40
Mit dem Abschluss eines Darlehensvertrags[194] verpflichtet sich der Darlehensgeber (Bank), dem Darlehensnehmer (Bankkunden) einen Geldbetrag (Darlehen) in vereinbarter Höhe für einen bestimmten oder unbestimmten Zeitraum gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen (§ 488 Abs. 1 S. 1 BGB),[195] oder kurz: ein Darlehensvertrag beinhaltet die entgeltliche Übertragung eines befristeten Kapitalnutzungsrechts.[196] Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, den vereinbarten Zins zu zahlen und das Darlehen bei Fälligkeit zurückzuerstatten (§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB).[197] Die Verpflichtung zur Überlassung des Kapitals[198] einerseits sowie die Pflicht, das Darlehen abzunehmen und den vereinbarten Zins zu zahlen andererseits, stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Die Rückerstattungspflicht ist dagegen nicht Bestandteil des Synallagmas, dennoch vertragliche Hauptpflicht.[199] Sie wird bereits bei Abschluss des Darlehensvertrags als künftige Forderung begründet.[200]
41
Der Darlehensvertrag ist seiner Natur nach ein Dauerschuldverhältnis.[201] Die unterschiedlichen Fälligkeiten der vertraglichen Leistungspflichten prägen eine besondere Risikostruktur. Der Darlehensgeber (Bank) tritt durch die Überlassung des Darlehens (Kapitals) in Vorleistung. Die Unsicherheit bei Abschluss des Vertrags, ob zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit eine Rückzahlung des Darlehens durch den Darlehensnehmer erfolgen wird (erfolgen kann), begründet das typische wirtschaftliche Risikopotential dieses Rechtsgeschäfts.[202] Der insoweit „riskante Charakter“ ist Kennzeichen des Darlehensvertrags.[203] Hieraus folgt zugleich das schutzwürdige Interesse des Darlehensgebers an einer Sicherung seiner Forderungen.[204]
b) Sicherungsvertrag
42
Banken sind im eigenwirtschaftlichen Interesse bestrebt, das dem Darlehensvertrag immanente Ausfallrisiko durch die Bestellung werthaltiger Sicherheiten zu begrenzen. Die Bestellung von Kreditsicherheiten gehört aus diesem Grund ebenfalls zum Kernbereich des Kreditgeschäfts.[205] Ein Sicherungsanspruch (§§ 232 ff. BGB) der Bank resultiert nicht bereits aus dem Darlehensrückerstattungsanspruch (§ 488 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB) selbst.[206] Erforderlich ist regelmäßig ein (auch rechtlich) selbständiger Sicherungsvertrag.[207] Die Sicherungsabrede enthält häufig eine Eingrenzung des konkreten Sicherungszwecks, eine Beschreibung des Sicherungsfalls und begründet auf diese Weise eine inhaltliche Verknüpfung zwischen der zu sichernden Forderung und dem Sicherungsrecht.[208] In der Bankpraxis erfolgt dies durch „Positiverklärungen“ (Sicherungsvorverträge), aus denen sich zunächst nur ein Anspruch gegen den Bankkunden ergibt, am Abschluss eines Sicherungsvertrags über bestimmte, konkretisierte (konkrete Positiverklärung) oder nicht näher bestimmte (weite Positiverklärung) bankmäßige Sicherheiten mitzuwirken.[209]
43
Sofern eine einzelvertragliche Vereinbarung fehlt, ist die Bank berechtigt, auf Grundlage von Nr. 13 Abs. 1 S. 1 AGB-Banken „für alle Ansprüche aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung die Bestellung bankmäßiger Sicherheiten [zu] verlangen“.[210] Dieser originäre Sicherungsanspruch ist an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft und erfasst auch bedingte oder befristete, nicht aber erst zukünftige Ansprüche von Banken.[211] Der Bankkunde hat unter mehreren geeigneten, d.h. bankmäßigen, Sicherungsmitteln ein Wahlrecht (§ 232 BGB).[212] In der Praxis des Kreditgeschäfts der Banken wird allerdings häufig eine Regelung mit konkreter Bezeichnung von Sicherheiten getroffen.[213]
44
Darüber hinaus kann nach Nr. 13 Abs. 2 AGB-Banken ein Nachbesicherungsanspruch der Bank auch dann entstehen, wenn bei Vertragsschluss ganz oder teilweise von der Bestellung von Kreditsicherheiten abgesehen wurde. Im Gegensatz zu Nr. 13 Abs. 1 AGB-Banken erfordert der Nachbesicherungsanspruch einen besonderen Anlass, namentlich eine Veränderung des Kreditrisikos. Diese Voraussetzung liegt etwa vor, sofern Umstände eintreten oder bekannt werden, die eine erhöhte Risikobewertung der Ansprüche gegen den Bankkunden rechtfertigen (Nr. 13 Abs. 2 S. 2 AGB-Banken).[214] Ein Nachbesicherungsanspruch des Kreditinstituts entsteht nach Nr. 13 Abs. 2 S. 3 AGB-Banken etwa, wenn „sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden nachteilig verändert haben oder sich zu verändern drohen, oder sich die vorhandenen Sicherheiten wertmäßig verschlechtert haben oder zu verschlechtern drohen“.[215] Der Nachbesicherungsanspruch besitzt damit erkennbar „Krisenbezug“. Abweichend hiervon kann einzelvertraglich vereinbart werden, dass der Nachbesicherungsanspruch an die Verschlechterung bestimmter, im Einzelnen benannter, Finanzkennzahlen geknüpft sein soll.[216] Ein „Besicherungsanspruch“ der Bank wird durch die in Nr. 16 Abs. 1 AGB-Banken bestimmte Deckungsgrenze, d.h. „bis der realisierbare Wert aller Sicherheiten dem Gesamtbetrag aller Ansprüche aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung (Deckungsgrenze) entspricht“, beschränkt.[217]
3. Kredit und Insolvenzeröffnungstatbestände
45
Ökonomisch gesehen beinhaltet eine Kreditvergabe durch Banken die Zuführung von Liquidität an Unternehmen. Umgekehrt führt eine Darlehensrückführung zu deren Entzug. Die Reduzierung liquider Mittel wirkt sich gerade in einer Unternehmenskrise, die häufig bereits mit einer zunehmend angespannten Liquiditätslage verbunden ist, nachteilig aus. Der Vorgang vertieft die ökonomische Krisensituation häufig sogar irreversibel. Über diesen wirtschaftlichen Zusammenhang hinaus sind die Auswirkungen der Kreditrückführung mit den rechtlichen Voraussetzungen der Insolvenzeröffnungstatbestände, zunächst der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), in Bezug zu setzen (sogleich unten Rn. 46 f.). Der Entzug von Liquidität in der Krise ist mit Blick auf § 19 InsO ebenfalls geeignet, die anzustellende Fortführungsprognose[218] negativ zu beeinflussen. Deren Auswirkungen werden daher auch im Zusammenhang mit dem Eröffnungstatbestand der Überschuldung erörtert (unten Rn. 48 f.).
a) Kredit und Zahlungsunfähigkeit
46
Forderungen der Bank gegen den Kreditkunden aus Darlehensvertrag stellen aus Sicht eines Unternehmens regelmäßig eine betriebswirtschaftlich bedeutsame, nicht selten die wesentliche Verbindlichkeit dar. Das Bankdarlehen gewährleistet regelmäßig die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs erforderliche Liquidität, indem es die Finanzierung von betriebswirtschaftlich erforderlichen Investitionen im Bereich des Anlage- oder Umlaufvermögens eines Unternehmens ermöglicht. Eine Kündigung des Kredits in bzw. aufgrund einer wirtschaftlichen Krisensituation begründet die vorzeitige Fälligkeit dieser Verbindlichkeit (i.S.v. § 271 BGB), damit die zivilrechtliche Pflicht des Bankkunden, das Darlehen vorzeitig vollständig zurückzuführen. Streben die Bankverantwortlichen die Rückführung des Kredits auch tatsächlich an, etwa indem sie die Kündigung mit einer Zahlungsaufforderung (ggf. unter Fristsetzung) verbinden, liegt auch ein „ernsthaftes Einfordern“ und damit Fälligkeit im insolvenzrechtlichen Sinn vor.[219] Die hierdurch verursachte Liquiditätslücke wird in Abhängigkeit des betroffenen Kreditvolumens nicht selten den Umfang von 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten übersteigen. Die Kreditrückführung verursacht daher regelmäßig nicht nur ein „ganz geringfügiges“ Liquiditätsdefizit,[220] das als „nicht wesentlich“ bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit außer Betracht bliebe.
47
Zudem werden im Anschluss an die Kündigung und Rückforderung eines Darlehens durch die Bank gerade in der Unternehmenskrise die Voraussetzungen einer nur vorübergehenden, zeitnah zu überwindenden Zahlungsstockung häufig nicht vorliegen. In der betriebswirtschaftlichen Krisensituation ist ein Unternehmen im Anschluss an die Kündigung eines Bankdarlehens allenfalls in der Lage, das Defizit an liquiden Mitteln innerhalb der von der Rechtsprechung eingeräumten „dreiwöchigen Frist“[221] zu beseitigen und den Kredit zurückzuführen, sofern ein anderes Kreditinstitut bereit ist,