Bei Straftaten gegen die Person gewährt die Strafprozessordnung dem Verletzten zusätzliche Rechte – so beispielsweise das Recht, als Nebenkläger aufzutreten, um auf diese Weise besonderen Einfluss auf das Strafverfahren nehmen zu können. Bei Straftaten gegen Sachen und Rechte beschränkt sich mit Ausnahme der wirtschaftlichen Schutzvorschriften des § 395 Abs. 1 Nr. 6 StPO die Möglichkeit, an einem Strafverfahren teilzunehmen, auf diejenige der Zeugenrolle. Besondere Ein- bzw. Mitwirkungsrechte für den Verletzten außerhalb der § 406 d ff. StPO bestehen dann nicht.
Teil 3 Die Einleitung des Strafverfahrens › IV. Anwaltseinschaltung – Vertretungsanzeige
IV. Anwaltseinschaltung – Vertretungsanzeige
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Ist das Mandatsverhältnis geklärt, der zugrundeliegende Sachverhalt umfassend aufbereitet und wünscht der Mandant die Einleitung eines Strafverfahrens bzw. die anwaltliche Begleitung im laufenden Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens gegen den Beschuldigten, wird der Rechtsanwalt unverzüglich die Vertretung des Mandanten gegenüber den Ermittlungsbehörden anzeigen.
Wenn die Ermittlungsbehörde von dem zugrundeliegenden Sachverhalt noch keine Kenntnis hat, muss der Rechtsanwalt die Strafverfolgung durch Abfassen einer Strafanzeige mit umfassender Sachverhaltsschilderung unter – soweit bekannt – namentlicher Nennung des Beschuldigten sowie vorhandener Zeugen und sonstiger Beweismittel einleiten lassen. Die gefertigte Strafanzeige muss zumindest so viele Informationen enthalten, dass sich die Ermittlungsbehörden schon unter dem Gesichtspunkt des Legalitätsprinzips zur Aufnahme von Ermittlungen veranlasst sehen. Danach erfolgt zumeist der erste Kontakt zwischen dem Mandanten und den Strafverfolgungsbehörden, sei es telefonisch, schriftlich oder auch persönlich. Dabei und insbesondere bei etwaigen Vernehmungen sollte der Rechtsanwalt seinem Mandanten beratend zur Seite stehen und ihn begleiten. Dies gilt auch, wenn eine Tatortrekonstruktion vorgenommen werden soll. Ist im konkreten Fall naheliegend oder sogar absehbar, dass ein Sachverständiger zur Frage der Glaubhaftigkeit der Aussage eingeschaltet werden soll, so ist der Mandant auch hierauf vorzubereiten und dabei insbesondere über die Bedeutung eines solchen Gutachtens für den Strafprozess sowie den Ablauf der Gutachtenerstattung aufzuklären – ohne aber auf die Aussage bzw. das Aussageverhalten als solches direkten Einfluss zu nehmen. Bei Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum ist besonders wichtig, etwaig vorhandene Spuren eingehend und vollständig sichern zu lassen. Kleidungsstücke müssen beispielsweise im Zustand der Tat aufbewahrt werden. Im Fall eines Wohnungseinbruchs sollte bis zum Eintreffen der Spurensicherung nichts verändert und die Wohnung möglichst nicht betreten werden, da bereits kleinste Veränderungen am Tatort die Ermittlungen erschweren können. Hilfreich ist ferner, auch selbst Fotos vom Tatort oder den eigenen Verletzungen zu fertigen, das Erlebte zu protokollieren und Adressen von Augenzeugen zu notieren, um den entstandenen Schaden bzw. die konkreten Vorgänge möglichst genau dokumentieren zu können. Vermerke über Gespräche mit den Ermittlungsbehörden und anderen Verfahrensbeteiligten erleichtern eine sachgerechte Interessenvertretung und lassen möglicherweise später aufkommende Missverständnisse besser ausräumen. Oft ist es ratsam, den Inhalt wichtiger Gespräche im Anschluss schriftlich zu bestätigen. Je sorgfältiger hierbei vorgegangen wird, desto schneller kommt das Ermittlungsverfahren in Gang. Es hängt vom Einzelfall ab, ob und inwieweit eine persönliche Vorsprache des Rechtsanwalts – allein oder zusammen mit dem Mandanten – beim staatsanwaltschaftlichen Sachbearbeiter notwendig ist bzw. zweckdienlich erscheint.
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Ist ein Ermittlungsverfahren bereits eingeleitet worden, ist die Vertretungsanzeige mit einem gleichzeitigen Akteneinsichtsersuchen zu verbinden. Da ein Interesse des Mandanten an der strafrechtlichen Verfolgung, zumindest aber an der Wahrnehmung seiner Interessen besteht, wird er, soweit es ihm zumutbar und möglich ist, bereit sein, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. In Fällen körperlicher oder psychischer Schädigungen sollte der Mandant ferner unbedingt ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen und Entbindungserklärungen von der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht unterzeichnen, die sodann den Ermittlungsbehörden zeitnah zu übersenden sind. Insbesondere bei sexuellen Gewaltübergriffen, die für die Betroffenen stets besonders problematisch sind, muss der Rechtsanwalt den Mandanten schnellstmöglich dazu veranlassen, neben der eingehenden Konsultation des eigenen Arztes auch für eine weitergehende rechtsmedizinische Untersuchung und Beweissicherung zur Verfügung zu stehen, denn nur so können die entstandenen Verletzungen umfassend dokumentiert und beispielsweise DNA-Material des Täters beweisverwertbar gesichert werden.
→ Muster 3, Rn. 525: Vertretungsanzeige, Strafanzeige und Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht
→ Muster 4, Rn. 526: Strafanzeige (ohne Anwalt)
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Wurde der Mandant durch eine Straftat verletzt und sind physische oder/und psychische Schäden eingetreten oder zu befürchten, ist es möglicherweise ratsam, frühzeitig Hilfsorganisationen einzuschalten und fachkundigen Rat einzuholen. Eine Auswahl der in Betracht kommenden Einrichtungen enthält z.B. die Opferfibel des Bundesjustizministeriums.[1] Auch bei den jeweiligen Justizministerien, den Regierungspräsidien, Landkreisen und den Gemeinden sind mittlerweile „Anlaufstellen“ eingerichtet, die Hilfestellung geben können. Zentral ist dabei der Gedanke, dass eine der zentralen Aufgaben des Rechtsanwalts als Vertreter des Geschädigten ist, seinen Mandanten im Laufe des Verfahrens vor weiteren Verletzungen, sei es seitens der Verteidigung, aber auch seitens der Justiz oder der (Medien-)Öffentlichkeit zu schützen und jeglichen unangemessenen Umgang sofort zu unterbinden, andererseits aber auch den Mandanten vor sich selbst zu schützen, etwa bei einem ebenso unüberlegten wie unbedarften Umgang mit der Presse.
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Auch der Kontakt zu Angehörigen, Freunden oder anderen Vertrauenspersonen des Mandanten kann auf dessen Wunsch hin hergestellt werden. Hierbei ist aber zu beachten, dass Informationen nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Mandanten weitergegeben werden dürfen und zurückgehalten werden sollten, wenn die betreffenden Personen als Zeugen in Betracht kommen bzw. ihnen kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Dies sollte im Rahmen von Besprechungen mit dem Mandanten gleichermaßen gelten, auch wenn dieser zum Teil wünschen wird, dass eine Vertrauensperson mit zugegen sein soll. Dabei ist allerdings zu sehen, dass die Anwesenheit einer solchen Vertrauensperson dem Mandanten Sicherheit gibt und sich damit positiv auf die gemeinsame Kommunikation auswirkt. Gleichwohl kommen diese Personen als Zeugen des Gesprächs zwischen Mandant und Rechtsanwalt in Betracht, so dass sich regelmäßig der Versuch empfiehlt, nach dem ersten Schaffen von wechselseitigem Vertrauen und einer guten Gesprächsebene zwischen Mandant und Rechtsanwalt eine Fortsetzung der Unterredung ohne die Vertrauensperson zu erreichen und erst dann das eigentliche Mandantengespräch zu führen. Jedenfalls sollte über die Anwesenheit der Vertrauensperson Stillschweigen bewahrt werden, um der Gefahr einer möglichen zeugenschaftlichen Befragung der Vertrauensperson zu begegnen. Bei der Vertretung von Kindern, Jugendlichen und geschäftsunfähigen Mandanten sollte die Vertretung mit den Erziehungsberechtigten bzw. dem Betreuer besprochen und auch während des weiteren Mandats fortwährend Kontakt zu diesen gehalten werden.
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Über die Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht hat der Rechtsanwalt die Möglichkeit, fachärztliche Atteste anzufordern, Einblick in Krankenunterlagen zu nehmen und sich auf diese Weise ein weitergehendes Bild von seinen Mandanten,