2. Konsequenzen für das Gericht
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Das Gericht darf nur Tatsachen berücksichtigen, die von den Parteien selbst vorgetragen wurden. Privates Wissen des Richters oder nicht von den Parteien vorgetragene Tatsachen dürfen nicht in das Prozessergebnis einfließen (Ausnahme: offenkundige Tatsachen, § 291 ZPO). Wird eine Akte beigezogen, muss sich die Partei auf konkrete Aussagen darin berufen.[10] Trägt der Kläger Tatsachen vor, aus denen sich ergibt, dass der geltend gemachte Anspruch nicht besteht, muss das Gericht die Klage als unschlüssig (= unbegründet) abweisen.[11] Dies ist Konsequenz der Darlegungslast des Klägers. Welche der vorgetragenen Tatsachen tatsächlich bewiesen werden müssen, unterliegt ebenfalls der Parteiherrschaft. Beweisbedürftig sind nur solche Tatsachen, die der Gegner bestreitet. Nicht bestrittene Tatsachen (§ 138 Abs. 3 ZPO) oder vom Gegner zugestandene Tatsachen (§ 288 ZPO) müssen vom Gericht akzeptiert werden und sind dem Urteil zugrunde zu legen, selbst wenn der Richter vom Gegenteil überzeugt ist.
Ausgangsfall
Mona behauptet in ihrer Klage gegen die V-GmbH, dass sie dieser mit E-Mail vom 6.2.2017 ein Nachbesserungsverlangen übermittelt habe. Die V-GmbH bestreitet den Erhalt der E-Mail nicht (obwohl sie diese vielleicht nie bekommen hat). Dann muss der Richter vom Zugang der E-Mail ausgehen.[12]
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Die Beweismittel selbst liegen nicht mehr ausschließlich in den Händen der Parteien. Insofern ist der Verhandlungsgrundsatz eingeschränkt. Lediglich beim Zeugenbeweis ist der Richter auf den Vortrag und die Beweisangebote der Parteien angewiesen. Von Amts wegen darf der Richter keinen Zeugenbeweis anordnen. Alle übrigen Beweismittel darf das Gericht aber von Amts wegen heranziehen. Dies gilt für Urkunden (§§ 142, 143 ZPO), für den Augenschein und Sachverständige (§ 144 ZPO) sowie für die Parteivernehmung (§ 448 ZPO). Voraussetzung ist aber, dass hierzu streitiger Parteivortrag vorliegt.[13] Besonders bedeutsam für die Praxis ist die Anordnung der Urkundenvorlegung (§ 142 ZPO). Hier kann der Richter die Vorlagenanordnung nicht nur gegen die Partei erlassen, sondern auch gegen den Prozessgegner oder gegen einen nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten, und zwar unabhängig vom Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs oder der Beweislast.[14] Die Zurückdrängung des Verhandlungsgrundsatzes zugunsten eines Machtzuwachses des Gerichts ist im Hinblick auf die materielle Gerechtigkeit zu begrüßen.
3. Abgrenzung
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Der Verhandlungsgrundsatz bezieht sich nur auf Tatsachen („den Sachverhalt“), nicht auf Paragrafen. Die Rechtsnormen müssen nicht von den Parteien vorgetragen werden. Die rechtliche Würdigung des vorgebrachten Stoffs obliegt dem Gericht („iura novit curia = das Gericht kennt das Recht“). Die Rechtsanwendung ist und bleibt originäre Aufgabe der Gerichte. Diese sind insbesondere nicht an die von den Parteien zitierten Anspruchsgrundlagen gebunden.
Ausgangsfall
Mona stützt ihren Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten auf §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB. Das Gericht kann genauso gut § 439 Abs. 1 oder 2 BGB (vgl. BGH NJW 2014, 2351) heranziehen, ohne an die Auffassung von Mona gebunden zu sein. Allerdings darf es die Parteien mit seiner Rechtsauffassung nicht völlig „überraschen“; das Gericht muss vielmehr rechtzeitig auch die rechtlichen Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen hat und auf die sich das Gericht stützen will, mit den Parteien erörtern (§ 139 Abs. 2 ZPO). Die Hinweise sind frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung zu geben (§ 139 Abs. 4 ZPO); andernfalls muss vertagt werden oder es ist Schriftsatznachlass (§ 139 Abs. 5 ZPO) zu gewähren.[15]
Auch die Beweiswürdigung (§§ 286, 287 ZPO) obliegt ausschließlich dem Gericht. Ob ein Zeuge (z.B. der Freund von Mona) glaubwürdig ist oder ob der Augenschein zu der Bejahung eines erheblichen Sachmangels führt, ist Sache des Gerichts.
4. Modifikationen
a) Wahrheitspflicht der Parteien
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Der Verhandlungsgrundsatz wird durch die Wahrheitspflicht eingeschränkt. Die Parteien können zwar entscheiden, ob und welche Tatsachen sie vortragen, sie dürfen aber keine unwahren Tatsachen behaupten (= Lügen). Die Pflicht zur Wahrheit ist in § 138 Abs. 1 ZPO geregelt. Auch sog. Halbwahrheiten (= Weglassen von wesentlichen Umständen) verstoßen gegen die Wahrheitspflicht. Behauptungen ins Blaue hinein sind nur in engen Grenzen (= es sind Anhaltspunkte da) zulässig.[16] Jede Partei muss zudem ihre Erklärungen vollständig abgeben.[17]
Welche Folge hat die Verletzung der Wahrheitspflicht? Bewusst unwahres Parteivorbringen muss das Gericht unberücksichtigt lassen. Außerdem kann ein Prozessbetrug (§ 263 StGB) vorliegen. Zudem kann ein Verstoß gegen § 138 ZPO zum Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB (mit § 263 StGB) oder nach § 826 BGB verpflichten. Schließlich kann eine Wiederaufnahmeklage nach § 580 Nr. 4 ZPO in Betracht kommen.
b) Richterliche Hinweispflicht
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Durch die richterliche Hinweispflicht erfährt der Verhandlungsgrundsatz ebenfalls eine sinnvolle Ergänzung. Nach § 139 ZPO muss das Gericht Sorge tragen, dass lückenhaftes Parteivorbringen nachgebessert wird und sachdienliche Beweismittel benannt werden. Der Richter muss auf Unklarheiten oder Widersprüche im Sachverhalt aufmerksam machen. Diese Hinweispflicht besteht unabhängig davon, ob die Parteien durch einen Anwalt vertreten sind.[18] Die Aufklärung darf allerdings nicht allzu einseitig (= zugunsten einer Partei) erfolgen. Es darf nicht der Eindruck fehlender Neutralität (Befangenheit des Richters nach § 42 ZPO) entstehen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Richter einen „Tipp zur Verjährung“ gibt.[19] § 139 ZPO ist wegen des Gleichbehandlungsgebots der Parteien eine „Spagatvorschrift“, die dem Gericht bei seiner materiellen Prozessleitung souveränes und weitsichtiges Handeln abverlangt.
2. Teil Erkenntnisverfahren › B. Verfahrensgrundsätze › IV. Anspruch auf rechtliches Gehör
1. Rechtsgrundlage und Inhalt
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist eines der wichtigsten Prozessgrundrechte der Parteien. Er ist als grundrechtsgleiches Recht in Art. 103 Abs. 1 GG statuiert. Darüber hinaus ist er in Art. 6 Abs. 1 EMRK verankert. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, den Sachvortrag der Parteien zu berücksichtigen und die angebotenen Beweise zu erheben.[20] Das Gericht muss den Parteien vor Erlass einer Entscheidung Gelegenheit geben, ihren jeweiligen Standpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorzutragen. Dabei darf das Gericht