gleichermaßen aber auch Verwaltungsbehörden, jedenfalls bei manifesten Unionsrechtsverstößen.[483]
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Punktuell soll das Unionsrecht sogar zu Modifikationen beim Vorbehalt des Gesetzes bzw. bei der Lehre von der Verwaltungsaktsbefugnis berechtigen. So ist es zwar nach deutschem Recht unzulässig, eine vertraglich gewährte Leistung ohne besondere Rechtsgrundlage durch Verwaltungsakt zurückzufordern. Die effektive Durchsetzung der Wettbewerbsregeln des Unionsrechts könne es jedoch gebieten, hiervon unter Berufung auf Art. 14 Abs. 3 Beihilfenverfahrensverordnung[484] und Art. 288 Abs. 2 AEUV eine Ausnahme zuzulassen, da ansonsten eine Verschleppung der (beschleunigt durchzuführenden)[485] Subventionsrückforderung einträte.[486]
b) Parlamentarische Einbindung im Mehrebenensystem
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Unter den Vorzeichen der Europäisierung und Internationalisierung erfolgt die parlamentarische Kontrolle im Mehrebenensystem immer weniger nachgängig-repressiv und stattdessen immer stärker dirigierend, begleitend und mitwirkend (vgl. für die EU-Ebene: Art. 23 Abs. 2 und 3 GG in Verbindung mit dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union[487]).[488] Um die parlamentarische Steuerung in einem komplexen Geflecht überstaatlicher Regelungs- und Entscheidungszusammenhänge zu wahren, kommt es entscheidend darauf an, einerseits die Möglichkeiten parlamentarischer Einflussnahme, vor allem die Kontrollstrukturen, zu verbessern, aber auch die Verwaltungsgesetze an den Bedürfnissen eines transnationalen Verwaltungsrechts auszurichten.[489]
c) Verbundaufsicht
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Im Europäischen Verwaltungsverbund verwirklichen sich, wie insbesondere das Beihilfen-, Kartell-, Agrar- und Strukturfondsrecht zeigen, in immer stärkerem Maße auch europäisierte Aufsichts- bzw. Verwaltungskontrollstrukturen, deren Mittel, Verfahren und Maßstäbe eingehend untersucht und unter dem Begriff der „Verbundaufsicht“ systematisierend zusammengeführt wurden.[490] Die Verbundaufsicht schließt im Einzelfall sogar die Befugnis der Kommission zur Erteilung von Einzelweisungen bzw. zur Vornahme weisungsähnlicher Handlungen gegenüber den Mitgliedstaaten ein.[491]
d) Europäische Öffentlichkeit
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