Für die praktische Arbeit im Umsatzsteuerrecht sind veröffentlichte Stellungnahmen der Finanzverwaltung von besonderer Bedeutung.
• | Frühere USt-Richtlinien (UStR): Nach Art. 108 Abs. 7 GG kann die Bundesregierung allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. Im Bereich (u. a.) der Auftragsverwaltung setzt dies die Zustimmung des Bundesrates voraus. Auf dieser Grundlage galten früher (bis 31. Oktober 2010) die USt-Richtlinien (UStR), auf die etwa in älterer Rechtsprechung teilweise Bezug genommen wird. |
• | USt-Anwendungserlass (UStAE): Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat die UStR mit Wirkung ab dem 1. November 2011 durch den USt-Anwendungserlass (UStAE) ersetzt. Rechtsgrundlage dafür ist nicht mehr Art. 108 Abs. 7 GG, sondern § 21a Abs. 1 S. 1 Finanzverwaltungsgesetz (FVG). Danach bestimmt das BMF mit Zustimmung der Länder[45] zur Verbesserung und Erleichterung des Vollzugs von Steuergesetzen und im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung u. a. einheitliche Verwaltungsgrundsätze. Die Regelungen des UStAE sind keine Rechtsnormen. Sie binden die Bürger und – insbesondere – die Gerichte nicht. Als norminterpretierende Vorschriften geben sie vielmehr nur darüber Auskunft, wie das BMF Vorschriften des Umsatzsteuerrechts auslegt. Zugleich werden die Finanzbehörden im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung auf die so vorgegebene Interpretation verpflichtet. Die Gerichte – das ist noch einmal zu betonen – sind an die vom BMF vertretene Interpretation des Umsatzsteuerrechts nicht gebunden.[46] |
• | BMF-Schreiben: Neue Entwicklungen werden vom BMF häufig in BMF-Schreiben kommentiert. Anlässe dafür können etwa gesetzliche Neuregelungen, neue Rechtsprechung oder sonstige Fragen von allgemeiner Bedeutung sein, die beim Vollzug der Steuergesetze auftreten. BMF-Schreiben ergehen in Abstimmung mit den Ländern auf der Grundlage der Weisungskompetenz des Bundes in Fragen der Auftragsverwaltung (Art. 85 Abs. 3 S. 1, Art. 108 Abs. 3 S. 2 GG). Regelmäßig werden in BMF-Schreiben Änderungen des UStAE angeordnet. Wie der UStAE haben BMF-Schreiben nur norminterpretierenden Charakter. Sie binden die Finanzbehörden, aber nicht die Gerichte. |
• | Verlautbarungen der Länder: Nur norminterpretierenden Charakter und verwaltungsinterne Bedeutung haben schließlich Verlautbarungen der Finanzministerien und Oberfinanzdirektionen (OFD) der Länder (Erlasse und Verfügungen). |
§ 1 Einleitung › F. Jüngere Entwicklung des Umsatzsteuerrechts
F. Jüngere Entwicklung des Umsatzsteuerrechts
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Das UStG ist in der jüngeren Vergangenheit mehrfach geändert worden. Wichtigen Änderungen lagen zumeist Änderungen des Europäischen Richtlinienrechts zugrunde. Von wesentlicher Bedeutung war zuletzt das sog. Mehrwertsteuer-Paket der EU[47], in dessen Umsetzung § 3a UStG (Regelung zum Ort der sonstigen Leistung) durch das Jahressteuergesetz 2009[48] in wesentlichen Teilen neu gefasst worden ist. Sonstige Leistungen an Unternehmer werden danach grundsätzlich am Ort des Leistungsempfängers bewirkt (§ 3a Abs. 2 UStG, s. dazu noch Rn 353 ff).
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Weitere Änderungen des Umsatzsteuerrechts brachte – zumeist mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2014 – das sog. Kroatien-Anpassungsgesetz[49] (Art. 7 ff Kroatien-AnpG). Darin finden sich (wiederum) u. a. Neuregelungen zum Ort der sonstigen Leistung[50] und zur Umkehr der Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 5 UStG (Reverse Charge).
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Durch das Steueränderungsgesetz 2015[51] wurde vor allem die Besteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts geändert[52] (s. dazu unten Rn 125 ff).
§ 1 Einleitung › G. Grenzüberschreitender Wirtschaftsverkehr: Bestimmungslandprinzip
G. Grenzüberschreitender Wirtschaftsverkehr: Bestimmungslandprinzip
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Wenn im Falle einer grenzüberschreitenden Lieferung oder sonstigen Leistung alle beteiligten Staaten uneingeschränkt die Erhebung von Umsatzsteuer für sich beanspruchen würden, wäre eine Mehrfachbelastung die Folge. Darin läge ein Hemmnis für den internationalen Wirtschaftsverkehr. In der EU wäre das Ziel der Verwirklichung eines Binnenmarktes (Art. 26 AEUV) gefährdet. Eine Aufteilung der Steuerbefugnisse zwischen den beteiligten Staaten ist daher sinnvoll. Als Methode der Aufteilung kommen vor allem[53] die folgenden Alternativen in Betracht:
• | Nach dem Herkunftsland– oder Ursprungslandprinzip besteuert nur derjenige Staat, aus dem die Lieferung oder sonstige Leistung stammt. |
• | Nach dem Bestimmungsland– oder Verbrauchsortprinzip besteuert nur derjenige Staat, in den die Lieferung oder sonstige Leistung gelangt. |
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Dem Belastungszweck der Umsatzsteuer als einer Verbrauchsteuer (s. bereits Rn 26 ff) wird das Bestimmungsland- oder Verbrauchsortprinzip am besten gerecht. Denn nach diesem Prinzip wird die Umsatzsteuer von dem Staat erhoben, in dem der Verbrauch stattfindet. Für das Bestimmungslandprinzip spricht zudem der Gedanke einer wettbewerbsneutralen Besteuerung. Denn es sorgt dafür, dass alle Unternehmer, die in ein- und demselben Bestimmungsland um Kunden konkurrieren, bei ihrer Kalkulation dieselbe Umsatzsteuerbelastung (jene des Bestimmungslandes) berücksichtigen müssen. Insoweit sind die Startbedingungen für die im Bestimmungsland ansässigen Unternehmer und für Unternehmer aus sonstigen Staaten dieselben. Ein Unternehmer aus einem umsatzsteuerrechtlichen „Niedrigsteuerland“ (z. B. Luxemburg: 17 %) hat beim Wettbewerb um Kunden in einem „Hochsteuerland“ (z. B. Dänemark: 25 %)[54] keine Vorteile. Das Bestimmungslandprinzip hat sich daher international weitgehend durchgesetzt.[55] Dazu haben auch Bemühungen der OECD beigetragen.[56] Dass die Staaten das Bestimmungslandprinzip in ihren nationalen Umsatzsteuerrechten umgesetzt haben, macht den Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) im Bereich der Umsatzsteuer (anders als bei den Steuern vom Einkommen und Vermögen) entbehrlich.
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Bei Lieferungen (§ 3 Abs. 1 UStG) zeigt sich das Bestimmungslandprinzip vor allem[57] darin, dass eine Export-Lieferung im Ausgangsstaat als innergemeinschaftliche Lieferung (EU-Fälle) oder als Ausfuhrlieferung (Drittlandsfälle) von der Steuer befreit ist (§ 4 Nr 1 lit. a) i. V. m. § 6 UStG bzw. § 4 Nr 1 lit. b) i. V. m. § 6a UStG), während im Bestimmungsstaat ein innergemeinschaftlicher Erwerb zu versteuern ist (EU-Fälle) oder Einfuhrumsatzsteuer anfällt (Drittlandsfälle); s. u. Rn 425 ff.
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Das Bestimmungslandprinzip gilt allerdings nicht lückenlos. So gilt etwa das Ursprungslandprinzip, wenn ein Unternehmer innerhalb des Gemeinschaftsgebietes grenzüberschreitend an einen sog. Schwellenerwerber (z. B. einen Kleinunternehmer, § 19 UStG) liefert, der weder die maßgebliche Erwerbsschwelle überschritten