Dabei herrscht auf den verschiedenen Abwägungsstufen jeweils eine unterschiedliche gerichtliche Kontrolldichte. Im Mittelpunkt steht auch hier die Feststellung, dass die Gerichte keine eigene Abwägung vornehmen, sondern die Abwägung der Verwaltung nachvollziehend überprüfen.
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Die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angelegte Differenzierung zwischen Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis gilt für das Fachplanungsrecht in gleicher Weise wie im Bereich des Bauplanungsrechts, wobei das Verhältnis hier wie dort ungeklärt ist[188]. Interessant erscheint vor allen Dingen die Frage, inwieweit sich die Dogmatik des Abwägungsgebots in den Bereichen des Bauplanungs- und des Fachplanungsrechts durch die 2004 in das BauGB eingefügten Regelungen, namentlich § 2 Abs. 3 BauGB und die Neufassung des § 214 Abs. 1 und 3 BauGB, auseinanderentwickelt haben. Der Regelung des § 2 Abs. 3 BauGB wird diesbezüglich keine besondere Bedeutung zuzumessen sein. Soweit sie dem Bauleitplanverfahren eine Bedeutung für die Abwägung zuspricht, dürfte dies ohne Weiteres auch für die entsprechenden Regelungen des Anhörungsverfahrens in der Planfeststellung gelten. Keine Entsprechung findet hingegen bislang die Neufassung des § 214 BauGB. § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB qualifiziert bestimmte Abwägungsfehler als Verfahrensfehler und § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB erklärt die entsprechenden Fehler in ihrer materiell-rechtlichen Dimension jedenfalls im Hinblick auf ein Rechtsschutzbegehren für unbeachtlich. Damit wird dem Abwägungsgebot zumindest aus dem Blickwinkel der Planerhaltungsregelungen eindeutig eine verfahrensrechtliche Dimension zugewiesen[189], die ihm in dieser Weise im Fachplanungsrecht bislang nicht zugemessen wird. Inwiefern diesen Änderungen praktische Bedeutung zukommen wird, bleibt eine Frage der weiteren Entwicklung.
2. Spezielle Probleme der Fachplanung
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Allerdings weist die Planfeststellung strukturelle Unterschiede zur Bauleitplanung auf, die im Hinblick auf die Anforderungen des Abwägungsgebots Besonderheiten bedingen.
a) Nachvollziehende Abwägung
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Wichtigster Unterschied ist, dass Vorhabenträger und planende Behörde anders als in der Bauleitplanung, in der die Gemeinden ihre eigenen Pläne aufstellen, auseinanderfallen. Bei der Fachplanung handelt es sich demgemäß um nachvollziehende Planung (siehe dazu Rn. 12). Die planerische Gestaltungsfreiheit steht zunächst dem Vorhabenträger und anschließend im Rahmen der Planfeststellungsentscheidung – nachvollziehend[190] – der Planfeststellungsbehörde zu, sodass diese auch nur nachvollziehend abwägt.
b) Belange
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Die Beantwortung der Frage, welche Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind, folgt im Wesentlichen den gleichen Erwägungen wie im Bauplanungsrecht. Allerdings finden sich in den Fachplanungsgesetzen keine dem § 1 Abs. 5 und 6 BauGB vergleichbaren Kataloge zu berücksichtigender Abwägungsbelange[191]. Abwägungsbelange ergeben sich aus den Fachplanungsgesetzen selbst und aus anderen für das Vorhaben relevanten gesetzlichen Regelungen.
c) Alternativen
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Zu den zu berücksichtigenden Belangen gehören auch mögliche Alternativlösungen. Die Einbeziehung von Alternativlösungen stellt sich somit als Anforderung an das Abwägungsgebot dar[192]. Als Alternative ist auch die so genannte „Null-Variante“, also der gänzliche Verzicht auf das Vorhaben, einzubeziehen[193]. Allerdings müssen nicht alle denkbaren Alternativlösungen in gleicher Tiefe geprüft und bis zur abschließenden Entscheidung offen gehalten werden. Die Abschichtung der Prüfung und das Ausscheiden von weniger geeigneten Alternativen aufgrund einer ersten Grobanalyse sind – vorbehaltlich gleichbleibender Verhältnisse[194] – möglich. Ernsthaft in Betracht kommende Alternativen müssen so lange untersucht werden, bis sich herausstellt, dass sie gegenüber der gewählten Lösung nicht eindeutig vorzugswürdig sind[195]. Bei der Auswahl zwischen den geprüften Alternativen kommt der planerische Gestaltungsspielraum zum Tragen. Die Wahl zwischen verschiedenen Alternativen ist dabei nur dann abwägungsfehlerhaft, wenn eine andere als die gewählte Alternative eindeutig besser geeignet gewesen wäre, insbesondere wenn die verworfene Variante zu geringeren Eingriffen in öffentliche und private Belange geführt hätte[196].
d) Grundsatz der Konfliktbewältigung
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Dem Grundsatz der Konfliktbewältigung kommt im Rahmen der Planfeststellung eine größere Rolle zu als im Bereich der Bauleitplanung, da hier kein weiteres Zulassungsverfahren mehr nachfolgt, in dem durch das Vorhaben ausgelöste Konflikte bewältigt werden könnten[197]. Allerdings besteht auch hier die Möglichkeit, die Lösung von Konflikten nachfolgenden Verwaltungsverfahren zu überlassen, wie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Luftreinhalteplanung zeigt. Danach soll das Gebot der Konfliktbewältigung durch die Planfeststellung eines Vorhabens erst verletzt sein, wenn absehbar ist, dass die Gewährleistung der Einhaltung von Grenzwerten durch die Luftreinhalteplanung ausgeschlossen ist[198].
D. Wirkungen der Planfeststellung
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Der Planfeststellungsbeschluss zeichnet sich gegenüber anderen Instrumenten der Vorhabenzulassung vor allem durch die umfassenden Rechtswirkungen aus, die ihm beigelegt sind. Im Einzelnen werden die Genehmigungswirkung (§ 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwVfG), die formelle Konzentrationswirkung (§ 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VwVfG), die Gestaltungswirkung (§ 75 Abs. 1 S. 2 VwVfG), die Ausschluss- und Duldungswirkung (§ 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG) sowie die gegebenenfalls spezialgesetzlich angeordnete enteignungsrechtliche Vorwirkung unterschieden.
I. Genehmigungswirkung
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Sofern für ein Vorhaben eine Planfeststellung erforderlich ist, unterliegt dieses einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt[199]. Mit dem Planfeststellungsbeschluss wird dieses Verbot aufgehoben und die erforderliche Erlaubnis erteilt. Die Genehmigungswirkung wird aus § 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwVfG abgeleitet. Ihrem Wortlaut nach umschreibt diese Regelung zunächst nur die Feststellungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses im Hinblick auf die Zulässigkeit des Vorhabens. Die Genehmigungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses greift jedoch über den feststellenden Charakter hinaus.
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Die umfassende Problembewältigung der Planfeststellung bedingt, dass die Genehmigungswirkung nach § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG ausdrücklich auch die notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen umfasst[200]. Abzugrenzen sind Folgemaßnahmen vom Fall des Zusammentreffens mehrerer eigenständiger Vorhaben, der in § 78 VwVfG geregelt ist. Folgemaßnahmen liegen vor, wenn es sich um eine einzige Planung und deren regelungsbedürftige Auswirkungen handelt. § 78 VwVfG kommt hingegen zur Anwendung, wenn zwei selbstständige Planungen, die jeweils