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Der Bauherr muss auch bei der Genehmigungsfreistellung seine Unterlagen (bei der Gemeinde) einreichen[433], wobei deren Inhalt zumeist durch Verordnungen zu den Landesbauordnungen festgelegt wird[434]. Charakteristisch für das Genehmigungsfreistellungsverfahren ist nun, dass die Gemeinde zur Sicherung ihrer Planungshoheit innerhalb eines Monats die Durchführung eines (vereinfachten) Genehmigungsverfahrens verlangen oder Sicherungsmaßnahmen beantragen kann[435]. Eine Prüfpflicht der Gemeinde besteht indes nicht[436]. Der Bauherr darf mit dem Vorhaben beginnen, sobald die Frist abgelaufen ist oder die Gemeinde ihm bereits zuvor mitgeteilt hat, kein Genehmigungsverfahren durchführen (und keine Sicherungsmaßnahmen beantragen) zu wollen[437]. Dagegen kennen weder das brandenburgische Anzeige- noch das baden-württembergische Kenntnisgabeverfahren ein derartiges gemeindliches Überleitungsrecht in anspruchsvollere Verfahren.
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Unterschiedlich oder gar nicht geregelt ist die Frage, ob die Bauaufsichtsbehörde beim Genehmigungsfreistellungsverfahren zu einer Prüfung der Voraussetzungen der Genehmigungsfreistellung verpflichtet ist. Manchen Bauordnungen kann man eine solche Prüfpflicht entnehmen[438], andere haben hingegen ausdrücklich den Verzicht auf die Prüfung normiert[439]. Daraus ist freilich kein Prüfverbot hinsichtlich der Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften abzuleiten, insbesondere wenn bereits Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Rechtsvorschriften vorliegen[440]. Ein Amtshaftungsanspruch wird nur in besonderen Ausnahmefällen begründet sein, da eben ein Prüfrecht, nicht aber eine (drittbezogene) Amtspflicht besteht[441].
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Der Bauherr erhält im Genehmigungsfreistellungsverfahren also überhaupt keine Genehmigung. Dementsprechend entfällt für ihn auch der Bestandsschutz, den eine Baugenehmigung gegenüber nachträglichen Rechtsänderungen vermittelt. Um diese für den Bauherrn missliche Lage etwas abzumildern, existieren verschiedene Mechanismen. Zunächst setzen sich auch Bauvorhaben aus dem Genehmigungsfreistellungsverfahren gem. § 14 Abs. 3 BauGB gegen eine später erlassene Veränderungssperre durch[442]. Des Weiteren gewähren manche Bundesländer für den aus Sicht des Bauherrn besonders ungünstigen Fall, dass sein Vorhaben deshalb rechtswidrig ist, weil der für das Genehmigungsfreistellungsverfahren vorausgesetzte Bebauungsplan nichtig ist, in begrenztem Umfang Bestandsschutz[443]. Schließlich räumen einige Bundesländer auch beim Genehmigungsfreistellungsverfahren dem Bauherrn ein Verfahrenswahlrecht „nach oben“ ein, also die Wahl des (vereinfachten) Genehmigungsverfahrens anstelle des Genehmigungsfreistellungsverfahrens[444]. Es verwundert nicht, dass für diese Fälle die Bauherren dem (vereinfachten) Baugenehmigungsverfahren oftmals den Vorzug einräumen[445]. In der Literatur ist angesichts der Bestandsschutzproblematik vereinzelt vorgeschlagen worden, zumindest bei Zweifeln an der Wirksamkeit eines Bebauungsplans auch für das Genehmigungsfreistellungsverfahren einen Bauvorbescheid zuzulassen[446]. Hiergegen wird argumentiert, dass dies den mit der Deregulierung verfolgten Zielen der Eigenverantwortung und Privatisierung zuwider laufen würde[447]. Dieser Streit hat sich zumindest in den Bundesländern mit Verfahrenswahlrecht erledigt: Kann der Bauherr für sein Vorhaben ein (vereinfachtes) Baugenehmigungsverfahren wählen, steht ihm auch wieder der Weg zur Erteilung eines Bauvorbescheids offen[448].
VI. Verfahrensfreie Vorhaben
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Eine vollständige Deregulierung findet schließlich bei den verfahrensfreien Vorhaben statt[449]. Nochmals ist darauf hinzuweisen, dass die Terminologie uneinheitlich ist und verfahrensfreie Vorhaben auch als genehmigungsfreie Vorhaben bzw. Anlagen[450] bezeichnet werden[451]. Anders als im Genehmigungsfreistellungsverfahren müssen nicht einmal Unterlagen bei der Bauaufsichtsbehörde eingereicht werden. Freilich entbindet auch dieser ,Kontrolltyp‘ nicht von der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften[452]. Ist ein Vorhaben materiell rechtswidrig, kann die Bauaufsichtsbehörde mit repressiven Mitteln dagegen vorgehen. Sie ist auch dann nicht am Erlass einer Beseitigungsanordnung gehindert, wenn der Bauherr zuvor fälschlicherweise einen Bauantrag gestellt und sie diesen wegen der Verfahrensfreiheit des Vorhabens zurückgewiesen hatte, ohne ihn auf dessen offensichtliche materielle Rechtswidrigkeit hinzuweisen[453]. Im Idealfall handelt es sich bei den verfahrensfreien Vorhaben um Anlagen von untergeordneter bauordnungs- wie bauplanungsrechtlicher Bedeutung. Zu nennen sind näher bestimmte Garagen und Terrassenüberdachungen (jeweils aber nicht im Außenbereich), Gartenhäuser in Gartenhausgebieten sowie bestimmte Werbeanlagen[454]. Für Diskussion haben Mobilfunkantennen gesorgt, die in den Bauordnungen bis zur Höhe von zehn Metern ebenfalls verfahrensfrei gestellt wurden[455]. Die LBO BW räumt allerdings den Gemeinden auch die Möglichkeit ein, durch Satzungen bauliche Anlagen, die eigentlich verfahrensfrei sind, dem Kenntnisgabeverfahren zu unterstellen[456]. Übergangsweise auf das Erfordernis einer Baugenehmigung verzichtet haben manche Landesgesetzgeber mit Blick auf Unterkünfte zur zeitlich befristeten Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden[457].
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Ebenso wie im Genehmigungsfreistellungsverfahren stellt sich bei verfahrensfreien Vorhaben die Frage des Bestandsschutzes. Was die Veränderungssperre betrifft, existiert hier keine explizit auf das verfahrensfreie Vorhaben zugeschnittene Variante in § 14 BauGB; auch sind die verfahrensfreien Vorhaben nicht von § 14 Abs. 3 BauGB erfasst. Dennoch können aus Sicht der Rechtsprechung auch sie vor der Veränderungssperre bestehen, wenn der Bauherr auf den Fortbestand der bei Baubeginn bestehenden, ihm günstigen Rechtslage vertrauen durfte, da es sich der Sache nach um eine Frage der unechten Rückwirkung handele[458]. Demgegenüber sprechen sich Stimmen in der Literatur dafür aus, de lege ferenda einen umfassenden Schutz auch der verfahrensfreien Vorhaben in § 14 Abs. 3 BauGB zu normieren[459] oder verfahrensfreie Vorhaben im Wege eines „kleinen Anzeigeverfahrens“ der Gemeinde bekanntzugeben[460]. Darüber hinaus kennen manche Länder andere Mechanismen, um dem Bauherrn auch bei verfahrensfreien Vorhaben über einen Bescheid Bestandsschutz zu ermöglichen: In Hamburg, das kein Genehmigungsfreistellungsverfahren kennt (s.o.), besteht etwa ein Verfahrenswahlrecht wie bei der Genehmigungsfreistellung in anderen Bundesländern[461]. § 50 Abs. 5 S. 2 LBO BW erklärt neuerdings bei verfahrensfreien Vorhaben den Bauvorbescheid für entsprechend anwendbar, damit der Bauherr auch in diesem Fall die Vereinbarkeit mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften von der Behörde überprüfen lassen kann[462]. Bestehen derartige Regelungen nicht, bzw. werden sie im Einzelfall nicht genutzt, steht einem späteren bauaufsichtlichen Einschreiten nichts entgegen. Dies gilt sogar dann, wenn die (materiell nicht regelungsbefugte) Gemeinde die Baurechtskonformität eines Vorhabens zunächst bescheinigt hatte[463].
I. Überblick und „allgemeine Anforderungen“
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Es ist bereits ausgeführt worden, dass das Bauordnungsrecht verschiedene Schutzrichtungen hat: Neben die herkömmlichen Ziele Gefahrenabwehr und Schutz vor Verunstaltung sind Umweltschutz sowie Sozial- und Wohlfahrtspflege getreten. All diese Schutzzwecke werden primär durch das