II. Akte von Verbänden und juristischen Personen
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Das deutsche Recht kennt keine Verbandsstrafbarkeit, weil Verbände (auch „juristische Personen“) dem auf Menschen zugeschnittenen Begriff der „Persönlichkeit“ nicht unterfallen. Insofern hat der hier befürwortete Handlungsbegriff strafrechtlich weittragende Folgen.
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Freilich ist es Gegenstand einer lebhaften Reformdiskussion, ob in Deutschland nach dem Vorbild vieler anderer Länder eine Verbandsstrafbarkeit eingeführt werden sollte. Möglich ist das nur, wenn man dem Verband ggf. das Handeln seiner Organe als eigene Handlung zurechnet. Da auf diese Weise keine eigene Verbands„handlung“ entsteht und ein Verband auch nicht nach Art menschlicher Personen schuldig und bestraft werden kann, würde man besser von Verbandssanktionen sprechen, wie sie das geltende Recht im Bereich der Ordnungswidrigkeiten bereits kennt (§ 30 OWiG).
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Aber wie dem auch sei: Das Handeln der Organe, das ggf. die Sanktion auslöst, unterliegt jedenfalls dem allgemeinen Handlungsbegriff. Daher kann auf eine nähere Erörterung der kriminalpolitischen Problematik im vorliegenden Zusammenhang verzichtet werden.[73]
III. Wirkungen bloßer Körperlichkeit oder körperlicher Handlungsunfähigkeit
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Keine Handlung liegt vor, wo der menschliche Körper „nur als mechanische Masse wirkt“[74], ohne dass Geist und Psyche in irgendeiner Weise beteiligt sind oder in das Geschehen einzugreifen Gelegenheit haben. Wer gewaltsam in eine Fensterscheibe gestoßen oder aus dem Fenster geworfen wird und dadurch Schaden anrichtet, hat ebenso wenig gehandelt wie derjenige, dessen Arm durch die Einwirkung der vis absoluta von Seiten eines Dritten einen tödlichen Stich herbeiführt.
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Dagegen beeinträchtigt eine vis compulsiva, also eine erzwungene, aber durch den Willen des unmittelbar Handelnden vermittelte Verursachung, die Handlungsqualität nicht. Wenn A den B mit vorgehaltener Pistole zu einer Urkundenfälschung nötigt (§ 267 StGB), so ist das eine durch die Todesdrohung motivierte Persönlichkeitsäußerung des B. Er handelt tatbestandsmäßig und rechtswidrig, auch wenn er strafrechtlich nicht verantwortlich gemacht wird (§ 35 StGB).
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Das gilt mutadis mutandis auch für Unterlassungen. Hier schließt schon die physische Aktionsunmöglichkeit eine sonst ggf. in der Untätigkeit liegende Persönlichkeitsäußerung aus, auch wenn das seelisch-geistige Aktionszentrum als solches intakt ist. Der gelähmte oder gefesselte Vater, der einer Tötung seines Sohnes hilflos zusehen muss, hat keine Unterlassungshandlung vorgenommen.
IV. Geschehnisse im Zustand der Bewusstlosigkeit
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Eine Persönlichkeitsäußerung und damit eine Handlung scheidet auch dort aus, wo jemand im Zustand der Bewusstlosigkeit Rechtsgüterbeeinträchtigungen verursacht oder entgegen einem gesetzlichen Gebot nicht abwendet. Das gilt für den vielzitierten Krampfanfall des Epileptikers, für Bewegungen im Schlaf (auch das Schlafwandeln), für Wirkungen, die vom Körper eines Ohnmächtigen ausgehen sowie von den Folgen eines hochgradigen Deliriums oder einer bewusstseinsausschließenden Narkose.
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Dagegen wird man bei Taten, die im Zustand der Hypnose begangen werden, noch von einer Handlung sprechen können. Freilich kommt eine schuldausschließende Bewusstseinsstörung in Betracht (§ 20 StGB). Denn die Taten des Hypnotisierten sind durch psychische Einwirkung vermittelt und umweltangepasst, also psychisch gesteuert. Da eine „Charakterschranke“ bei rechtstreuen Menschen die Ausführung suggerierter Straftaten verhindert, kann man hier noch von einer Persönlichkeitsäußerung sprechen.[75]
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In Fällen der Trunkenheit ist zu differenzieren.[76] Eine Handlung scheidet nur aus, wenn dem Betrunkenen entweder jedes Bewusstsein fehlt und er z.B. in diesem Zustand auf einer abschüssigen Straße herumrollt, oder wenn seine Bewegungen keine Umweltbezogenheit mehr erkennen lassen, so dass er etwa auf die Bahngleise fällt, ohne überhaupt erkannt zu haben, dass er sich auf einem Bahnhof befindet.
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Dagegen ist das Torkeln eines Betrunkenen, der immerhin noch zielgerichtete Bewegungen vornimmt, also z.B. seiner Haustür entgegentaumelt, noch eine Handlung, auch wenn es sich um die Persönlichkeitsäußerung eines Zurechnungsunfähigen oder vermindert Zurechnungsfähigen handeln mag.[77]
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Das AG Kappeln[78] hat sich mit einem Fall befasst, in dem der volltrunkene Angeklagte von seiner Frau nach Hause gefahren wurde. Als der Wagen stehenblieb, veranlasste sie ihren zunächst schlafenden Mann, sich ans Steuer zu setzen, um den Wagen wieder in Gang zu bringen. Das gelang mit der Wirkung, dass der Mann beim Weiterfahren nach 1,5 km einen Unfall verursachte.
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Das AG hat den Mann „mangels Handlung“ freigesprochen, da er nur eine „Marionette“ in der Hand seiner Frau gewesen sei. Hier war jedoch eine Handlung anzunehmen, da der betrunkene Mann immerhin noch bewusst zielgerichtete und koordinierte Bewegungsabläufe vornehmen konnte. Ob er sich später noch daran erinnern konnte, hat auf das Vorliegen einer Handlung keinen Einfluss. Ein Handlungsausschluss in Trunkenheitsfällen ist eine Ausnahme.
V. Reflex- und Schockreaktionen, Automatismen, Affekttaten
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Die bisher behandelten Fälle von Nichthandlungen haben die Rechtsprechung kaum beschäftigt. Der Grund liegt nicht in ihrer Seltenheit, sondern darin, dass beim evidenten Fehlen einer Persönlichkeitsäußerung strafrechtliche Ermittlungen eingestellt oder gar nicht erst aufgenommen werden. Grenzfälle, die Entscheidungen herausfordern, ergeben sich jedoch bei den hier thematisierten körperlichen Spontanreaktionen.
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An einer Handlung fehlt es, wo ein Reflex sich ohne psychische Vermittlung unmittelbar in einen Außenwelterfolg umsetzt: „Jemand zuckt bei Berührung einer elektrischen Leitung zusammen und verletzt dadurch einen anderen.“[79] Anders ist es dagegen, wenn ein Willensimpuls zwischen den äußeren Reiz und die Reaktion des Betroffenen tritt: In einem vom OLG Hamm[80] entschiedenen Fall flog einer Autofahrerin, als sie gerade durch eine Kurve fuhr, plötzlich von draußen ein Insekt gegen das Auge. Sie machte mit der Hand eine „ruckartige Abwehrbewegung“, verlor dadurch die Kontrolle über das Fahrzeug und verursachte einen Zusammenstoß. Hier war eine Handlung zu bejahen. Denn es lag, wenn auch ohne bewusste Reflexion, eine zielgerichtete Abwehrbewegung und damit eine Persönlichkeitsäußerung vor. So hat auch das OLG Hamm entschieden. Reflexbewegungen sind also nur dann keine Handlungen, wenn „die Erregung der motorischen Nerven nicht unter seelischem Einfluss steht“.
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Entsprechendes gilt für Schockreaktionen. Der Presse[81] ist ein Fall zu entnehmen, der dem vorbeschriebenen ähnelt, aber doch wieder anders liegt. Hier war einem Autofahrer ein Insekt unter die Sonnenbrille geflogen. Er erschrak darüber so sehr, dass er die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und einigen Sachschaden