2. Zahlungsunfähigkeit
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Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 1 InsO) ist allgemeiner Eröffnungsgrund. Der Eröffnungstatbestand gilt ohne Einschränkung in sachlicher und persönlicher Hinsicht, ebenso unabhängig von der Person des Antragstellers.[38] Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner „nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen“ (§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO). Die Legaldefinition knüpft ausschließlich an objektiven Tatbestandsvoraussetzungen an. Dementsprechend schließt ein bestehender Zahlungswille des Schuldners als subjektives Element Zahlungsunfähigkeit nicht aus.[39] Umgekehrt begründet bloße Zahlungsunwilligkeit keine Zahlungsunfähigkeit. Nicht selten versuchen objektiv zahlungsunfähige Schuldner allerdings durch die Behauptung nur zahlungsunwillig zu sein, eine tatsächlich bestehende Zahlungsunfähigkeit gegenüber Dritten zu verschleiern, um die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und die damit verbundenen negativen Auswirkungen zu vermeiden.[40]
a) Insolvenzrechtlicher Fälligkeitsbegriff
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Fälligkeit i.S. von § 271 BGB benennt den Zeitpunkt, ab dem ein Gläubiger berechtigt ist, die geschuldete Leistung zu fordern.[41] Ein Zahlungsverzug des Schuldners (§ 286 Abs. 1 BGB) ist nicht erforderlich.[42] Zu berücksichtigen sind ausschließlich Zahlungs-, d.h. Geldverbindlichkeiten.[43] Fälligkeit kann durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung (Stundung)[44] beseitigt, d.h. vorübergehend „hinausgeschoben“ werden. Die Stundungsabrede kann konkludent erfolgen.[45]
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Die Rechtsprechung in Zivilsachen hält allerdings – anders als das überwiegende Schrifttum[46] – auch nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung (zum 1.1.1999)[47] weiter daran fest, dass Fälligkeit im Regelungszusammenhang des Insolvenzrechts (§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO) ein „ernsthaftes Einfordern“ der Forderung durch den Gläubiger voraussetzt.[48] Dieses Kriterium ist bereits im Zusammenhang mit der Konkursordnung[49] entwickelt worden.[50] Es genüge hierzu, so der BGH in Zivilsachen, „wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt“.[51] Zwar enthalte der Wortlaut von § 17 InsO keinen Hinweis auf dieses Erfordernis.[52] Dennoch rechtfertige und erfordere der abweichende Telos des (allgemeinen) Zivilrechts, namentlich von § 271 BGB einerseits und des Eröffnungsgrunds der Zahlungsunfähigkeit andererseits, eine abweichende Bestimmung dieses Merkmals.[53] Insolvenzrechtlich sei maßgeblich, ob die wirtschaftliche Situation des Schuldners bereits erfordere, von der Einzelzwangsvollstreckung in das Gesamtvollstreckungsverfahren überzugehen, mit dem Ziel, das Vermögen des Schuldners im Rahmen eines geordneten Verfahrens gleichmäßig unter den Gläubigern zu verteilen und einen weiteren „Wettlauf der Gläubiger“ (Prioritätsprinzip) zu vermeiden.[54] Während Fälligkeit i.S. von § 271 BGB vor allem für die Frage des Schuldnerverzugs, für die Erhebung der Leistungsklage sowie für den Verjährungsbeginn Relevanz besitze,[55] sei die insolvenzrechtlich entscheidende Fragestellung, ob das Vermögen des Schuldners ausreiche, sämtliche Gläubiger zu befriedigen. Für die letztgenannte Problematik sei jedoch über den Umstand hinaus, dass ein Gläubiger Zahlung verlangen kann, ebenfalls von Bedeutung, ob die Leistung auch tatsächlich eingefordert werde.[56] Von Fälligkeit allgemeiner zivilrechtlicher Provenienz (§ 271 BGB) dürfe deshalb nicht schematisch auf eine Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 InsO geschlossen werden.[57] Es gilt danach ein erweiterter insolvenzrechtlicher Fälligkeitsbegriff. Für ein „ernsthaftes Einfordern“ genügt regelmäßig bereits die Übersendung einer Rechnung.[58] Eine wiederholte Zahlungsaufforderung ist dagegen nicht erforderlich.[59] Das „ernsthafte Einfordern“ besitzt im Unterschied zur Stundungsabrede die Rechtsnatur eines bloßen Realakts.[60] Die im Einzelfall schwierige Abgrenzung zwischen einem unterlassenen Einfordern ohne Rechtsbindungswillen (Realakt) und einer konkludenten Stundungsvereinbarung (Rechtsgeschäft) ist Frage der Auslegung.[61]
b) Zeitraum und Wesentlichkeit der Liquiditätslücke
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Vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung wurden als weitere Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit benannt, dass der Schuldner dauerhaft außer Stande geraten ist, fällige Forderungen zu einem wesentlichen Teil zu erfüllen.[62] Auf eine Übernahme der Merkmale „Dauerhaftigkeit“ und „Wesentlichkeit“ der Liquiditätslücke in die Legaldefinition des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO wurde allerdings aus Gründen der Rechtsklarheit verzichtet.[63] Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich dieses Eröffnungsgrunds insoweit bewusst weiter gefasst.[64] Ziel war, hierdurch eine frühzeitige („rechtzeitige“) Verfahrenseröffnung (vor allem zur Verbesserung möglicher Sanierungschancen) nicht zu gefährden.[65] Nach „alter“ Rechtslage war dementgegen rechtstatsächlich häufig erst eine Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 S. 2 InsO) eigentlicher „Verfahrensauslöser“.[66]
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Das in den Gesetzeswortlaut nicht übernommene Merkmal der „Dauerhaftigkeit“ betrifft die Abgrenzung von Zahlungsunfähigkeit zu einer, zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ausreichenden, nur vorübergehenden Zahlungsstockung.[67] Die Rechtsprechung zur Konkursordnung zog noch eine zeitliche Grenze der Illiquidität von ungefähr einem Monat,[68] teilweise auch deutlich darüber hinaus.[69] Nach aktueller Rechtslage ist dagegen maßgeblich, ob sich die Geldilliquidität voraussichtlich „innerhalb kurzer Zeit“ beheben lässt.[70] Nach der Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen sei dabei eine Frist von einer bis höchstens drei Wochen ausreichend, um die zum Ausgleich sämtlicher fälliger Verbindlichkeiten erforderlichen liquiden Mittel ggf. durch Kredit zu beschaffen.[71] Zwar begründen nach Auffassung des Gesetzgebers kurzfristige Zahlungsstockungen eine Zahlungsunfähigkeit auch weiterhin nicht.[72] Dagegen sollte jedoch ausdrücklich vermieden werden, dass Zeiträume von mehreren Monaten noch unter bloße Zahlungsstockungen subsumiert werden können.[73] Diesem Umstand trägt die Rechtsprechung in Zivilsachen nunmehr also Rechnung.[74]
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Der Gesetzgeber ist ebenfalls davon ausgegangen, allerdings ohne das Merkmal der „Wesentlichkeit“ in den Gesetzestext aufzunehmen, dass nur „ganz geringfügige Liquiditätslücken außer Betracht bleiben müssen“.[75] Zuvor wurden Liquiditätslücken von bis zu 25 %[76] durchaus noch als „nicht wesentlich“ deklariert.[77] Die aktuelle insolvenzrechtliche Rechtsprechung verfährt nunmehr im Rahmen des § 17 InsO auch insoweit restriktiver. „Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist“.[78] Die 10 %-Grenze ist damit kein „starrer Wert“, sondern begründet insolvenzrechtlich nur eine widerlegbare Vermutung.[79] Liegt die Liquiditätslücke oberhalb dieses „Schwellenwerts“, ist dennoch nur von einer Zahlungsstockung auszugehen, sofern besondere Umstände festgestellt werden können, die mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine zeitnahe, (nahezu) vollständige Reduzierung der fehlenden Liquidität sprechen. Umgekehrt liegt Zahlungsunfähigkeit auch bei einem Liquiditätsdefizit unterhalb dieser Grenze vor, wenn bereits absehbar ist, dass deren Umfang demnächst den „10 % – Richtwert“ erreichen bzw. überschreiten wird.[80]
c)