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Vor allem in den 1990er-Jahren wurde das Haushaltsrecht in Deutschland im Zuge der Einführung des Neuen Steuerungsmodells (erneuten) Reformen unterworfen.[426] Nach § 6a HGrG können Einnahmen und Ausgaben nunmehr haushaltsmäßig im Rahmen eines „Systems der dezentralen Verantwortung“ veranschlagt werden, was zur Steigerung des Kostenbewusstseins in der Verwaltung beiträgt.[427] Überdies wurde das tradierte kameralistische Haushaltsrecht als verkrustet, bürokratisch und durch seine strikte Titelbindung unzureichend angesehen, Impulse zu wirtschaftlichem Handeln[428] in der Verwaltung freizusetzen. Das reformierte Haushaltsrecht ist daher durch Lockerungen der Haushaltsbindung der Verwaltung, insbesondere durch Eröffnung gegenseitiger Deckungsfähigkeit und Übertragbarkeit, flexibilisiert worden.[429] Auch die Organisation des Haushaltsvollzugs wurde grundlegend reformiert (Budgetierung, Dezentralisierung, Globalisierung, Zielvereinbarungen, Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling, Personalmanagement).[430] Sowohl der Haushaltsvollzug als auch die Finanzkontrolle haben hierdurch einen signifikanten Wandel erfahren.[431]
aa) Parlamentarische Verantwortlichkeit
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In seiner weitesten Bedeutung steht der Begriff der parlamentarischen Verantwortlichkeit als Oberbegriff für das Bündel von Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten, die das Recht gegenüber der vollziehenden Gewalt im Einzelnen vorsieht.[432] Dazu gehören die Möglichkeit, den Bundeskanzler mittels eines konstruktiven Misstrauensvotums durch einen neuen Bundeskanzler zu ersetzen (Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG), das Zitierrecht (Art. 43 GG), das Recht auf aktuelle Stunden (§ 106 GOBT), das Recht zu kleinen und großen Anfragen (§§ 100ff., 104 GOBT)[433], die Einsetzung eines Wehrbeauftragten (Art. 43b GG)[434] und das Recht zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen (Art. 44 GG)[435]. Darüber hinaus mag man zur Verantwortlichkeit der Regierung auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Regierungsmitglieder für die während ihrer Amtszeit begangenen Straftaten zählen.
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Enger verstanden bedeutet parlamentarische Verantwortlichkeit nur die in Art. 65 GG niedergelegte Pflicht des Bundeskanzlers, der Bundesminister (streitig)[436] und der Bundesregierung[437], dem Parlament über ihre Politik Rechenschaft abzulegen und Fragen zu beantworten. Es handelt sich dabei um eine rein prozedurale Verantwortung, denn sie verpflichtet die Regierung nicht dazu, in ihrem Handeln inhaltlich den Erwartungen des Parlaments zu entsprechen. Die Regierung erfüllt ihre Verantwortung bereits dann, wenn sie dem Parlament Rede und Antwort steht. Das Grundgesetz hofft freilich auf materielle Responsivität[438] der Regierungspolitik als mittelbare Folge der verfahrensrechtlichen Regelung.
bb) Staatsaufsicht
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Die Staatsaufsicht nimmt aus Gründen des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips eine Schlüsselfunktion im Bereich des staatlichen Kontrolltableaus ein,[439] auch wenn dies bei verfassungsrechtlicher Rechtfertigung sogenannte ministerialfreie Räume nicht grundsätzlich ausschließt.[440] Staatsaufsicht im Rechtssinne ist diejenige Tätigkeit des Staates, die innerhalb der dezentralisierten Verwaltungsorganisation das Verhalten eines verselbständigten Verwaltungsträgers auf seine Vereinbarkeit mit einem bestimmten, staatlicherseits vorgegebenen Richtmaß überprüft und im Falle einer festgestellten Abweichung entsprechend berichtigt.[441] Staatsaufsicht findet daher gegenüber Selbstverwaltungsträgern statt.[442] Sie beschränkt sich nicht von vornherein auf einen bestimmten Aufsichtsmaßstab, Aufsicht über die Erfüllung der eigenen (Selbstverwaltungs-)Angelegenheiten des ausgegliederten Verwaltungsträgers ist aber grundsätzlich reine Rechtsaufsicht. Bei der Fach- bzw. Sonderaufsicht, also der Aufsicht über die Erfüllung der im Auftrag oder nach Weisung des Staates wahrgenommenen Aufgaben, wird demgegenüber auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns kontrolliert.[443]
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Hinsichtlich der Aufsichtsmittel ist – je nach gesetzlicher Ausgestaltung – zwischen präventiven[444] und repressiven[445] Instrumenten zu unterscheiden.[446] Jedes Eingreifen der Aufsichtsbehörde ist von einer gesetzlichen Grundlage abhängig (Art. 20 Abs. 3 GG),[447] wobei das Einschreiten in der Regel im Ermessen der Aufsichtsbehörde steht (Opportunitätsprinzip).[448] Die allgemeine Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Selbstverwaltungsträger verdichtet sich besonders dort, wo Selbstverwaltung grundrechtliche Wurzeln hat (Rundfunk, Wissenschaft). Hier kann und muss gegebenenfalls eine Rücknahme der Intensität, wenn auch kein gänzlicher Verzicht auf Staatsaufsicht erfolgen,[449] etwa im Sinne des Grundsatzes hochschulfreundlichen Verhaltens[450].
d) Personelle Legitimation
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Die personelle demokratische Legitimation der Verwaltung wird über die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament hergestellt. Über die insoweit demokratisch legitimierte Exekutivspitze wird die Legitimation dadurch weitergegeben, dass (1) eine ununterbrochene Weisungskette vom jeweiligen Ressortminister zum entscheidenden Amtswalter besteht und (2) die einzelnen Amtswalter, die legitimationsbedürftige Hoheitsgewalt ausüben, zudem von einem seinerseits legitimierten Beamten ernannt worden sind (Modell der Legitimationskette).[451] Eine Unterbrechung der Legitimationskette ist nur in besonders zu begründenden Ausnahmefällen zulässig, namentlich in Sonderbereichen ministerialfreier Verwaltung (z.B. Bundesbank) und im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung, die sich zusätzlich auf autonome Legitimationsstränge stützen kann.
a) Direkte Demokratie und bürgerschaftliche Beteiligung
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Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG nennt neben den Wahlen auch „Abstimmungen“ als eine Form der Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk, ohne dass zwischen den Formen der repräsentativen (mittelbaren) und der direkten (unmittelbaren) Demokratie ein Vorrang- oder Nachrangverhältnis bestünde. Gleichwohl kennt das Grundgesetz de constitutione lata keine Beispiele für „Abstimmungen“. Die in diesem Zusammenhang häufig genannten Territorialplebiszite der Art. 29, 118, 118a GG stellen richtigerweise ebenso wenig einen Anwendungsfall von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG dar wie die in Art. 28 Abs. 1 Satz 4 GG geregelte Möglichkeit von „Gemeindeversammlungen“[452], von der die Kommunalordnungen der Länder ohnehin keinen Gebrauch mehr machen.[453] Das Grundgesetz ist damit prononciert antiplebiszitär;[454] Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG läuft im Ergebnis weitgehend leer.
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De constitutione ferenda dürften Formen direkt-demokratischer Entscheidung jedoch durch den verfassungsändernden Gesetzgeber (Art. 79 Abs. 2 GG) eingeführt werden.[455] Die (noch) überwiegende Staatsrechtslehre