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Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit kann allerdings ebenfalls auf der Grundlage von Indizien, d.h. äußerer Beweisanzeichen, erfolgen.[88] Insoweit „indiziellen Charakter“ besitzen etwa die Schließung des Geschäftslokals, die Inanspruchnahme von Zahlungszielen, die Häufung von Pfändungen und Wechselprotesten, das Nichtabführen von Steuern[89] bzw. Sozialabgaben,[90] die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, (Teil-)Zahlungsrückstände oder häufig verspätete Zahlungen.[91] Indizien für eine Zahlungsunfähigkeit begründen nicht selten Erklärungen des Schuldners selbst, etwa die Mitteilung gegenüber einem Gläubiger, eine fällige Forderung nicht ausgleichen zu können, regelmäßig verbunden mit einer Stundungsbitte (Zahlungsaufschub).[92] In Einzelfällen übermitteln betroffene Unternehmer zum Nachweis freiwillig oder nach Aufforderung eine Liquiditätsübersicht an den Gläubiger, aus der sich dessen Zahlungsunfähigkeit ergibt, um die Stundungsbitte zu belegen.[93] Können die Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit auf der Grundlage „kriminalistischer Beweisanzeichen“ festgestellt werden, bedarf es der Erstellung einer Liquiditätsbilanz nicht mehr.[94]
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Darüber hinaus ist nach der (widerleglichen) Vermutung[95] des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO „Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat“. „Zahlungseinstellung“ beinhaltet allerdings mehr als eine bloße Nichtzahlung.[96] Anknüpfungspunkt der gesetzlichen Vermutung ist das nach Außen erkennbare Verhalten des Schuldners,[97] aus dem sich für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängt,[98] dass der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.[99] Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten genügt.[100] Die Zahlungseinstellung kann nur durch allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen beseitigt werden.[101]
3. Drohende Zahlungsunfähigkeit
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Der besondere Eröffnungstatbestand drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) setzt einen Eigenantrag des Schuldners voraus (sog. „Innenlösung“).[102] Der Schuldner droht in Zahlungsunfähigkeit zu geraten, „wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen“ (§ 18 Abs. 2 InsO).[103] Der Begriff drohender Zahlungsunfähigkeit mag ursprünglich dem Insolvenzstrafrecht entstammen,[104] besitzt im insolvenzrechtlichen Kontext jedoch eine vom strafrechtlichen Regelungszusammenhang abweichende Funktion.[105] Die Vorstellung des Gesetzgebers bei Inkorporierung dieses Eröffnungsgrunds war,[106] eine frühzeitige Antragstellung zu ermöglichen, sofern sich Zahlungsunfähigkeit deutlich abzeichnet, damit rechtzeitig (verfahrens-)rechtliche und wirtschaftliche „Gegenmaßnahmen“ ergriffen werden können.[107] Gesetzgeberisches Ziel dieser zeitlichen Vorverlagerung einer möglichen Insolvenzantragstellung war also primär, die Chancen für Erhalt und Sanierung von Unternehmen zu erhöhen.[108] Es besteht in diesen Fällen allerdings auch bei Betroffenheit juristischer Personen keine Antragspflicht des Schuldners.[109] Der Schuldner ist danach berechtigt, den „Schutz des Insolvenzverfahrens“ zu beanspruchen, sofern es ihm opportun erscheint.[110]
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Inhaltlich knüpfen die Anforderungen drohender Zahlungsunfähigkeit an den zu § 17 Abs. 2 S. 1 InsO entwickelten Grundsätzen an, fügen jedoch ein zusätzliches prognostisches Element hinzu, da die Zahlungsunfähigkeit nur „drohen“ muss.[111] Im Unterschied zur Prüfung des Eröffnungstatbestands „eingetretener“ Zahlungsunfähigkeit erfolgt deren Feststellung nicht (primär) stichtags-, sondern zeitraumbezogen.[112] Das Tatbestandsmerkmal „voraussichtlich“ (§ 18 Abs. 2 InsO) beschreibt das „Prognoseelement“ in zeitlicher Dimension, zugleich den erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad. Der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit muss danach mit „nahe liegender Wahrscheinlichkeit“ zu erwarten sein.[113] Bei dieser Prognose sind die bestehenden Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, gleichgültig ob die Zahlungspflichten bereits fällig sind oder erst später fällig werden.[114] Der Gesetzeswortlaut legt überdies nahe, nur auf „bestehende“ Zahlungspflichten abzustellen, dagegen zum Prognosezeitpunkt rechtlich noch nicht begründete, aber „absehbare“ Verbindlichkeiten von der Prüfung auszunehmen.[115] Eine unbegrenzte Einbeziehung rechtlich (noch) nicht begründeter Verbindlichkeiten beinhalte zudem ein zusätzliches, spekulatives Element, das, zumal bei zeitlich unbegrenzter Berücksichtigung, eine in der Insolvenzrechtspraxis schwer handhabbare Finanzvorschau erfordere.[116] Teile des Schrifttums stellen gleichwohl „zu erwartende“, rechtlich noch nicht begründete Zahlungspflichten in die Liquiditätsprognose ein. Diese seien „nach vernünftiger kaufmännischer Erwägung“ als „voraussichtlich zu bedienende Ausgaben“ ebenfalls zu berücksichtigen.[117]
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Der Eröffnungstatbestand drohender Zahlungsunfähigkeit beinhaltet, wie gezeigt, die Abkehr von einer Stichtagsbetrachtung und erfordert die Feststellung einer Zeitraumilliquidität. § 18 Abs. 2 InsO ist daher die prognostische Unsicherheit zukünftiger Veränderungen der Liquiditätsentwicklung wesensimmanent. Voraussichtlich entstehende Zahlungsverpflichtungen bestimmen wie erwartete Einnahmen, die unstreitig zu berücksichtigen sind, die (künftige) Liquiditätslage des Schuldners. Zudem ist die Differenzierung, ob eine später eintretende Zahlungsverpflichtung im Prognosezeitpunkt bereits rechtlich begründet war oder nicht, zur Beurteilung der Frage, ob das Schuldnervermögen voraussichtlich zukünftig nicht (mehr) ausreichen wird, sämtliche Verbindlichkeiten zu erfüllen, auch wirtschaftlich gesehen, nicht sachgerecht.[118] Dieser Umstand ist ökonomisch nicht relevant. Um im Rahmen der anzustellenden Prognose ein realistisches Bild der Liquiditätsentwicklung zu gewinnen, sind deshalb auch zum Prognosezeitpunkt rechtlich noch nicht begründete, gleichwohl mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entstehende („zu erwartende“) Verbindlichkeiten einzubeziehen, die innerhalb des zu berücksichtigenden Prognosezeitraums zur Zahlung fällig werden.[119] Dies betrifft insbesondere zukünftige Verbindlichkeiten, die zur Aufrechterhaltung und Fortführung des Unternehmens nicht verzichtbar sind. Die Restriktion, dass nur zukünftige Zahlungsverpflichtungen zu berücksichtigen sind, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entstehen werden, beschränkt die Prognoseunsicherheit ausreichend. Die Einbeziehung rechtlich noch nicht begründeter, jedoch „zu erwartender“ Verbindlichkeiten bei der Feststellung drohender Zahlungsunfähigkeit verschafft zudem der Intention des Gesetzgebers Geltung, dem Schuldner durch einen frühzeitigen Eigenantrag zu ermöglichen, Sanierungschancen zu verbessern.
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Der Zeitraumbezug[120] drohender Zahlungsunfähigkeit