1.) | Die Argumentation hängt maßgeblich vom geschützten Rechtsgut ab, ohne an irgendeiner Stelle zu definieren, was ein Rechtsgut im Allgemeinen ist. |
2.) | Der „tatsächliche Zusammenhang“ stellt einen verkappten Kausalzusammenhang dar, der gegen das Schuldprinzip verstößt.[212] |
3.) | Der Wortlaut, die historische Entwicklung und teilweise der Sinn und Zweck der Norm sprechen gegen das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen Handlung und Konkurs.[213] |
4.) | Eine Übertragung des Zusammenhangs auf Versuchs- und Teilnahmekonstellationen führt zu erheblichen Inkonsistenzen.[214] |
a) Strafe ohne Schuld
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Die Behauptung, der „tatsächliche Zusammenhang“ sei kein Kausalzusammenhang, weil er schuldindifferent sei, ist insgesamt widersprüchlich. Diese Annahme basiert auf inkonsistenten Prämissen:
– | Einerseits wird behauptet, Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung verkörperten die Rechtgutsbeeinträchtigung und seien daher für das Unrecht der Tat konstitutiv. |
– | Gleichzeitig müssten Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung nicht von der Schuld des Täters umfasst sein. |
– | Daraus wird geschlossen, dass zwischen Handlung und Rechtsgutsbeeinträchtigung ein schuldindifferenter Zusammenhang bestehen müsse. |
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Die ersten beiden Annahmen sind inkonsistent. Die Behauptung, es bedürfe eines äußeren „tatsächlichen Zusammenhangs“, basiert nur darauf, dass angenommen wird, Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung besäßen einerseits „Unrechtsrelevanz“ und müssten gleichzeitig aus dem Schuldzusammenhang ausgeklammert werden. Darin liegt ein offensichtlicher Widerspruch. Die positive Anordnung, dass sich die Schuld nicht auf den Konkurs beziehen soll, wird zirkelschlussartig als Grund dafür angegeben, dass sich die Schuld nicht darauf beziehen muss. Mit der Kennzeichnung, Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung und der erforderliche Zusammenhang seien „schuldindifferent“, ist nur eine formale Feststellung getroffen, die einer sachlichen Begründung entbehrt. Heute kann als gesichert angenommen werden, dass der Schuldgedanke, als oberstes Prinzip gerechter Zurechnung[215], im Mindestmaß eine „Entsprechung von Unrecht und Schuld“[216] fordert und zwar in dem Sinne, dass sich innere und äußere Tatseite decken. Der Unrechtsbegriff darf daher nichts enthalten, was in einen Schuldzusammenhang nicht integrierbar ist.[217] Wenn alle Strafe Schuld voraussetzt,[218] so ergibt sich daraus jedenfalls, dass alle unrechtsrelevanten und damit strafbegründenden Merkmale des gesetzlichen Unrechtstatbestandes von der Schuld erfasst sein müssen.[219] Es sind mithin keine Umstände denkbar, die auf die Bewertung der Tat als strafbar oder straflos einen Einfluss haben, das Unrecht der Tat also mitbegründen, und gleichzeitig außerhalb der Schuld stehen.[220] Spricht man Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung Unrechtsrelevanz zu, weil sie gerade die Rechtsgutsverletzung umschreiben, so sind sie Teil des Unrechts und daher muss sich die Schuld auf diesen Umstand beziehen.[221] Die oben genannten Annahmen, Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien einerseits eine Art Erfolg, der aber andererseits aus dem Schuldzusammenhang ausgeschlossen ist, enthalten zwangsläufig einen inneren Widerspruch und führen daher zu einem Verstoß gegen das Kongruenzgebot. Bestimmt sich die Verantwortlichkeit auf diese Weise allein nach dem „außenweltlichen Geschehen“[222], also dem Vorliegen objektiver Merkmale, ohne Rücksicht auf die subjektiven Bewusstseinsinhalte des Täters, so handelt es sich um frühmittelalterliche Erfolgshaftung.[223] Ausnahmen von der Korrespondenzbeziehung zwischen Unrecht und Schuld werden mittlerweile nur im Hinblick auf objektive Bedingungen der Strafbarkeit anerkannt, da diese regelmäßig unrechtsirrelevant seien, also völlig außerhalb des Unrechts stünden.[224] Nach Ansicht des RG und des oben genannten Schrifttums handelt es sich bei Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung jedoch gerade um Tatbestandsmerkmale und nicht um bloße Strafbarkeitsbedingungen. Der „tatsächliche Zusammenhang“, verstanden als äußerer Zusammenhang zwischen Handlung und Rechtsgutsbeeinträchtigung, stellt damit eine unzulässige Ausnahme vom grundsätzlichen Erfordernis einer Korrespondenz zwischen Unrecht und Schuld dar. Nichts anderes ergibt sich, wenn man die beiden unrechtskonstitutiven Merkmale nicht ausklammert, sondern präsumiert.[225] Dies läuft dann auf eine „praesumtio culpa“ hinaus, da letztlich auch die Schuld im Hinblick auf diesen Teil des Unrechts vermutet wird.[226] Dies erinnert an das primitive Strafrecht des Mittelalters, das auf ein Verschulden des Täters keine Rücksicht nahm und stattdessen die verstaatlichte Rache gegen den schuldlosen Urheber einer Verletzung ermöglichte.[227] Die Abwendung vom Prinzip der Erfolgshaftung und die Hinwendung zu einem Schuldstrafrecht gilt aber als eine der bedeutendsten Errungenschaften eines gerechten Strafrechts.[228] Anders als unter Geltung der Erfolgshaftung bestimmt sich strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht mehr nur objektiv nach dem außenweltlichen Geschehen, sondern auch und maßgeblich nach dem subjektiven Bewusstsein, d.h. die strafrechtliche Zuschreibung hängt von der subjektiven Zurechnung der Tat ab, auf die hier unzulässigerweise verzichtet wird.[229]
b) Auslegung contra legem
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Gegen das Erfordernis von Kausalität zwischen Handlung und Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung und damit gegen das Erfordernis einer konkreten Gläubigerbenachteiligung sprechen überdies der Wortlaut und die historische Entwicklung der Konkursstrafbestimmungen. Der Rechtssatz lautete gerade nicht: Schuldner, welche eine der Bankrotthandlungen vornehmen und dadurch ihre Gläubiger gefährden oder schädigen, werden bestraft. Außerdem erfasst der Bankrotttatbestand unstreitig auch solche Fallkonstellationen in denen die Bankrotthandlung der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung nachfolgt. Die Einordnung als „Indiz“ versagt damit in Konstellationen, in denen Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung vor der Vornahme der Bankrotthandlung vorliegt, was dem Begriff eines Symptoms oder Indiz widerspricht.[230]
2. Anschlussprobleme
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Neben der dogmatischen Unvereinbarkeit des „tatsächlichen Zusammenhangs“ mit den allgemeinen Prinzipien des Strafrechts, führte eine Übertragung dieses Konstrukts zu diversen Anschlussproblemen. Da es bei der Erfindung des „tatsächlichen Zusammenhangs“ durch das Reichsgericht um die Aufnahme und Ausbildung neuer Rechtsgedanken ging, deren Realisierung den ursprünglichen Plan des Gesetzgebers modifizierte,[231] wurde diese neu aufgestellte Maxime[232] von nun an auf sämtliche Fälle des Bankrotts übertragen. Es ist kaum verwunderlich, dass die Anwendung und Übertragung des, wie oben beschriebenen Zusammenhangs, in der Folgezeit zu erheblichen Anschlussproblemen führte. Die von den meisten Senaten gebilligte grundsätzliche Anerkennung eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ führte bei dem Versuch, diesen Zusammenhang auf Fragen des allgemeinen Teils anzuwenden, zu unlösbaren Schwierigkeiten. Da sich dieser Zusammenhang von den allgemeinen Kategorien wie Kausalität und objektive Zurechnung gerade abheben sollte, gab es im Hinblick auf seine Bedeutung für Vorsatz, Versuchsbeginn und Teilnahme diverse Schwierigkeiten.