135
Der Gesetzeswortlaut gibt ausdrücklich vor, dass sich die Pflichtangaben nicht nur auf die Folgen der Verschmelzung für die Arbeitnehmer und deren Vertretungen, sondern darüber hinaus auf die „insoweit vorgesehenen Maßnahmen“ erstrecken. Es wird also eine über die bloße Verschmelzung hinausgehende unternehmerische Planung angesprochen. Die „kleine Lösung“ ist mit dem Gesetzeswortlaut daher kaum zu vereinbaren. Zudem werden in den §§ 322 ff ausdrücklich arbeitsrechtliche Aspekte behandelt, die sich nicht unmittelbar als Folge des gesellschaftsrechtlichen Umwandlungsvorgangs, sondern erst mittelbar aus der im Zuge der Umw beibehaltenen oder geänderten Betriebsstruktur ergeben. Indessen können die Pflichtangaben im Verschmelzungsvertrag nicht die Qualität eines Interessenausgleichs und/oder Sozialplans nach §§ 111 ff BetrVG haben (Willemsen NZA 1996, 791, 797; Willemsen in Kallmeyer, § 5 Rn 51). Die Pflichten aus § 5 Abs 1 Nr 9 stehen neben den betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechten der Betriebsräte. Das Gesetz verlangt weder eine doppelspurige noch eine in den Umwandlungsvorgang vorverlagerte Beteiligung der Betriebsräte. Gesetzeskonform und sachgerecht ist daher eine „vermittelnde Lösung“ (Willemsen in Kallmeyer § 5 Rn. 51; Langner in Schmitt/Hörtnagel/Stratz, § 5 Rn 89 ff; Hohenstatt/Schramm in KölnKomm, § 5 Rn 144; Mengel S 339 ff; Blechmann NZA 2005, 1143, 1146). Der Funktion der Pflichtangaben als „Frühwarnsystem“ für die Betriebsverfassungsorgane wird hinreichend Rechnung getragen, wenn im Verschmelzungsvertrag die wesentlichen individual- und kollektivarbeits- sowie mitbestimmungsrechtlichen Weichenstellungen skizziert werden, die sich aus einer konkreten, mit der Umw im direkten zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden unternehmerischen Planung ergeben (insbes im Hinblick auf Betriebsänderungen wie zB Betriebszusammenführungen, -verlagerungen, -schließungen und Personalabbau). Der Umfang der Pflichtangaben wird somit durch den im Zeitpunkt der Zuleitung nach § 5 Abs 3 erreichten Stand der unternehmerischen Planung begrenzt. Die „Abwicklung im Detail“ erfolgt im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsverfahren. Haben die Betriebspartner anlässlich einer konkret geplanten Betriebsänderung bereits einen Interessensausgleich vereinbart, kann im Verschmelzungsvertrag oder dessen Entwurf auf den Interessenausgleich verwiesen werden. Hinsichtlich noch nicht konkret geplanter Maßnahmen kann – überobligatorisch – im Verschmelzungsvertrag auf mögliche Veränderungen (zB Synergieeffekte durch Zusammenführung von Verwaltungsabteilungen) hingewiesen werden (Willemsen in Kallmeyer § 5 Rn. 51).
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Sind sowohl die übertragenden als auch der übernehmende Rechtsträger arbeitnehmerlos, entfallen im Regelfall die Pflichtangaben. Es empfiehlt sich, auf das Fehlen von Arbeitnehmern im Vertrag ausdrücklich hinzuweisen. Etwas anderes kann sich ausnahmsweise ergeben, wenn sich auf der Ebene arbeitnehmerloser Holdinggesellschaften Änderungen bzgl eines Konzernbetriebsrats oder mitbestimmten Aufsichtsrats ergeben (Simon in Semler/Stengel, § 5 Rn 93; Hohenstatt/Schramm in KölnKomm, § 5 Rn 209). Die Pflichtangaben entfallen nicht, wenn bei einzelnen oder allen beteiligten Rechtsträgern keine Betriebsräte bestehen. Das Gesetz unterscheidet zwischen den Pflichtangaben und der Zuleitungspflicht nach § 5 Abs 3. Es enthält keinen Hinweis darauf, dass eine Zuleitungspflicht Bedingung für die Pflicht zur Darstellung der arbeitsrechtlichen Folgen ist (Mayer in Widmann/Mayer, § 5 Rn 202; Simon in Semler/Stengel § 5 Rn 93; Müller DB 1997, 713, 716; Pfaff BB 2002, 1604; Hohenstatt/Schramm in KölnKomm, § 5 Rn 209; aA Joost ZIP 1995, 976, 985; LG Stuttgart WiB 1996, 994 für den Fall, dass die Gesellschafter des übertragenden und des übernehmenden Rechtsträgers identisch sind und beide Rechtsträger keinen Betriebsrat haben; LG Stuttgart DNotZ 1996, 701 für den Fall, dass der übertragende Rechtsträger keine Arbeitnehmer beschäftigt und bei keinem beteiligten Rechtsträger ein Betriebsrat besteht).
aa) Übergang der Arbeitsverhältnisse
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Im Verschmelzungsvertrag ist zunächst darzustellen, dass alle Arbeitsverhältnisse des übertragenden Rechtsträgers mit allen Rechten und Pflichten gem § 324 iVm § 613a BGB auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen. Abzuraten ist von Formulierungen nach denen die beim übertragenden Rechtsträger erreichten Dienstzeiten als beim übernehmenden Rechtsträger verbrachte Dienstzeiten gelten. Gewährt nämlich der übernehmende Rechtsträger betriebliche Sozialleistungen, die dem Grund und/oder der Höhe nach von der beim übernehmenden Rechtsträger bewiesenen Betriebstreue abhängen, sind Vordienstzeiten beim übertragenden Rechtsträger keineswegs immer anzurechnen. Nach § 613a Abs 1 S 1 BGB werden die individualvertraglichen Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer gewahrt; es werden jedoch keine Beschäftigungszeiten übertragen, mit der Folge, dass die Arbeitnehmer aufgrund der beim neuen Betriebsinhaber geltenden Regelungen automatisch zusätzliche Ansprüche erwerben (BAG 26.9.2007 – 10 AZR 657/06 zu Jubiläumszahlungen; Hohenstatt/Schramm in KölnKomm, § 5 Rn 153). Ist der übertragende Rechtsträger arbeitnehmerlos, ist auf diesen Umstand hinzuweisen. Bei Kettenverschmelzungen (die X-GmbH wird auf die Y-GmbH verschmolzen, die Y-GmbH wird sodann in einer „juristischen Sekunde“ auf die Z-GmbH verschmolzen) ist bereits im ersten Verschmelzungsvertrag anzugeben, dass die Arbeitsverhältnisse iE auf den übernehmenden Rechtsträger am Ende der Kette (Z-GmbH) übergehen. Im Hinblick darauf, dass die „zwischengeschaltete“ Y-GmbH zu keiner Zeit betriebliche Leitungsmacht ausübt, dürfte es ohnehin richtig sein, einen direkten Betriebsübergang und damit auch einen direkten Übergang der Arbeitsverhältnisse von der X-GmbH auf die Z-GmbH anzunehmen (offen gelassen bei Hohenstatt/Schramm in KölnKomm, § 5 Rn 207).
bb) Widerspruchsrecht
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Mit Eintragung der Verschmelzung in das Register des übernehmenden Rechtsträgers erlischt der übertragende Rechtsträger (§ 20 Abs 1 Nr 2). Ein Widerspruch ginge ins Leere. Wegen der durch Art 2 Abs 1 und Art 12 Abs 1 GG gewährleisteten Vertrags- und Berufsfreiheit haben die Arbeitnehmer in diesem Fall kein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs 6 BGB, sondern ein Recht zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs 2 BGB beginnt ab Kenntnis des einzelnen Arbeitnehmers von der Eintragung der zum Erlöschen des bisherigen Arbeitgebers führenden Umwandlung (BAG NZA 2008, 815, 818).
cc) Übergang von Versorgungsanwartschaften
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Die Versorgungsanwartschaften aktiver Arbeitnehmer gehen gem § 613a BGB iVm § 324, die Versorgungsanwartschaften oder -ansprüche