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Besonders bedeutsam ist das Einvernehmen der Gemeinde nach § 36 BauGB für Bauvorhaben nach §§ 31, 33–35 BauGB, welches die kommunale Planungshoheit sichern soll[355]. Bleibt die Gemeinde untätig, so fingiert § 36 Abs. 2 S. 2 BauGB zwei Monate nach Eingang des Ersuchens der Bauaufsichtsbehörde die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens[356]. Nicht erforderlich ist das Einvernehmen bei Identität von Gemeinde und Bauaufsichtsbehörde[357]. So ist es zwar möglich, dass für die Erteilung der Baugenehmigung und die Erklärung des Einvernehmens unterschiedliche Gemeindeorgane zuständig sind und keine Abstimmung zwischen diesen Organen stattfindet, der Planungshoheit somit nicht hinreichend Rechnung getragen wird. Es ist indes nicht Zweck des § 36 BauGB, eine Koordinierung von Gemeindeorganen zu regeln; vielmehr ist es Sache der Gemeinde oder des Landesgesetzgebers, entsprechende kommunalverfassungsrechtliche Regelungen zu schaffen[358].
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Für die Versagung ihres Einvernehmens kann sich die Gemeinde ausdrücklich nur auf Gründe aus den §§ 31, 33–35 BauGB berufen[359]. Versagt die Gemeinde das Einvernehmen, sind Bauaufsichtsbehörde und Widerspruchsbehörde daran gebunden und dürfen deshalb die Baugenehmigung nicht erteilen. Allerdings haben einige Bauordnungen von der in § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB normierten Möglichkeit Gebrauch gemacht und den Bauaufsichtsbehörden die Kompetenz verliehen, das gemeindliche Einvernehmen bei rechtswidriger Versagung zu ersetzen[360]. Ohne diese Möglichkeit verbleibt der Bauaufsichtsbehörde nur ein Vorgehen im Wege der Kommunalaufsicht. Dem Bauherrn steht als Rechtsbehelf in diesem Fall nur die Verpflichtungsklage gegen den Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde auf Erteilung der Baugenehmigung zur Verfügung[361].
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Neben dem Einvernehmen der Gemeinde können sich aus fachrechtlichen Bestimmungen Mitwirkungspflichten anderer Behörden ergeben. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Baugenehmigung andere Genehmigungsverfahren absorbiert[362], oder wenn sonstiges Öffentliches Recht ohne eigenständiges Genehmigungsverfahren relevant wird[363]. Schließlich kann gem. § 36 Abs. 1 S. 4 BauGB eine landesrechtliche Verordnung festlegen, dass in den Fällen des § 35 Abs. 2 und 4 BauGB zusätzlich zum gemeindlichen Einvernehmen auch die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich ist[364].
d) Beteiligung der Nachbarn
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Schließlich ist im Baugenehmigungsverfahren eine Beteiligung der Nachbarn erforderlich, wobei manche Bauordnungen auch vom Angrenzer sprechen und sich damit dem formellen Nachbarbegriff anschließen[365]. Die Landesbauordnungen stellen dabei unterschiedlich weitgehende Anforderungen[366]. Während stellenweise die Gemeinde die Nachbarn von dem Bauvorhaben in Kenntnis setzen muss[367], soll andernorts die Bauaufsichtsbehörde die Nachbarn einzig bei der geplanten Zulassung von Abweichungen oder Befreiungen benachrichtigen, sofern zu erwarten ist, dass öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden[368]. Eine Benachrichtigung ist nicht mehr erforderlich, wenn die Nachbarn die Lagepläne und Bauzeichnungen bereits zuvor unterschrieben oder dem Bauvorhaben in anderer Weise zugestimmt haben. Denn damit verzichtet der Nachbar umfassend auf seine Einwände[369].
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Nach der Benachrichtigung hat sich der Nachbar innerhalb einer gewissen Frist zu äußern. Versäumt er diese, wird er mit seinen Einwendungen im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr gehört. Dies bedeutet aber nicht, dass er später mit allen Einwendungen ausgeschlossen wäre oder er keine Rechtsbehelfe mehr gegen die Baugenehmigung einlegen könnte. Es tritt also einzig eine sog. formelle Präklusion ein[370]. Darüber hinausgehend regeln manche Bauordnungen jedoch auch eine materielle Präklusion[371] (die sich auch auf das Gerichtsverfahren auswirkt) als Folge der Fristversäumung bei Vorbringen von Einwendungen[372]. Gegen die Zulässigkeit einer materiellen Präklusion bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken[373].
e) Beteiligung der Öffentlichkeit
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Seit kurzem sehen die Landesbauordnungen unter bestimmten Voraussetzungen auch die Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen des bauordnungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens vor. Damit setzen die Bauordnungen die Vorgaben der Seveso-III-Richtlinie um, die auf die Verhütung schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen zielt[374]. Teilweise ist diese Beteiligung in das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde gestellt, etwa bei baulichen Anlagen, die geeignet sind, die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, zu benachteiligen oder zu belästigen[375]. In einigen Konstellationen ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung dagegen zwingend geboten. Inhaltlich geht es darum, einen angemessenen Sicherheitsabstand zwischen Betrieben, in denen bestimmte gefährliche Stoffe vorhanden sind, und öffentlich genutzten Gebäuden bzw. Wohngebieten und anderem zu gewährleisten[376]. Zu diesem Zweck sind näher bezeichnete Bauvorhaben, die den angemessenen Sicherheitsabstand zu einem solchen Betriebsbereich nicht einhalten, grundsätzlich öffentlich bekannt zu machen und es ist u.a. über den Gegenstand des Vorhabens zu informieren[377]. Die im Rahmen der Konsultationen mit der Öffentlichkeit gewonnenen Ergebnisse hat die Bauaufsichtsbehörde bei ihrer Entscheidung angemessen zu berücksichtigen[378].
f) Verfahrensende
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Viele Bauordnungen kennen für das Baugenehmigungsverfahren unterschiedlich ausgestaltete Fristenregelungen, etwa für die Bearbeitung des Bauantrags[379]. Darüber hinaus wird den zu beteiligenden öffentlichen Stellen eine Frist gesetzt, nach deren Ablauf eine eventuell erforderliche Zustimmung als erteilt gilt[380]. Zu beachten ist zudem die dreimonatige Frist der Untätigkeitsklage gem. § 75 S. 2 VwGO. Bei verzögerter Erteilung der Baugenehmigung sind Amtshaftungsansprüche möglich (s. Rn. 153)[381]. Das Verfahren endet mit Erteilung oder Versagung der Baugenehmigung. Die Erteilung bedarf der Schriftform[382]. Die Bekanntgabe erfolgt nach den meisten Bauordnungen durch Zustellung der Genehmigungsurkunde („Bauschein“) zusammen mit den mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen[383]. Darüber hinaus ist den Nachbarn, deren Einwendungen nicht entsprochen wurde, eine Ausfertigung der Baugenehmigung zuzustellen[384]. Zudem ist die Gemeinde zu unterrichten, sofern sie nicht Baugenehmigungsbehörde ist[385]. Die Versagung ist ebenfalls schriftlich zu erteilen[386]; außerdem bedarf sie gem. § 39 LVwVfG der Begründung. Die Versagung der Baugenehmigung steht einem späteren erneuten Bauantrag nicht entgegen, da Entscheidungsinhalt nur die Versagung als solche ist, nicht aber deren Gründe[387]. Ist die Ablehnung hingegen durch ein rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil bestätigt worden, bedarf es aufgrund der Rechtskraftwirkung des Urteils (§ 121 VwGO) zur erneuten Stellung des Bauantrags einer Änderung der Sach- oder Rechtslage.
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Im Zuge des Anstiegs der Zahl von Asylbewerbern in den letzten Jahren haben manche Landesgesetzgeber erleichterte Voraussetzungen für die Errichtung von Unterkünften für Flüchtlinge oder Asylbegehrende geschaffen. In Hamburg kann die Bauaufsichtsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen den Baubeginn solcher Unterkünfte auf Antrag bereits vor Erteilung der Baugenehmigung vorläufig zulassen (Zulassung des vorzeitigen Baubeginns)[388]. Erforderlich ist, dass mit der Erteilung der Baugenehmigung gerechnet werden kann und der Bauherr sich verpflichtet, alle bis zur Entscheidung über die Erteilung der Baugenehmigung durch den Baubeginn ggf. entstehenden Schäden zu ersetzen sowie den früheren Zustand wiederherzustellen, sollte das Vorhaben nicht genehmigt werden[389]. Schleswig-Holstein hat sich entschieden, die Bearbeitungsfristen des Bauantrags zu verkürzen und die Anforderungen an die entsprechenden